Kritik: Asteroid City
WES ANDERSONS ERSTER FEHLSCHLAG
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Worum es geht, das ist bei Asteroid City gar nicht mal so einfach zu beschreiben, vor allem nicht ohne zu spoilern. Wes Anderson ist hier so weit von einer herkömmlichen Handlung entfernt, dass es schwerfällt, überhaupt noch irgendein gemeinsames Narrativ zu erkennen, das alles zusammenhält (Zitat aus dem Film: “Alles hängt zusammen, aber nichts funktioniert.”). Aber wir versuchen es trotzdem: Ein Vater (Jason Schwartzman) strandet mit seinem hochbegabten Sohn und seinen drei kleinen Töchtern in einer verlassenen Wüstenstadt, wo das Jubiläum eines Asteroiden-Einschlags gefeiert wird. Deshalb versammeln sich allerhand kuriose Persönlichkeiten in dem kleinen Ort – nur läuft während des Jubiläums einiges nicht nach Plan.
Doch das ist nur die vorderste Ebene der Erzählung, denn die Handlung in der titelgebenden Asteroid City ist nur ein weltweit erfolgreiches, fiktives Theaterstück. Wes Anderson erzählt auch noch etwas über den Schreibprozess dieses Theaterstücks, über das Casting, über die kreative Zusammenarbeit zwischen dem fiktiven Autoren (Edward Norton) des Stücks und seinen Schauspielern und streut auch noch die Beziehungsprobleme des fiktiven Regisseurs (Adrien Brody) ein, das wir Zuschauenden als Asteroid City präsentiert bekommen.
Dass allein schon die Beschreibung der Handlung von Asteroid City fast unmöglich ist, weil sie quasi kaum existiert. Oder aber sie existiert auf so vielen Ebenen, dass es schon wieder egal ist. Hier sehen wir, wie weit sich Wes Anderson mittlerweile von seinen relativ konformen Geschichten wie den Royal Tenenbaums (2001) oder Darjeeling Limited (2007) entfernt hat. Bei Letzterem wäre die Beschreibung einfach gewesen: Drei Brüder gehen auf eine Zugfahrt durch Indien und lernen dabei mehr über sich und ihre Beziehungen zueinander. Die besondere Ästhetik, die Wes Anderson schon seit seinen ersten Filmen pflegt und weiterentwickelt, war damals eher noch ein Vehikel für die Geschichten, kein Selbstzweck. Insbesondere die Momente, in denen Anderson mit den warmen Farben und den Symmetrien gebrochen hat, wirkten lange nach – das berühmteste Beispiel ist hier wohl der Suizidversuch in Royal Tenenbaums.
In Asteroid City ist dieses Verhältnis umgekehrt. Die Geschichte, wenn man sie so nennen will, läuft nebenher mit, ist kaum mehr als ein notwendiges, etwas lästiges Anhängsel, das von Anderson in zusätzlichen narrativen Ebenen auf den eigenen Entstehungsprozess heruntergebrochen wird. Nur die Kunst und die Künstlichkeit scheinen für ihn interessant zu sein. Von der ersten Sekunde an wirft Anderson den Scheinwerfer (“Das Licht weder kalt noch warm, aber unerbittlich”) auf die Beschaffenheit der eigenen Filmwelt. Die zutiefst emotionalen und menschlichen Brüche seiner frühen Filme, die es auch in The French Dispatch (2021) noch erfolgreich gab, wirft der Regisseur hier komplett über Bord. Übrig bleibt nur ein ästhetisiertes postmodernes Spektakel, das von gar nichts mehr handelt, außer dem Regisseur selbst.
Das ist unglaublich schade, denn die vielen Absurditäten und clever konzipierten Sets, die schrägen Charaktere und die miteinander verwobenen narrativen Ebenen – all das wirkt dadurch seelenlos. Vergleicht man diese Wirkung mit den Gründen, warum die Anderson-Ästhetik momentan als TikTok-Trend Furore macht, kommt die Frage auf, ob der Regisseur hier nicht fast schon reaktionär das genaue Gegenteil schaffen wollte. Auf TikTok sind die warmen und gefilterten Farbpaletten, die symmetrische Anordnung und der wohlige Soundtrack das Mittel zu einer Ästhetisierung der alltäglichen Dinge, vom Tag im Home-Office bis zum Besuch im Café. Anderson macht in Asteroid City hingegen von der ersten Szene an klar, dass ein Film über den realen Alltag des künstlerischen Prozesses schrecklich langweilig wäre – denn niemand will sehen, wie ein Autor monatelang über seiner Schreibmaschine hängt. Der Alltag ist für ihn etwas, aus dem er ausbrechen will und nichts Romantisches. Asteroid City ist sein Versuch, auszubrechen.
Nur leider scheitert dieser Versuch. Ob als Reaktion auf den TikTok-Trend (was nicht möglich ist, weil die Produktion schon lange vorher begonnen hat), oder als Reaktion auf die Kritiken, die Anderson schon bei The French Dispatch vorhielten, dass er sich zu sehr auf ästhetische Spielereien verlässt und dabei die Geschichte aus den Augen verliert (eine Kritik, die ich nicht teile) – Asteroid City wirkt auf jeden Fall wie die Antwort auf irgendwas. Der Film wirkt nicht wie eine Geschichte, die Anderson nah am Herzen trägt, oder die er unbedingt noch erzählen wollte. Es wirkt wie ein vollgepacktes Experiment, um irgendeinen Punkt im Diskurs um seine eigene Kunst zu machen. Und das ist schade, denn Anderson ist eigentlich einer der besten Geschichtenerzähler in Hollywood.
Aber Wes Anderson macht einen solchen Film ja nicht alleine. Gerade bei Asteroid City war der stargespickte Cast einer der größten selling points. Eine kurze Auswahl: Scarlett Johansson, Tom Hanks, Steve Carell, Tilda Swinton, Jeffrey Wright, Edward Norton, Willem Dafoe, Margot Robbie, Bryan Cranston, Jeff Goldblum, Maya Hawke und die Liste könnte noch lange weitergehen. Zwei oder drei dieser Schauspieler wären genug, um ein Publikum ins Kino zu locken – Anderson steht eine halbe Armee der besten Schauspielerinnen und Schauspieler Hollwoods zur Verfügung. Nur: Größtenteils sind sie einfach nur anwesend. Oft schwenkt die Kamera einmal kurz an Ihnen vorbei (Jeff Goldblum), manche haben wenigstens eine Szene (genial: Margot Robbie!), aber die meisten von Ihnen gehen in der hellen, farbenfrohen und trotz aller Symmetrie ziemlich vollgepackten und chaotischen Filmwelt Andersons einfach unter.
Nur Scarlett Johansson und Jason Schwartzman haben Rollen, in denen sie genug Zeit haben, ihren Charaktere eine Tiefe zu verleihen, die an alte Anderson-Filme erinnert, bei allen anderen bleibt meist nur der Eindruck einer Idee, nicht einer fertigen Figur. Nur Tom Hanks ist noch eine gelungene Abwechslung, weil er in seiner Opa-Rolle mit Pistole in der Hose und Cowboy-Hut glänzt. Mit dem Cast hatte Anderson alle Möglichkeiten der Welt – er entschied sich dazu, sie fast alle zu Pappaufstellern aus seinem quirky Film-Werkzeugkasten zu machen. Asteroid City ist so leider auf allen Ebenen eine vertane Chance und es ist schade, so viel ungenutztes Potenzial von einem der besten Regisseure und Casts aller Zeiten zu sehen.
Asteroid City ist der erste grobe Patzer in Wes Andersons Filmografie. Der Regisseur verliert sich endgültig in ästhetischen Spielereien und vermittelt darüber hinaus keine einzige Emotion mehr, nur ab und zu entlockt er dem Publikum noch ein Lachen wegen der ganzen kreativen Spielereien. In dem Film kommen all seine Werkzeuge zum Einsatz – Symmetrie, reduziertes Schauspiel, selbst die Stop-Motion-Figuren aus Fantastic Mr. Fox (2009) – nur leider wirkt es nicht, als wolle Anderson etwas damit erzählen. So ist der Film mal wieder von einem technischen Standpunkt aus bewundernswert, nur enttäuschenderweise ohne dabei, wie fast alle vorherigen Anderson-Filme, auch die tragikomische Seite des Lebens zu zeigen. Asteroid City handelt von nichts, außer sich selbst und dem Diskurs um seinen Regisseur.
Artikel vom 20. Juni 2023
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