Kritik: Das Lehrerzimmer
Kino mit Bildungsauftrag
▶ Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
Kino mit Bildungsauftrag
▶ Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
Im Lehrerzimmer rumort es: seit Wochen kommt es zu Diebstählen in der Schule. Die Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) steht hinter der Schülerschaft und sucht das vermittelnde Gespräch, Herr Liebenwerda (Michael Klammer) fordert eine harte Linie und scheut sich nicht davor, Schüler:innen zu Denunziation aufzufordern. Als Carla Ermittlungen anstellt, löst sie eine Kettenreaktion mit verheerenden Folgen aus. Zwar stößt sie auf eine verdächtige Person, doch lässt sich die Schuld nicht unmittelbar nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits eine Spirale aus Anschuldigungen, Meinungsmache und Konsequenzen im Gange, die Carla nicht mehr aufhalten kann und welche von der gesamten Schule Besitz ergreift.
Im Unterricht wird aufgepasst und alles, was davon ablenkt, wird entfernt. Handys und Tischgespräche natürlich, aber auch alles andere, was nicht dem Unterrichtsziel dient, hat im Klassenraum nichts zu suchen. Es gibt einen Lehrplan, es gibt einen zu vermittelnden Inhalt, also wird sich darauf fokussiert, ohne Blick nach links und rechts. Diese Misere, die vom Erstklässler bis zur Bildungsministerin wohl jedem bekannt ist, prägt auch diesen Film. Es gibt eine Versuchsanordnung, eine moralische Diskussion, vielleicht sogar eine Botschaft – das gilt es auf die Leinwand zu bringen. Freies Spiel gibt es nur wenig.
Die Deutschen lieben Filme über Schule, von Das fliegenden Klassenzimmer über Die Welle bis zu Fack Ju Göhte löst die Dynamik von jungen Menschen, die von älteren Menschen durchs Leben begleitet werden, immer wieder Interesse aus. Doch Das Lehrerzimmer ist kein offenes Labor, in dem Möglichkeiten erkundet und Positionen ausgelotet werden. Ab den ersten Momenten ist klar, wer wo steht und bis zum Ende gibt es wenig Bewegung auf dem Spielfeld. Frau Nowak, die moderne Pädagogin; Herr Liebenwerda, der Terrier alter Schule; Oskar, das sozialschwache Genie unter den Rädern des Bildungssystems.
Der Film ist ein didaktisches Planspiel, in dem alle Störgeräusche ausgeblendet sind. Das Szenario wirkt doch etwas sehr beruhigt. Ein Handy beispielsweise, der Albtraum aller Pädagog:innen, ist in einer einzigen Einstellung zu sehen. Das Drehbuch fokussiert sich auf den moralischen Konflikt um Diebstahl und Wahrheitsfindung, grenzt jedoch andere Dynamiken aus, welche vermutlich ein realistischeres Bild gezeichnet hätten. Schule ist keine ideale Versuchsanordnung moderner Pädagogik, sondern eine häufig chaotische zwischenmenschliche Gemengelage, in der es keine optimale Lösung gibt, sondern, irgendwo zwischen Frau Nowak und Herrn Liebenwerda, pädagogische „Realpolitik“ gefunden werden muss.
Das Ensemble der Schüler:innen wird gut gespielt, doch wird man den Verdacht nicht los, dass sie nicht als lebendige Siebtklässler agieren, sondern als Drehbuchfiguren aus der Feder zweier Erwachsener. Das wird Pubertierenden in ihrer Komplexität leider nicht gerecht und entmündigt die gespielten Schüler:innen. Denn anstatt sie frei umher laufen zu lassen und auch mal irrational, launisch oder auf dem Holzweg zu sein – wie es nun mal Teil des Lebens ist – sind Oskar, Hatice und Ali kleine Erwachsene, die dem Skript verpflichtet sind und Wahrheit, Solidarität und Zensur diskutieren. Die wahre Tragödie des Schulkosmos wäre eben dargestellt, wenn sie die Diskussion nicht auf Augenhöhe mit der Lehrerschaft führen würden, wenn einzelne schulterzuckend die Vorgänge im Lehrerzimmer akzeptieren würden, wenn sie mal gesagt hätten: uns doch egal, wir gucken TikTok.
Mit Carla Nowak ist dem Drehbuch-Team eine vielschichtige Figur gelungen, die von Leonie Benesch nicht gespielt, sondern regelrecht verkörpert wird. Vom Halstuch bis zur Klangschale bringt sie eine deutlich, jedoch nicht überdeutlich gezeichnete moderne Pädagogin auf die Leinwand.
Die Bildgestaltung vermittelt zwar ein kreatives Kino-Erleben, hält aber auch wenig Abwechslung bereit und lässt etwas Frische vermissen. Die penetrante Halbnahe ist dicht an den Figuren, zwingt uns ihre Perspektive auf und erleichtert das Einfühlen. Doch der wortwörtliche „Schritt zurück“, um das Geschehen zu überblicken, fehlt dadurch. Durchgängiger emotionaler Input lässt wenig Raum für eine Reflektion der Faktenlage.
Story, Schauspiel und Bild bilden eine Einheit, die sich gegenseitig stützt, um einen stark emotionalisierten Film zu erzählen.
Abseits der schulpolitischen Diskussionen entrollt sich ein konventionelles, vorausschaubares Drama. Die Figuren sind in ihrem Handeln etwas vorhersehbar, selten agieren sie unerwartet oder entgegen der früh etablierten Konventionen. Carlas Kollege Milosz Dudek ist eine Überraschung, die in seinen Auftritten eine Zwischenposition einnimmt und dadurch die Konstanten ins Wanken bringt. Unentschlossen steht er zwischen den Kolleg:innen, bringt sowohl für Carlas Position Verständnis auf, hat aber nicht den Mut, als ihr Verbündeter der Lehrerschaft entgegenzutreten. Von derartigen Zwischentönen wünscht man sich mehr.
Ein Fall von typischem Naja-Kino: Heute gesehen, bald schon vergessen. Eine spannende, unvorhersehbare Geschichte gibt es nicht zu entdecken, die erzählerische Intention steht im Vordergrund. Obwohl das Drehbuch Wendungen bereithält, sind diese etwas vorhersehbar und weichen nie vom typischen Schema ab oder erkunden Graubereiche. Die Schule ist hier lediglich Bühnendeko, authentische Dynamik zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen ist nicht spürbar. Kann guten Gewissens links liegen gelassen werden.
Artikel vom 8. Mai 2023
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!