Kritik: Die Königin des Nordens
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Königin Margrete (Trine Dyrholm) hat im Jahr 1402 die nordischen Länder zu einem Großreich vereint und steht kurz davor, das befriedete Reich ihrem Adoptivsohn und Prinzen Erik (Morten Hee Andersen) zu übertragen. Doch plötzlich taucht ein Fremder (Jakob Oftebro) auf, der behauptet, Margretes tot geglaubter Sohn zu sein und beansprucht die Krone. Die Norweger sehen in ihm den rechtmäßigen König und versammeln sich hinter ihm, die Schweden wiederum halten zu Prinz Erik – die Union steht unter Spannung. Margrete erkennt als Mutter, dass der Fremde vielleicht wirklich ihr Sohn ist, muss als Regentin aber auch den Frieden des nordischen Bundes sichern.
Das Bild vom Mittelalter, welches uns zurzeit auf Leinwand und Mattscheibe begegnet, ist von zwei gegensätzlichen Kräften beeinflusst: Der düsteren Realität und der magischen Fantasie.
Das Fantasie-lastige Bild vom Mittelalter wurde in den letzten Jahren stark von Game of Thrones geprägt. Bei jedem Schwerterklirren, Pferdegetrappel und Komplott in dunklen Gemäuern fühlen sich viele nach Westeros versetzt und Filme und Serien, welche Geschichten aus dem europäischen Mittelalter erzählen, müssen sich immer wieder gefallen lassen, an der Fantasy-Welt gemessen zu werden.
Gleichzeitig wird die europäische Geschichte dekonstruiert was das Zeug hält und der naiven Wunschwelt der Sagen entrissen. Vom Mythos des galanten Ritters in glänzenden Rüstung, der beim Turnier dem Burgfräulein eine Kusshand zuwirft, bleibt kaum etwas übrig – siehe The Last Duel.
Immerhin dem Vergleich mit GoT soll Die Königin des Nordens stand halten, auch wenn sich gewisse Gemeinsamkeiten nicht von der Hand weisen lassen – ein herrscherloses, zerfallendes Großreich; ein verzogener Bengel auf dem Thron, hinter dem eine Mutter steht und die Fäden in der Hand hält. Doch gibt es hier keine Drachen und statt Untoten besinnt man sich auf einen echten Evergreen im Fundus der Bösewichte: die Deutschen! Im 15. Jahrhunderts in der Form des Deutschen Ordens – genau, die Kreuzritter. Niemand, mit dem man im Mittelalter gern Streit hatte. Der ewigen Weisheit „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“ folgend, vereint Margrete die nordischen Länder, um dem Feind stand zu halten.
Inspiriert von wahren Begebenheiten entwickelt das Drehbuch einen tollen Hauptplot. Zu jedem Zeitpunkt können wir ihm gut folgen, die Figuren und ihre Intentionen erkennen. Jede neue Erkenntnis und Wendung gleicht dem Entzünden einer weiteren Kerze im dunklen Thronsaal. Obwohl einige Klischee-Momente vermeidbar gewesen wären (junger Prinz beim Schwerttraining mit großmäuligem Trainer, der wichtige Lebenslektionen erteilt – Grüße gehen raus an Dune) sind die Hauptfiguren doch nahbar, vielschichtig und gut gespielt. Dominant in Rolle und Schauspiel ist natürlich Trine Dyrholm als Strippenzieherin Margrete.
Verantwortungsvolle Regentin, liebevoll-trauernde Mutter, sie wechselt spielerisch durch alle Facetten ihrer Figur und aus ihrem Gesicht lesen wir das Dilemma – wie kann sie ein Reich zusammenhalten, dass an zwei Enden zu zerreißen droht, noch dazu, wenn eines dieser Enden behauptet, ihr Sohn zu sein?
Sie ist eine kluge Richterin, die das Reich hart in der Hand hat, doch regiert sie nur um des Friedens und der Menschen willen. Paradox ist jedoch, dass im Film die Bevölkerung abseits der oberen Ränge quasi nicht vorkommt, es sei denn, ihr 5-minütiger Auftritt dient dem Plot. Eine Magd wird missbraucht und verschwindet hinter den Kulissen, eine Amme tritt kurz als lügende Zeugin auf, ein Pirat schwingt den Säbel. Es scheint als will man die moderne Geschichte einer progressiven Frau erzählen, die das Volk liebt und zu seinem Wohle herrscht, aber man erzählt sie mit größtmöglicher Distanz zu eben diesem Volk.
Das Drehbuch hat langen Atem, doch fehlen die frischen Ideen. Außer dem Hauptplot gibt es eigentlich nichts zu entdecken. Man vermisst Sideplots, aus dem Nichts auftauchende Indizien, alles das, was moralische Justizdramen spannend macht. So schön gezeichnet die Figuren sind, am Ende fehlt ihnen die Entwicklung, eine neue Wendung. Die Bedrohung von außen bleibt hohle Ankündigung, Spannung von innen ergibt sich keine abseits der Frage „Ist er ihr Sohn oder nicht?“. Ich selbst ertappte mich beim Gedanken: „Wann kommen endlich die feindlichen Soldaten? Ich will Action!“ oder sogar „Ein Königreich für eine Liebesgeschichte!“
Das Gerüst ist stabil, doch drum herum gibt es einfach zu wenig – von allem. Zu wenig Schauplätze, zu wenig Abwechslung, zu wenig lebendige Nebenfiguren. Burgmauerngrau, Leinengrau, dänischer-Himmel-grau, Nebelgrau… Das Tableau bleibt leblos. Die Kulisse ist schön, doch wenn man sich stets zwischen denselben Sets hin- und herbewegt, hat das mehr von Soap Opera als epischem Kinoerlebnis. Die Momente außerhalb der Burg sind erfrischend, aber spärlich; große, opulente Szenen sind quasi nicht vorhanden, der Film fühlt sich äußerst selten wie Kino an. Es ist verrückt, dass dieser Film mit ca. 9 Millionen Euro Budget die teuerste dänische Produktion aller Zeiten sein soll, über weite Strecken wirkt es doch sehr wie TV.
Starke Schauspieler:innen können einen Film tragen, doch benötigen sie manchmal Unterstützung. Diesem Film fehlt es an abwechslungsreicheren Sets, aktiveren Nebenfiguren, philosophischer Tiefe und Momenten, die sich einfach „größer“ anfühlen. Der Hauptplot ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt und nimmt seine Bedeutung als gegeben hin. Stimulation von außen (ernsthafte Gefahr durch die feindliche Armee) oder von innen (aktiv handelnde Nebenfiguren) hätten die Dynamik des Films fordern und vitalisieren können. Plot, komm raus aus der Burg! Das Mittelalter ist mehr als Machtkampf im Thronsaal!
Artikel vom 24. Januar 2022
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