Kritik: Orphea in Love
KEIN LAMPENFIEBER!
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Die begnadete Sopranistin Nele (Mirjam Mesak) fristet in München ein graues Dasein zwischen WG und Callcenter. Engagements für die Bühne erhält sie keine, nur in Tagträumen und im Privaten lässt sie ihre Stimme erklingen. Als sie dem Tänzer Kolya (Guido Badalamenti) begegnet, entsteht ein Band zischen den beiden, geknüpft ohne Worte, sondern aus Kunst. Beide verlieren sich aus den Augen doch verfolgen sich durch das bunte Stadttreiben. Währenddessen haben die Diva Nicoletta (Ursina Lardi) und ihr Agent Höllbach (Heiko Pinkowski) andere Probleme. Nicoletta versagt die Stimme, da erwächst in den beiden der böse Plan, Neles Stimme zu stehlen.
Wann die Oper zuende ist, sagt einem entweder der fallende Vorhang oder ein altes, nicht mehr ganz zeitgemäßes Sprichwort: „Solang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zuende.“ Doch wann beginnt die Oper? In Orphea in Love beginnt sie so unvermittelt, dass man sich beim Zuschauen fragen will: wo bin ich denn hier gelandet? Nach wenigen Minuten sind wir mittendrin, die Leinwand wird zur Bühne und auf dieser wird gleich zu Beginn groß aufgefahren: Die Puccini-Arie Bevo al tuo fresco sorriso türmt sich auf, federleicht und tonnenschwer zugleich, fast vergisst man zu atmen und ist mit hineingenommen in eine Welt, die sonst seltsam fern erscheint.
Die traditionelle Trennung zwischen E- und U-Musik ist wohl nirgends so deutlich wie in der Oper. Je größer, wuchtiger, länger, aber auch ernster die Aufführung, desto besser, so scheint es oft. Oper ist häufig weniger eine Geschmacks- als vielmehr eine Klassenfrage. Axel Ranisch, der höchste Höhen (Grimme-Preis) und tiefste Tiefen (Tatort-Desaster) hinter sich hat, macht sich in seinem Herzensprojekt nun auf, genau diese Trennung von ernster Oper und unterhaltsamen Film aufzulösen, nicht gewaltvoll, sondern tänzelnd.
Es geht dem Regisseur nicht um eine Opernumsetzung mit filmischen Mitteln oder eine musikalisierte Filmsprache. Auch mit dem immer wieder aufblühenden Genre des Musical-Films hat Orphea in Love nicht viel gemein. Die Arien sind nicht expositorisch, häufig sogar losgelöst von der Handlung. Sie dienen nicht als erzählende Elemente, sondern sind schlicht wunderschöne Musikstücke. Opernmusik um der Liebe zur Musik willen. Da braucht es nicht mal Italienischkenntnisse, um zu verstehen, wenn Nele singt und Kolya tanzt: sie liebt ihn, er liebt sie, das kann nicht gut gehen.
Lange Szenen erlauben sich sogar, gänzlich aus der Handlung auszutreten, schärfen die Figuren dadurch aber dennoch. Kolya beispielsweise, Findelkind, Kleinganove und Tanzgenie, spricht kein einziges Wort und ist dennoch erfahrbar. In einer losgelösten Tanz- und Sing-Szene (I Must with Speed Amuse Her) streiten, spielen und jubeln zwei Männern gegen- und miteinander. Maskuliner Hahnenkampf war nie schöner anzusehen. Dass der Film selbst die Aufmerksamkeit von Opernmuffel aufrecht erhält, liegt an seiner spürbaren Leidenschaft, doch auch an der intelligenten Regie. Minutenlange, strikte Plansequenzen und spontane Räume der filmischen Freiheit wechseln sich ab, der Film hält eine geschickte Balance zwischen Choreographie und Improvisation.
Den vielen fabelhaften Schauspielern ist zu verdanken, dass das gut geht. Auf Seite der Improvisierenden steht da Heiko Pinkowski: mit Präsenz und einer auf den Leib geschriebenen Rolle (Sven Marquardt meets Gebrauchtwagenhändler) glänzt er an der Seite von Ursina Lardi. Den Gegenpol zu diesem lustigen Impro-Duo stellen die Protagonisten Mirjam Mesak und Guido Badalamenti. Mit der profitypischen Kontrolle, die sich als Entspanntheit tarnt, bringen sie den Anspruch großer darstellender Kunst in die leichten Szenen. Auf höchstem Niveau performen sie in schwelgerischen Sets, die Aufnahmeleitung sei für die Motivauswahl besonders gelobt.
Einziges, doch schwerwiegendes Manko bleibt die Story. Regisseur Ranisch beherrscht die Inszenierung von Musik und Tanz, er benutzt spontanes Spiel genauso effektiv wie durchgeplante Szenen, in denen jeder Schritt sitzt. Doch den Thrill, die Spannung, die Überraschung kommen ihm abhanden. Gegen Ende möchte die interessante Geschichte zum Ende geführt werden, doch wirkt Spannungsaufbau und Auflösung etwas lauwarm. Neben betörend-schönen musikalischen Momenten mangelt es dem Film an einem wirklich mitreißenden Finale. Das kommt ohne großen Paukenschlag daher. Oder Gesang einer dicken Frau.
Mit diesem Opern-Film gelingt ein kleiner Befreiungsschlag für den deutschen Film. In seiner Balance aus Improvisation und Choreographie geht Orphea in Love über einfaches Erzählkino hinaus und vermittelt eine tiefe, ehrliche Liebe zur Musik. Die Story könnte wesentlich schärfer gezeichnet und straffer erzählt sein, doch Tanz und Gesang sind der nötige, mutige Schritt in die Richtung, Hoch- und Popkultur zu versöhnen.
Artikel vom 16. August 2023
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