Kritik: Roter Himmel
Spiel mit dem Feuer
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Der Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) will an seinem zweiten Roman arbeiten, Felix (Langston Uibel) am Foto-Projekt für die Kunst-Akademie. Die beiden Mittzwanziger fliehen aus Berlin und beziehen ein Ferienhaus an der Ostsee. Fotograf Felix genießt das Leben am Strand, während sich Leon in der Arbeit vergräbt, ohne eine Zeile voran zu kommen. Da hilft es auch nicht, dass durch ein Missverständnis auch Nadja (Paula Beer) im Haus wohnt und mit ihrem Freund Devid (Enno Trebs) für zusätzliche Ablenkung sorgt. Leon ist zunehmend gereizt von den Mitbewohner:innen, die ihr Leben genießen während er es nicht schafft, bedeutende Kunst zu erschaffen. Doch dunkle Wolken am Horizont künden von einer Katastrophe: Seit Tagen steht der Wald in Flammen und die Feuerwehr schafft es nicht, den Brand zu kontrollieren.
Am Ende wird die Metapher real. Das Feuer, das bisher nur am Horizont brannte, weit weg, eher Vorstellung als reale Gefahr, ist plötzlich gefährlich nahe, der Wald steht in Flammen. In diesem Moment, es ist einer der vielen starken Momente des Films, bricht unsere naive Vorstellung davon, dass „Feuer“ in diesem Werk nur eine Metapher sei. Noch schlimmer ist der Bruch jedoch für Leon, hochnäsige Künstlerseele und gematerter Protagonist des Films: Er muss erkennen, dass das Leben kein Buch oder Film ist, sondern schmerzhaft realer, als er es sich gewünscht oder vorgestellt hat.
Leon ist die hochinteressante zentrale Figur in diesem Drama. Er ist handelndes Subjekt, doch genauso Objekt der Erzählung. Sein Charakter wird durch andere gezeichnet, im Zusammenspiel mit seiner Umwelt erkennen wir, wie Leon ist. Sein aktiver, handwerklich begabter Freund Felix offenbart, wie weit sich der in seinem Buch vertiefte Leon von der Außenwelt entfernt hat. Die Eisverkäuferin Nadja lernt Leons arrogante, abgehobene Seite kennen. Zu seinem Verleger befindet sich Leon in einem Abhängigkeitsverhältnis, welches von Ehrfurcht in Abscheu umschlägt, als sich das Verhältnis zu Leons Nachteil verschiebt.
Mit unglaublicher Detailliebe ist Leon als arroganter Künstlertyp so lebendig, dass man sich fragt, ob damit nicht auch ein junges Alter Ego des Drehbuchautors über die Leinwand grummelt. In Dialogen und Gestik wird der Graben zwischen ihm und den anderen Figuren immer tiefer gezogen, egal ob eine Wand, ein Fenster oder ein Tisch zwischen ihnen steht. Nadja ist eine wenig definierte Frauenfigur in einem Dreiecks-Plot – manch eine:r möchte da die Augen verdrehen. Doch zeigt sich die Qualität des Werkes darin, dass es mit unmodernen Figuren einen sehr modernen Film erzählt.
Wie in seinen letzten Kinoarbeiten liegt auch über Christian Petzolds neustem Film ein träumerischer Schleier, der als Teil der Dramaturgie jedoch nach und nach gelüftet wird. Das Urlaubsdomizil im Wald ist ein wahrhaft märchenhafter Ort. Umgeben von einer schweigenden Aura und einem Wald, der die Hindurchschreitenden nach wenigen Metern zu verschlucken scheint. Löschhubschrauber durchschneiden dröhnend wie Drachen den Himmel, jeder Gang zu Strand ist eine kleine Reise. Nun würde es manchem Film reichen, auf dieser phantastischen Ebene zu verweilen und aus Figuren und Umwelt ein kompliziertes Zeichensystem zu entwickeln. Der Wald, das ist die Trennung der Freunde von der Außenwelt. Das Meer, der ewige Sehnsuchtsort junger Erwachsener. Der Waldbrand als weit entfernter Schicksalsschlag.
So geschah es kürzlich in White Noise, in welchem Naturphänomene reine Symbole blieben, deren Bedeutung jedoch nie ganz klar wurde. Roter Himmel ist mutiger. Ein Waldbrand ist hier: ein Waldbrand. Kein Hintergrundrauschen oder Metapher, sondern lebensbedrohliche Gefahr. Der Klimawandel und seine Kollateralschäden gibt es im Film genauso wie Klassismus, Abschätzigkeiten gegen Frauen oder, ganz aktuell, Russenfeindlichkeit.
In den aktuellen dramatischen Aspekten versucht die Geschichte jedoch nicht einfach, Aufmerksamkeit zu erreichen. Alles, was passiert, erzählt die Charaktere. Aus Unfällen, geöffneten Weinflaschen, Feuerkatastrophen und Blicken zwischen Menschen entsteht klassisches Erzählkino. Welch Glück, dass es so etwas noch zu entdecken gibt, während in anderen Filmen viel passiert, aber wenig erzählt wird. Leon, der das Leben rein symbolisch wahrnimmt, für den weder Eis verkaufen noch Dachpappe verlegen wirkliche Arbeit ist, der stattdessen einen vollkommen belanglosen Berlin-Roman tippt – er ist das Mahnmal, vor dem der Film zu warnen scheint.
Sein Künstlerleben, zurückgezogen von allem, in einem magischen Waldhaus, ist schön – aber nicht real. Ein Autor, der, statt schwimmen zu gehen und am sommerlichen Umtrunk teilzunehmen, lieber am Manuskript arbeitet, ist keine tragische Figur, sondern ein trauriger Clown. Poesie ist nur lebendig, wenn sie gesprochen, gelebt wird. Feuer ist keine Metapher, sondern real, genau so wie Liebe. Ohne sich länger hinter großen Worten oder Bildern zu verstecken, spricht der geläuterte Schriftsteller schließlich Nadja gegenüber aus, was er ehrlich denkt und eigentlich offensichtlich ist.
Diese Nadja wird von Paula Beer mit großartiger Präsenz gespielt und ergänzt einen rundum einnehmenden Cast. Wer würde nicht gerne am Tisch vorm Ferienhaus Platz nehmen, das Weinglas in der einen Hand, eine Selbstgedrehte von Leon in der anderen den Gesprächen vom echten Leben lauschend. Und später geht’s dann noch ins Meer.
Kein trockenes Intellektuellen-Drama und kein Katastrophenfilm: Roter Himmel erzählt von einem adoleszenten Sommer am Strand, meidet jedoch große Gesten und nichtssagende Symbolik. Alles ist echt, trotz träumerischer Grundhaltung verschließt sich der Film nicht der realen Welt, sondern nutzt sie für eine Erzählung über einen arroganten Schöngeist, der zurück ins Leben findet. So tiefgründig, so greifbar und so schön ist deutsches Kino selten.
Artikel vom 25. April 2023
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