6.4/10

Kritik: Toxic

IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN?

Genres: Drama, Startdatum: 24.04.2025

Interessante Fakten für…

  • Dies ist das Langfilm-Debut von Saulė Bliuvaitė.
  • Die Regisseurin verarbeitet auch eigene Erfahrungen als junges Model.

Wer schön sein will muss leiden, heißt es. Doch nach diesem Film schmeckt die Binsenweisheit bitter. Der toxische, selbstzerstörerische Alltag von jungen Models wird schockierend erzählt – jedoch ohne den Ursprüngen des Gifts nahezukommen.

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Die Teenagerin Marija (Vesta Matulytė) muss zu ihrer Oma ziehen und langweilt sich in der Nachbarschaft. Nach der Schule beginnt sie Training bei einer Model-Agentur, aber in der Mädchengruppe herrscht eine kühle Hackordnung. Schließlich freundet sie sich mit Kristina (Ieva Rupeikaitė) an und die Mädchen verbringen ihre Nachmittage gemeinsam. Mehr und mehr beginnt das Modeln ihren Lebensalltag zu bestimmen. Kalorien werden gezählt, Mahlzeiten ausgelassen und dann muss auch noch Geld für ein Shooting zusammengekratzt werden…

Süßes Gift

Wenige Wörter haben eine Karriere wie “toxisch” hinter sich. Zunächst ein Begriff auf den Leerbüchern der Biochemie, fand er über Pokémon und Britney Spears seinen Weg in die Popkultur, um dann schließlich durch die internetgetriebene Küchenpsychologie die Alltagssprache zu übernehmen. Heute ist alles toxisch. Männlichkeit natürlich, Beziehungen, Arbeitsverhältnisse aber auch Positivity oder Parenting. Zumeist lässt sich “toxisch” hier einfach mit “schädlich” übersetzen, doch ein spezifisches Merkmal des Giftigen ist, dass es häufig gar nicht als schädlich wahrgenommen wird. In seiner gefährlichsten Ausprägung schmeckt Gift sogar außerordentlich gut.

Der von Saulė Bliuvaitė gewählte Filmtitel liegt damit voll im Trend: Das Gift in ihrer Geschichte ist weder wohlschmeckend noch versteckt sich die Wirkung. Keine der Konsumentinnen scheint es wirklich zu genießen und doch bewegen sie sich weiter abwärts Richtung Model-Karriere. Von der individuellen Motivation der Protagonistinnen erfahren wir wenig, der Drang nach Schönheit ist hier vielmehr kollektiv. Keines der Mädchen hat ein Vorbild in Mailand, London, Paris; keine spricht über ihre Träume und Pläne. Sie modeln, weil man dies eben tut, wenn die Taille schlank ist und weil der einzige Weg aus der Kleinstadt-Tristesse über den Laufsteg führt.

Modeling als Karriere?

Gerade diese graue, industrielle Öde ist eines der kennzeichnenden Merkmale des Films. Kühltürme im Hintergrund, Autowracks im wuchernden Gras, Rost überall und immer. In einer dichten Einheit von Kulisse und Emotionen sind auch die Figuren müde, rostig, ohne verbleibenden Wert für die Gesellschaft. Im emotionalen Höhepunkt des Films, dem vielleicht einzigen Schimmer von Menschlichkeit in dieser verrosteten Welt, verkauft Kristinas Vater sein Auto und drückt ihr das Bündel Scheine in die Hand, damit sie von diesem schrecklichen Ort verschwinden kann.

Das Geschäft mit der Schönheit ist in diesem Film nur eine mögliche Karriere von vielen. Die Geschichte vernachlässigt dadurch jedoch einen wahrhaft toxischen Aspekt des Schönheitswahns – er ist häufig von innerer Motivation getrieben. Marija und Kristina wirken nie wirklich an Tätigkeit interessiert, bei Shootings und Laufsteg-Training ziehen sie Gesichter wie Kinder beim aufgezwungenen Klavierunterricht. Doch wohl kaum jemand wird aus Wunsch der Eltern oder beruflichen Gründen Model. Essstörungen, mentale Instabilität und Zickenkrieg entwickeln sich, weil junge Mädchen sich selbst Druck machen, weil sie selbst es wirklich schaffen wollen. Diese Selbst-Verabreichung des Toxins fehlt im Film genauso wie Social Media.

Keine Ursachenforschung

Keines der Mädchen scheint ein Handy zu besitzen, niemals ist ein Instagram-Reel, eine Werbetafel oder ein Hollywood-Film zu sehen. Woher das ungesunde Körperbild kommt und warum sich junge Mädchen Schmerzen und Stress aussetzen, um die Taille zu verkleinern, wird nicht erzählt. Der Film betrachtet Symptome, doch spürt den Ursachen nicht nach. Dazu gibt es im Kino keiner Pflicht, doch entlässt es die Zuschauer:innen etwas unbefriedigt.

Starke Einzelmomente gibt es zahlreich. Der Nachwuchs-Cast spielt sehr beeindruckend und agiert, als wären nicht Kameras, Scheinwerfer, Mikrofone und dutzende Erwachsene in greifbarer Nähe. Die Teenager-Atmosphäre ist ungefiltert und versetzt zurück in schmerzhafte Momente des eigenen Aufwachsens. Doch ist das, was in Erinnerung bleibt, kurz aufflackernde, schockierende Momente. Über Körperbilder, Selbsthass und Schönheitszwang erzählt der Film überraschend wenig.

Fazit

6.4/10
Mäßig
Community-Rating:
Schauspiel 7.5/10
Tiefgang 4/10
Handlung 7/10
Emotionen 6/10
Atmosphäre 7.5/10
Details:
Regisseur: Saulė Bliuvaitė,
FSK: 16 Filmlänge: 99 Min.
Besetzung: Ieva Rupeikaitė, Vesta Matulytė,

Ähnlich wie der Serienhype Adolescence weiß Toxic, aus seinem Thema das schockierendste herauszuholen, ohne jedoch konsequent die Gründe des Problems zu erforschen. Ungesunde Vorbilder in Social Media oder gefährliche Normschönheit in der Werbung gibt es hier nicht. Das trägt zwar zur Stärke des Films bei: Er vernachlässigt die ohnehin viel diskutierten Gründe und blickt stattdessen auf das Model-Business als Möglichkeit, der tristen Provinz zu entfliehen. Doch diese eindimensionale Erklärung nimmt man dem Film nicht wirklich ab. Junge Frauen wie Marija oder Kristina, die vom Gift des Model-Geschäfts gekostet haben, bewegen sich auf einem Weg, der Körper und Psyche zu zerstören droht.

Artikel vom 3. Mai 2025

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