7.8/10

Kritik: Promising Young Woman

Viel mehr bittere als süße Rache

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Genres: Drama, Thriller, Startdatum: 07.05.2020

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‘Promising Young Woman’ ist ohne Frage der Publikumsspalter der diesjährigen Oscar-Saison. Während die einen den Film für seine zeitgemäße Relevanz loben, empfinden die anderen ihn als inhaltsleer und oberflächlich. Warum der bitterböse Rachethriller so extreme Meinungen provoziert und ob er neben Kontroversen noch mehr auf dem Kasten hat, erfahrt ihr in unserer Kritik.

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#ILikeToMoveIt #Mindfuck #Klassikernerd

Darum geht’s

Das Leben der 30-jährigen Cassie (Carey Mulligan) scheint wie eingefroren. Statt ihren Traum Ärztin zu werden, weiterzuverfolgen arbeitet die ehemals Klassenbeste der Med-School in einem eintönigen Caféjob, wohnt bei ihren Eltern und schottet sich beinahe komplett von der restlichen Außenwelt ab. Auf den ersten Blick deutet nichts an Cassies monotonen Alltag auf ihr düsteres Doppelleben hin. Denn Nacht für Nacht gibt sie sich in den von Neonlichtern erleuchteten Clubs des Ohio-Nachtlebens als sturzbetrunken, um so die Aufmerksamkeit junger Männer auf sich zu ziehen. An diesen Männern und gleichzeitig an einer ganzen Gesellschaft, die ihr Leben zerstörte, übt Cassie Rache. Rache für ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit, welches sie auf einen Pfad voller Trauer und Wut schickte. Doch als der sympathische Kinderarzt Ryan (Bo Burnham) ihr Leben betritt und sich Cassie plötzlich der Weg zurück zu einem normalen Leben auftut, muss sie sich entscheiden: Kann sie die Vergangenheit ruhen lassen oder folgt sie dem Pfad der Rache bis zum bitteren Ende?

Zuckersüße Abgründe

Untermalt mit einer schnellen Orchester Version von Britney Spears Toxic, eingehüllt in knallige Neonfarben und unter dem Motto „Rache war nie so süß“ wirbt der Trailer von Promising Young Woman augenscheinlich für einen bad-ass Revenge-Thriller mit einigen Lachern und einer gnadenlosen Protagonistin im Zentrum. Doch, obwohl sich die stylishe Inszenierung und der geniale Soundtrack durchaus wiederfinden lassen, könnte der Kern des Filmes kaum weiter von den Trailereindrücken entfernt sein. Denn das Regiedebut von Emerald Fennell ist alles andere als lockeres Popcorn-Kino. Unter der Oberfläche der grellen, kunterbunten Welt von Promising Young Woman stecken zahlreiche düstere Abgründe und eine brodelnde Wut, die wie ein Aufschrei der Protagonistin und der Regisseurin zugleich durch den Film hallt.

“Wer braucht schon Verstand? Hat doch noch keiner Frau was genützt.”

Cassie in Promising Young Woman

Die Gesellschaft im bissigen Fokus

Ohne viel Inhalt vorweg zu nehmen, sei gesagt, dass sich Promising Young Woman als zentrales Thema mit Vergewaltigung beschäftigt und es sich zum Ziel setzt, auf schonungslose Art und Weise, mit patriarchalen Strukturen und zahlreichen weiteren Missständen unserer Gesellschaft abzurechnen. Zu diesem Zweck taucht der Film tiefer in die Materie ein, als es sich die meisten anderen trauen würden und trifft nicht selten genau in den Mittelpunkt vieler relevanter Themen. Promising Young Woman will vor allem eines erreichen: provozieren, wachrütteln und eindringlich im Gedächtnis bleiben.

Cassies (Carey Mulligan) Rachegeschichte ist alles andere als kunterbuntes Unterhaltungskino.

Besonders beeindruckend ist die Sorgfalt, mit der der Film an diese Themen herantritt. Promising Young Woman gibt sich nicht mit einer einseitig Behandlung des Themas Vergewaltigung zufrieden, sondern sucht nach den Strukturen und festgefahrenen Vorstellungen, die es solchen Vorfällen weiterhin erlauben zu passieren oder sie sogar vertuschen. Sei es Verdrängung, Pseudo-Feminismus oder Victim Blaming frei nach dem Motto “Sie ist doch selbst schuld, wenn sie sich so anzieht”: Promising Young Woman setzt da an, wo es wehtut und trifft damit nicht selten ins Schwarze.

(Anti-) Heldin auf Abwegen

Vereint werden diese Aspekte in unserer Protagonistin Cassie. Eine Figur, die auf den ersten Blick an einen überzeichneten Racheengel á la Kill Bill oder Revenge erinnert, in der tatsächlich Umsetzung jedoch viel sensibler und nahbarer ist als eine Tarantino-esque Tötungsmaschine. Nicht selten spielt Promising Young Woman auf geschickte Weise mit genau dieser Erwartungshaltung, die wir an typische „starke Frauenfiguren“ im Kino-Mainstream haben und stellt diese Klischees auf den Kopf. Cassie ist zwar eine unglaublich starke Figur, doch ihre Wut findet ihren Ursprung in einer tiefen Verletzlichkeit. So behandelt der Film ihre nächtlichen Rache-Feldzüge nicht als unaufhaltsame One-Woman-Army, die den Sexismus im Alleingang besiegen wird, sondern als hautnahen Spiegel für die Themen, mit denen sich der Film beschäftigt und den grenzenlosen Frust den diese auslösen. Dabei ist besonders spannend, dass Promising Young Woman seine Protagonistin in vielen Szenen wie eine Anti-Heldin darstellt. Cassies Vergeltungsmission wird nicht verherrlicht, sondern eher als destruktiver Selbstzerstörungstrip gesehen, was verhindert, dass der Film in eine simple Oberflächlichkeit abrutscht.

Nicht selten ähneln Cassies Vergeltungstouren einem düsteren Pfad der Selbstzerstörung.

Für all diese Facetten seiner Protagonistin hat Promising Young Woman in Carey Mulligan die perfekte Hauptdarstellerin gefunden. Neben den Bad-Ass Rache Momenten beeindruckt an Mulligans Schauspiel nämlich vor allem durch die Ruhe und Abgedroschenheit, mit der Cassie, seit ihrem traumatischen Vorfall, durchs Leben zieht. In kleinen Gesten und Blicken erzählt Mulligan in diesen Szenen von Trauer, Schmerz und der Sehnsucht nach einem Ausweg aus ihrer Situation. In diesen sensiblen Momenten, abseits des düsteren Racheplots, brilliert Promising Young Woman durch Einfühlsamkeit und Verständnis.

“Jetzt rate mal, was für eine Frau der schlimmste Albtraum ist.”

Cassie in Promising Young Woman

Kitsch vs. kritisch

Doch an manchen Stellen, in denen Promising Young Woman versucht seine gesellschaftskritischen Ansätze mit einer plausiblen Handlung und unterhaltsamen Thriller-Aspekten gleichzeitig zu verheiraten, leidet der Plot unter dem Gewicht der Thematik. So braucht es beispielsweise einiges an Gutgläubigkeit, um davon auszugehen, dass sich eine Frau Nacht für Nacht an den verschiedensten Männern, alleine in deren Wohnung rächen kann, und im Anschluss unbeschadet mit einem Hot Dog in der Hand nach Hause spaziert.

Auf ähnliche Art und Weise werden manche Entwicklungen des Films eher klischeehaft behandelt oder pauschalisiert, um die Themen und die Kritik dahinter deutlicher zu unterstreichen. Zwar sind alle Elemente des Drehbuchs stets eng mit dem zentralen Konflikt des Filmes verwoben und ergeben in diesem Zusammenhang durchaus Sinn. Doch die reflektierte und kluge Art und Weise mit der Emerald Fennell die verschiedenen Schichten der sensiblen Thematik beleuchtet, steht stellenweise im Kontrast zu der, besonders im Mittelteil, Klischee behafteten und vorhersehbaren Ausführung mancher Handlungselemente.

Bis zum bitteren Ende

Dieses Spannungsfeld zwischen Handlung und Thematik wird zu keinem Zeitpunkt deutlicher als in den letzten 20 Minuten des Films. Denn kurz vor der Zielgeraden nimmt Promising Young Woman eine Wendung, die auf den ganzen Film in der Retrospektive in ein anderes Licht wirft. Emerald Fennell entscheidet sich hier für ein konsequentes und schockierendes Ende, dass für viele den Scheidepunkt in der Bewertung des Filmes bedeuten wird und den Film kilometerweit aus jeder erdenklichen klassischen Handlungsbahn herauskatapultiert.

Cassies Verzweiflung treibt sie schließlich über einige Grenzen hinaus.

Während ich die Entscheidung und die thematischen Schlüsse, welche sich daraus ziehen lassen bewundere und nachvollziehen kann, blieb mir beim Abspann, besonders durch die Wahl eines bestimmten Songs und die letzte Einstellung dennoch ein fader Beigeschmack. Es bleibt eine Erfahrung, die jeder selbst erleben und einordnen muss. Eines ist jedoch sicher: Promising Young Woman provoziert, rüttelt wach und bleibt in Erinnerung.

Fazit

7.8/10
Gut
Community-Rating: (3 Votes)
Handlung 6/10
Schauspiel 9/10
Spannung 7/10
Tiefgang 9/10
Emotionen 8/10
Details:
Regisseur: Emerald Fennell,
FSK: 16 Filmlänge: 108 Min.
Besetzung: Bo Burnham, Carey Mulligan,

Ein wütender Weckruf

Promising Young Woman ist kein einfacher Film. Weder um ihn sich anzusehen, noch um ihn auf eine knappe Bewertung oder Zusammenfassung herunterzubrechen. Dafür gehen die Themen, mit denen sich der Film beschäftigt, viel zu weit über die Grenzen und Rahmungen eines herkömmlichen, anderthalbstündigen Dramas hinaus. Doch obwohl die Handlung an einigen Stellen hinkt, um den weiterreichenden Zielen des Filmes das Laufen zu ermöglichen, ist Promising Young Woman ein wichtiger, bissiger Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. Es steht außer Frage, dass der Film mit dieser tief frustrierten und wütenden Energie nicht Wenige vor den Kopf stoßen, irritieren oder sogar aufregen wird. Doch sobald wir uns über den Abspann hinaus mit seiner Thematik beschäftigen, hat der Film sein Ziel mehr als erreicht.

Artikel vom 10. Mai 2021

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