Kritik: Oppenheimer
DER ZERSTÖRER DER WELTEN
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Der Physiker J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) steht vor einer Mammutaufgabe: Er und sein Team sollen die erste Atombombe der Welt zünden, um den zweiten Weltkrieg zu beenden. Ist Oppenheimer anfangs noch von seinem Tun überzeugt, überkommen ihn spätestens seit Hiroshima Zweifel. Daneben muss er sich mit dem Leiter der Atomenergiebehörde, Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), auseinandersetzen, der einen Kleinkrieg gegen ihn führt und versucht, sein Image zu zerstören…
Die Menschen jubeln ihm zu und stampfen mit den Füßen auf den Boden. J. Robert Oppenheimer hat es geschafft. Sein Versuch, eine Atombombe zu zünden, war erfolgreich. Drei Jahre harte Arbeit – all das hat sich ausgezahlt. Oppenheimer tritt vors Mikrofon. Ich bin froh, dass wir diese Waffe nun haben, und ich hätte mir gewünscht, wir hätten sie bereits bei den Deutschen eingesetzt, sagt er. Das Publikum jubelt. Der Krieg – er ist nun endlich vorbei.
Das Stampfen der Zuschauer quillt an zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Plötzlich hört Oppenheimer Schreie – schreckliche, schmerzzerreißende Laute. Er blickt ins Publikum und sieht eine Frau, die ihm gerade eben noch zugejubelt hat. Ihre Haut fängt an, sich von ihrem Gesicht zu schälen. Oppenheimer blickt auf den Boden und entdeckt eine komplett verkohlte Leiche. Er strauchelt. Realität und Einbildung fangen an, sich zu vermischen. Zum ersten Mal sieht sich der Vater der Atombombe mit den Konsequenzen seiner Erfindung konfrontiert.
Das ist eine der beeindruckenden Szenen aus Nolans Oppenheimer, die einem im Kopf herumschwirren, wenn man den Kinosaal verlässt. Es ist ein großer Film mit starken Bildern.
Immer wieder schneidet Nolan in das Geschehenen Bilder rein, von Feuer, Sternen, dem Weltall. Er lässt die Musik, komponiert von Ludwig Göransson, anschwellen, so laut, dass es für den Zuschauer fast unerträglich wird. In anderen Momenten wiederum ist es totenstill im Kinosaal. Als Oppenheimer am 16. Juli 1945 die Atombombe entzündet, hört man danach nichts, außer das Atmen der Wissenschaftler – bis ein Knall die Zuschauer wieder zurückholt. Auch visuell enttäuscht das große Highlight des Films, die erste Explosion einer Atombombe, der sogenannte Trinity-Test, nicht. Vor allem, wenn man den Film im Imax sieht. Dass Nolan Computereffekte nur sporadisch einsetzt und stattdessen mit Sprengstoff gearbeitet hat, zahlt sich aus.
Es klebe Blut an seinen Händen, sagt Oppenheimer zu US-Präsident Harry Truman (wunderbar: Gary Oldman) nach dem Krieg. Dieser will die „Heulsuse“, wie er Oppenheimer hinter seinem Rücken danach nennt, nicht mehr sehen. Noch vor Hiroshima betonte Oppenheimer, nur weil er die Bombe gebaut habe, trage er keine Verantwortung für deren Einsatz. Eine von Wissenschaftlern initiierte Petition gegen die Bombe wollte er nicht unterschreiben. Doch seine Einstellung ändert sich.
Der Film wird in zwei verschiedenen Rückblenden erzählt. In der einen wird Oppenheimer bei einer nicht öffentlichen Befragung angehört. Es geht um die Prüfung seiner Sicherheitsfreigabe, die auf der Kippe steht. Dabei geht es vor allem um Oppenheimers politische Vergangenheit. In einer öffentlichen Anhörung vor dem US-Senat muss sich der Leiter der Atomenergiebehörde Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) den Fragen der Politiker stellen. Dieser führt einen Kleinkrieg gegen Oppenheimer. Dieser Teil wird in Schwarz-Weiß erzählt – Nolans Sympathien sind klar verteilt.
Das Hin-und Herschwenken zwischen den verschiedenen Rückblenden ist teilweise etwas verwirrend, für Nolans Verhältnisse jedoch noch harmlos. Auch driftet der Film nicht zu sehr in die Tiefen der Physik ab, wie zum Beispiel Interstellar.
Nolan wird oft vorgeworfen, er lasse keine Bindung zu seinen Hauptcharakteren zu. Während das bei seinem letzten eher enttäuschenden Film Tenet durchaus zutraf (die Hauptfigur hatte noch nicht mal einen Namen), ist das bei Oppenheimer nicht der Fall. Die Kamera sowie der Zuschauer sind ganz nah dran an Cillian Murphys Gesicht, lässt uns an seiner Gefühlswelt teilhaben. Das ist auch dem grandiosen Schauspieler zuzuschreiben, der in seiner Mimik all das Gesagte und vor allem das Ungesagte widerspiegelt.
„Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“
J. Robert Oppenheimer zitiert aus Bhagavad Gita
Ein Highlight des Filmes sind sicherlich die Szenen zwischen Oppenheimer und Albert Einstein, die sich auch im echten Leben getroffen haben. Die beiden haben zwar nur wenige Dialoge miteinander, doch in diesen Sätzen steckt mehr Substanz als in so mancher Netflix-Serie. Einstein hat mit seiner Relativitätstheorie die Physik revolutioniert. Nun ist er ein Wissenschaftler, dessen beste Jahre hinter sich liegen, der zusieht, wie die großen Denker der Zeit ohne ihn weitermachen. Für den Zuschauer ist es interessant, auch mal diese Seite Einsteins zu sehen.
Es gibt wenig, was man dem Film vorwerfen kann. Da wäre einmal die breite Masse an Nebencharakteren, die den Zuschauer teilweise überfordern. Es werden Namen in den Raum geworfen, die man nicht zuordnen kann. Leider sind auch die beiden Frauenfiguren blass und tragen nur dazu bei, dem männlichen Hauptcharakter eine Motivation zu geben – ihre eigene Persönlichkeit kommt zu kurz.
In der letzten Szene schaut Oppenheimer in den Himmel. In seinen Augen spiegelt sich die Welt, die von einem Feuerball komplett verschlungen wird.
Oppenheimer ist ein Film, der visuell, von der Kameraführung, Musik, Schnitt und Schauspiel nicht zu toppen ist. In typischer Nolan-Manier wird er in verworrener Reihenfolge erzählt und man ist ganz nah an seinem Protagonisten dran.
Artikel vom 27. Juli 2023
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