Kritik: Possessor
DER FEIND IM KOPF
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In einer nahen Zukunft existieren hervorragend ausgestattete Geheimorganisationen, die eine ganze bestimmte Technik besitzen: Ihnen ist es möglich mithilfe eines Implantats, das Bewusstsein einer ihrer Spione in eine zuvor gekidnappte Person zu laden und deren Körper zu übernehmen. Tasya Vos (Andrea Riseborough) ist einer dieser Topspione und hat schon zahlreiche dieser Jobs erledigt, alles unter Aufsicht der Leitung Girder (Jennifer Jason Leigh). Gezielte Attentate, Mord, Suizide oder andere Grausamkeiten: Es wird alles durchgeführt, was der Kunde verlangt, wenn er entsprechend zahlt.
Ihr neuster Job wirkt für Vos zwar wieder wie reine Routine, verläuft aber problematischer als sie geahnt hätte. Sie begibt sich ungewollt in ein zermürbendes Psychoduell…
Possessor ist ein außergewöhnlicher und blutrünstig unangenehmer Sci-Fi Thriller.
Angefangen mit der Ausgangshandlung: Die Idee, einen fremden Wirt, ein Bewusstsein in seinem eigenen Körper zu beherbergen, mag zwar für das Genre nicht wirklich neu sein. Cronenberg schafft es jedoch, diesen schon oft erlebten Sachverhalt in der Science-Fiction mithilfe von alptraumhaften Sequenzen zu untermauen und erzeugt so eine Unwohlsein beim Zuschauer. Gepaart mit der unbehaglichen Musik und der sehr kühlen wie statischen Kameraarbeit wird man Zeuge, wie sich vor einem eine nahe Zukunftsvision öffnet, welche sich nicht allzu sehr von unserer unterscheidet. Das ist faszinierend, da diese, ohne zu überlegen, eher einer Dystopie ähnelt als etwas anderem. Vehemente Überwachung, Ausbeutung und Misshandlung des Individuums:
Das sind unter anderem Motive, die der Film aus unserer Zeit leiht, nur um diese konsequent weiterzuentwickeln und auf die Spitze zu treiben.
Außerdem ist der Stil der Ausstattung noch positiv hervorzuheben, da dieser ganz bestimmte „Retro Future“-Look perfekt zu dem Rest des Gesamtbildes passt.
Wer bin ich, wenn nicht der Körper, den ich lenke? Und lenke ich überhaupt meinen Körper?
Wenn nicht, war ich schon immer allein?
Diese Themen greift Possessor geschickt auf, und schafft es diese visuell und schauspielerisch brillant umzusetzen. Riseborough und Abbot liefern sich ein mentales Duell, welches über die eigene Körperlichkeit hinausgeht und auf einer transzendenten Ebene ausgetragen wird. Diese Momente sind großartig gefilmt, extrem gut gespielt und tragen eine gewisse Faszination in sich.
Das liegt zum einen daran, dass dies sehr unverbraucht wirkt, zum anderen an der handwerklichen Wucht dieser Momente.
Das gilt auch für die wenigen, aber hervorragend platzierten Gewaltspitzen in Possessor. Diese erfüllen nie reinen Selbstzweck, sondern erzeugen eine klaffende Diskrepanz zwischen Riseboroughs Charakter in ihrem Körper und ihrer Figure in Abbots Körper.
Bleibt sie dieselbe? Ist ihr der freie Wille noch gestattet? Oder nutzt sie ihre Arbeit schamlos aus, um ihrem leidlich langsamen und lähmenden Alltag zu entkommen?
Für ihre Figur wird eher der Alltag außerhalb der Arbeit zum wahren Horror. Alles was ihr in einem anderen Menschenanzug zustößt ist Routine, Gewohnheit. Selbst wenn der Inhalt ihrer Tätigkeit darin besteht, fremde Menschen und deren Leben auf grafischste und bestialischste Art und Weise zu zerstören.
Die Geschichte bleibt bis zum Schluss spannend. Es gibt einige Momente, in denen sich der Film in eine andere Richtung entwickelt und man mit den kommenden Minuten nicht rechnet. Gerade das Finale oder der Turning Point sind so fies, temporeich inszeniert und radikal, dass ich mich des Öfteren von Possessor durchgeschüttelt fühlte – von der psychedelischen Musik, den wahnsinnig befremdlichen, aber vertrauten Sets, die mir eine alternative aber retroartige Zukunftsvision vorgaukelten, von den fiebertraumartigen Traumsequenzen und der plötzlich explodierenden Gewalt.
Vor allem will ich Possessor abschließend zugutehalten, dass er einen subversiven, doppelten Boden besitzt. Als spannender, heftiger Science-Fiction Thriller erledigt er schon seinen Job, doch die leicht philosophische Note, die sich auf jeden Zuschauer individuell übertragen lässt, ist einer der kleinen Angelhaken, die sich bei mir im Hirn festgefressen haben.
Vielleicht erfinden wir unser eigenes Ich täglich neu, um Handlungen und Gedanken zu rechtfertigen, die wir am Vortag noch verteufelt hätten. Machen ich das nicht regelmäßig?
Und wenn ja, wer bin “Ich” überhaupt. Ist das “Ich”, welches diesen Text schreibt, das selbe, wie das, welches vor Kurzem den Film angesehen hat? Wie kann man sich jemals sicher sein, wer eigentlich wirklich die Kontrolle hat?
Oder ist es euch noch nie untergekommen, Entscheidungen bewusst falsch zu treffen, obwohl ihr euch dessen im Klaren seid, dass es eine bessere Alternative geben würde?
Es ist interessant, wie Possessor es schafft, neben seinem spannenden Hauptplot eine kleine Mikroebene im Kopf des Zuschauers bedient und durch die abstrakte und fremdartige Erzählung einen ganz einfachen Sachverhalt ausspricht und manifestiert.
Einen Sachverhalt, der mich noch lang nach dem Schauen beschäftigt hat und zu einem Gedanken gewachsen ist, der mich erstmal nicht loslässt.
Possessor ist Science-Fiction Horror wie es besser nicht sein kann: verstörend, philosophisch und hart. Nach dem eher mittelmäßigen Antiviral liefert das Erbe der Cronenbergischen Horrorschmiede einen fieses und wuchtiges Werk ab, welches vielversprechender für Brandon Cronenbergs Zukunft als Filmschaffender nicht sein könnte. Man darf gespannt sein, was als nächstes auf uns zu kommt – Ich bin es jedenfalls.
Artikel vom 13. Mai 2022
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