6.3/10

Kritik: Weißes Rauschen

Verschwörung gegen das Leben

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Genres: Drama, Mystery, Startdatum: 08.12.2022

Interessante Fakten für…

  • “Weißes Rauschen” beschreibt das Störgeräusch, welches beispielsweise beim Radio oder TV auftritt, wenn keine Sendefrequenz eingestellt ist.
  • Das College, an dem Jack unterrichtet, ist fiktiv und schlicht “College on the hill” benannt.
  • Der Soundtrack ist von Danny Elfman komponiert.

Unbequeme Wahrheit: Wir alle müssen sterben. Gute Kunst ist immer auch eine Erinnerung daran und eine Möglichkeit der Therapie. In “Weißes Rauschen” haben Hitler-Wissenschaftler, giftige Chemie-Wolken und deutsche Nonnen etwas über das Leben zu erzählen. Doch das ist zu viel des Guten.

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Jack Gladney (Adam Driver) ist Professor und Hitler-Experte an einem US-College. Mit seiner Frau Babette (Greta Gerwig) und vier Kindern lebt er ein chaotisches, doch glückliches Leben. Die Eltern belastet die Angst vor dem Tod, sowohl im offenen Gespräch als auch still im Geheimen. Als bei einem Chemie-Unfall eine giftige Substanz in die Atmosphäre gerät und die Stadt evakuiert wird, steigt die Angst von Jack und Babette vor dem nahenden Ende. Babette flüchtet sich in die Therapie mit einem mysteriösen Medikament, Jack macht sich bereit, dem Tod ins Auge zu sehen.

Zu viel. Von allem.

Meine Güte, was hier nicht alles los ist! Dabei begann doch alles ganz unschuldig. Jack geht seiner Arbeit am College nach, doch schnell schleicht sich ein Schatten ein, der den Rest des Films dominieren soll: Der Tod. An jeder Ecke, hinter unzähligen Masken versteckt er sich und verfolgt die Familie Gladney. Nicht als Killer mit gezücktem Messer, sondern als geduldiger Verfolger am Horizont. Wenn er über Attentate auf und Verschwörungen gegen Hitler referiert, stellt Jack fest: „Jeder Plot hat den Tod als Ziel“. Ein cleveres Wortspiel, denn im Englischen bezeichnet „Plot“ sowohl eine Verschwörung als auch den Fortlauf einer Geschichte. Soviel verrät der Protagonist also vorweg: Dieser Film läuft auf Tod hinaus. Don Delillo, Autor der Vorlage, ist einer der prägnantesten zeitgenössischen US-Schriftsteller, seine Romane jedoch selten handlungsgetrieben, sondern Eisberge, die unter ihre Oberfläche einen dunklen Blumenstrauß von Verschwörung, Tod, Medien, Krieg und Baseball auffächern. Um seine volle Pracht zu entfalten brauchen diese Werke Zeit und Platz zwischen den Zeilen um zu atmen und die Eindrücke sacken zu lassen. Die 136 Minuten Spielzeit von Weißes Rauschen scheinen noch zu eng für den Ideenreichtum des Drehbuchs. Es passiert zu viel. Der erste Akt verwirrt mit seiner ziellosen, uninteressanten Erzählweise, die erste Motive einführt – oder sollte man eher sagen: die den Zuschauer mit Motiven überschüttet.

Als die Katastrophe hereinbricht, verlagert sich das Gewicht des Films deutlich in die Richtung eines Mystery-Thrillers. Als Symbol für die über Jack und Babette schwebende Todesangst drückt die giftige Gefahr deutlich auf die Stimmung. Aus der zunächst romantischen Todessehnsucht wird bald blanke Angst. Das Ende, eine dermaßen unerwartete Wendung, dass man sie wohl niemandem glaubhaft erzählen könnte, stürzt den Plot ins Bodenlose, fängt die Zuschauer:innen aber in einem lebensbejahenden Netz auf: Zwar gibt es keine Gewissheit im Leben, keine Religion, keine Fakten, keine Medienmacht – doch wir müssen einfach weitermachen, aus eigener Kraft, sonst sind wir verloren.

Weltuntergangs-Sitcom mit Thrill

Es gibt also viel zu erzählen, doch lenkt die wilde Melange aus Komödie, Endzeit-Drama und Thriller stark vom Erzählten ab. Was gleich auffällt: Die Witze zünden nicht. Wenn in schnellen Dialogen Hitler mit Elvis verglichen wird und naseweise Kinder mit ihren Eltern debattieren, kann das in den Programmkinos der Welt vielleicht einige intellektuelle Lacher generieren, doch wirkt es immer etwas fehl am Platz und bringt die Figuren ins Wanken, anstatt sie ernsthaft zu entwickeln. Gerade zu Beginn des Films fragt man sich immer wieder: sehe ich einen Film, der etwas erzählen will oder eine seichte Sitcom?

Eines der vielen Motive des Films ist der Hagel an Informationen und Fakten, die auf den modernen Menschen einprasseln wie Produkte in einem Supermarkt. Dieses Motiv funktioniert aber nur mittelmäßig – vor allem nervt es. Seitenweise Dialogzeilen werfen Fakten und Informationen in den Raum, beim Lunch in der Uni-Mensa fliegen Aussagen wie Maschinengewehr-Salven über den Tisch. Mediale Berichterstattung und Fakten-Wahnsinn im Informationszeitalter – eine spannende Diskussion, die hier jedoch erdrückend ausgerollt wird, man erinnert sich im Strudel der Eindrücke später kaum daran. Der Plot um die toxische Katastrophe zieht viel Aufmerksamkeit auf sich und wird damit zum unglücklichen Höhepunkt in einem Film, der eigentlich viel mehr könnte. Als man kurz davor ist, das Interesse zu verlieren, betritt die Giftwolke die Bühne, bauscht sich auf und verschwindet wieder. Es ist eine Metapher, ein Traum – doch dafür viel zu groß, zu lang, zu wuchtig, sie begeht einen Fehler, der einen Metapher nie unterlaufen sollte: Sie überschattet das, was sie eigentlich darstellen soll.

Untergang im Rauschen

In wenigen Momenten wird es wirklich dramatisch, dann laufen auch die Schauspieler:innen warm, ansonsten ist die Leistung jedoch träge und einschläfernd. Ob hinter dem leblosen Spiel, wie etwa in den Filmen von Yorgos Lanthimos, ein Konzept steht ist schwer zu sagen, doch vor allem Frontman Adam Driver ist unglaublich lau. Ohne Höhen und Tiefen spielt er die Vaterrolle in der unfreiwilligen Sitcom an die weite Teile des Films erinnern. Zu keinem Moment wirkt er wie ein Vater oder Universitäts-Professor, seine Gestik und Handgriffe lassen jegliches Einfühlvermögen in die Rolle vermissen.

Leider bleibt Weißes Rauschen eine komplizierte, überfüllte und letztlich missglückte Adaption. Das Fundament ist da und scheint an jeder Ecke durch: die Erkundung der existentiellen Todesangst der Protagonist:innen. Doch im Dschungel anderer Themen wird dieser Pfad häufig verlassen, die Inszenierung verliert sich in Nebenschauplätzen. Es geht in diesem Film nicht um die giftige Wolke. Es geht nicht um Hitler, es geht nicht um die mysteriösen Tabletten, mit denen Babette gegen ihre Angst kämpft. Es geht um etwas ganz anderes. Doch was das ist, ist schwer auszumachen, übertönt vom weißen Rauschen des Films.

Fazit

6.3/10
Mäßig
Community-Rating: (1 Votes)
Spannung 5.5/10
Tiefgang 7.5/10
Atmosphäre 6/10
Handlung 6/10
Schauspiel 6.5/10
Details:
Regisseur: Noah Baumbach,
FSK: 16 Filmlänge: 136 Min.
Besetzung: Adam Driver, Don Cheadle, Greta Gerwig, Jodie Turner-Smith, Lars Eidinger,

Trotz mehr als zwei Stunden Erzählzeit ist der Film stark komprimiert, Erzählfiguren und Motive sind wie in einem dicken Paket zusammengepresst. Lange nach dem Abspann entfaltet sich das Gesehene in der Rückschau, doch im Filmfluss lenken die vielen Wendungen und Umwege ab. Das monotone Schauspiel und gewollt humoristische Untertöne machen alles nur schlimmer. Wenn am Ende alle Fäden zusammenlaufen, werden viele bereits mental abgeschaltet haben.

Artikel vom 16. Dezember 2022

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