Review: Bridge of Spies – Der Unterhändler
WAS IST DENN HIER PASSIERT, HERR SPIELBERG?
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New York, 1960. Der sowjetische Spion Rudolf Abel wird vom FBI festgesetzt. Die aufgeheizte Stimmung der US-Bürger fordert den Tod des Agenten. Elektrischer Stuhl. Einen fairen Prozess scheint es nicht zu geben. Doch dann übernimmt Jurist James B. Donovan (Tom Hanks) die Verteidigung des Staatsfeindes.
Donovans Devise: eine faire Verteidigung steht jedem zu. Sogar dem Feind. Also beschäftigt sich die erste Hälfte des Films mit dem Gerichtsverfahren und allem was dazugehört. Der Anfang des Films ist sicher die längste Einleitung die ich je gesehen habe, denn erst nach rund 75 Minuten geht es richtig los. Nämlich nach Berlin, dem deutlich spannenderen Spielort, denn dort wird gerade eine Mauer gebaut. Der Ostsektor sperrt seine Bürger ein.
Als Unterhändler soll Rechtsanwalt Donovan mit den Ostmächten einen Gefangenenaustausch ausarbeiten. Sowjetspion Rudolf Abel (faszinierend gespielt von Mark Rylance) gegen einen US-Aufklärungspiloten, der in russischem Luftraum abgeschossen wurde. So viel zur Handlung des auf wahren Begebenheiten basierenden Film.
Tom Hanks ist ein Ausnahmeschauspieler. Meist spielt er den bescheidenen Mann von nebenan. Oft spielt er ziemlich das Gleiche. Dennoch überzeugt er immer und das obwohl er sein Schauspiel nur selten neu erfindet (Forrest Gump mal ausgenommen). Tom Hanks ist wie Cola. Gleiches Rezept. Konstanter Erfolg.
Die Tom-Hanks-Formel greift auch in Bridge of Spies. Donovan ist ein aufrichtiger und ehrlicher Mann. Würde man Donovans Wohnung durchsuchen, würde man sicher nichts anrüchiges finden. Nicht mal einen Playboy. Ob in Zeiten von zwielichtigen Protagonisten wie Walter Heisenberg in Breaking Bad der nette und oft langweilige Mann von nebenan noch immer die beste Wahl für einen Hauptdarsteller ist fraglich.
Sicher ist aber, dass Tom Hanks nach wie vor ein brillanter Schauspieler ist. Es ist eine Freude ihm zuzuschauen. Ohne ihn würde der Film floppen. Spannung kommt bei einem so eindeutig “guten” Charakter aber nicht auf. Aber wollen wir heutzutage nicht gerade spannende Hauptdarsteller? Schluss mit durchsichtigen und einseitigen Figuren! Wollen wir Protagonisten, deren Handeln man Schritt für Schritt vorhersagen kann? Ich nicht.
Neben Tom Hanks legt auch der restliche Cast eine sehr gute Performance hin. Bis in die kleinsten Rollen, die teilweise auch mit deutschen Schauspielern besetzt sind, kann man die Regieerfahrung Spielbergs bemerken. Hilfreich war hier sicher, dass die, für ihre schrägen Figuren bekannten Autorenfilmer John Coen und Ethan Coen (Fargo, Burn after Reading, The Big Lebowski) am Drehbuch beteiligt waren. Alle Figuren des Films sind einzigartig und unterscheiden sich von einander. Jeder ist eine eigenständiges Wesen. Jeder spielt eine andere Rolle. Dennoch entwickeln und verändern sich die Charaktere quasi nicht. So wie sie zu Beginn des Filmes sind, so sind sie auch noch am Ende. Laaaaaaangweilig!
Am beeindruckendsten an Bridge of Spies ist das Setdesign, zu deutsch, das Szenenbild. Mit großer Detailverliebtheit und beeindruckender Authentizität erschaffen die Filmemacher eine glaubwürdiges und stimmungsvolles Nachkriegs-Berlin. Man hat wirklich das Gefühl, als sei der Film inmitten des Kalten Kriegs gedreht worden. Vom kleinsten Detail bis hin zur aufwendig inszenierten Errichtung der Berliner Mauer entsteht eine eindrucksvolles Panorama vergangener Zeit. Außerdem lernt der Zuschauer, was man alles aus einer Dollar-Münze bauen kann.
Durch diese Welt führt die Kameraarbeit von Janusz Kamiński. Mit ruhiger und sanfter Hand führt er den Zuschauer durch den Film. Es gibt keine selbstverliebten Kamera-Zirkusnummern stattdessen ist die Kamera eine ruhige und etwas schüchterne Beobachterin und lässt den Schauspielern dadurch umso mehr Raum und Platz. Die gefühlsvolle und bewegende Bildgestaltung in Bridge of Spies ist ein dickes Plus des Films.
Wer sich aktuelle amerikanische Filme und Serien genauer anschaut, dem wird ohne Zweifel aufgefallen sein, wie (mindestens seit der Bush-Regierung) Folter und Selbstjustiz in Hollywood-Filmen ein akzeptiertes Mittel vieler Hauptdarsteller geworden sind: Marvel-Helden üben Selbstjustiz. Ohne Kontrolle durch Staat und Justiz bestimmen sie was gut und was böse ist. In diversen Kriegsfilmen werden zivile Opfer als bedauernswerter Verlust, aber notwendiges Übel eingestuft. In 96 Hours soll das Publikum Bryan Mills (Liam Neeson), der seine entführte Tochter zu finden versucht, brutalste Folterpraktiken durchgehen lassen. Und auch in der preisgekrönten Serie Homeland findet ein großer Teil aller nachrichtendienstlicher Aktionen außerhalb der Rechtsstaatlichkeit statt. Gekrönt wird diese Entwicklung durch die Polit-Serie House of Cards. Jetzt weiß das amerikanische Publikum, dass man es sogar als kaltblütiger Mörder bis ins mächtigste Amt der Welt schaffen kann.
Und was hat das mit Bridge of Spies zu tun?
So ziemlich nichts und so ziemlich alles, denn der Agententhriller ist ein Gegenpol zur vorherrschenden Marschrichtung Hollywoods. Rechtsanwalt James B. Donovan ist ein Anker der moralischen Überlegenheit in einem aufbrausenden Sturm. Er ist die Rechtsstaatlichkeit in Person eines bescheidenen Mannes. Bridge of Spies fühlt sich an wie Nachhilfeunterricht in Verfassungsfragen für US-Amerikaner.
In einem Streitgespräch mit einem CIA-Beamten erklärt Rechtsanwalt Donovan, was einen US-Bürger im Kern ausmache: Seine Treue zur Verfassung. Wer sich daran halte, der zeige dem unfreien sozialistischen Block, dass die USA zu ihren Werten der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit stehe. Das klingt patriotisch, ist es sicher auch. Toll an Bridge of Spies ist aber, dass der übliche US-Pathos komplett ausbleibt. Alle “westlichen Werte” verknüpft Spielberg geschickt mit seinem Hauptdarsteller. Keine US-Flaggen in Zeitlupe, keine abgedroschene Trompetenmusik zu in den Sonnenuntergang marschierenden Soldaten. Sehr angenehm. Aber auch ein bisschen langweilig.
Steven Spielberg hat sicher schon einmal Argo gesehen. Einen gnadenlos spannenden Politthriller von und mit Ben Affleck. Wenn er vor hatte einen ähnlichen Film zu drehen, denn Parallelen gibt es, dann ist er gescheitert.
Denn einen genauso packenden historischen Thriller wie Argo hat Spielberg definitiv nicht hinbekommen. Bridge of Spies ist vor allem langatmig. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. In Zeiten sinnfreien Baller-Baller- bzw. Balla-Balla-Kinos á la Michael Bay tut ein ruhiger Film, der kleine Akteure eines großen Konflikts unter die Lupe nimmt, als Abwechslung sehr gut. Doch fehlt es Bridge of Spies an Spannung, an Action und an einem guten Plot. Die Teilung des Films in zwei Hälften verhindert, dass man so richtig in die eine, wie auch in die andere Story hineinfindet. Die dramatischsten und beeindruckendsten Szenen finden sich bereits im Trailer. Viel mehr Action gibt’s nicht.
Bridge of Spies kann sich also nicht entscheiden, ob es lieber ein Gerichtsdrama oder ein Agentenfilms sein will. Beides bekommt Spielberg nicht unter einen Hut. Auch wenn im Film alle sehr breitkrempige Hüte tragen.
Außerdem: Was für ein kitschiges Ende. Denn “Zum Glück gibt es Amerika, hier ist alles gut, wir sind alle gut.” Da hatten sogar die letzten zehn Minuten von Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 2 weniger Pathos.
Jetzt mal ehrlich: der Kalte Krieg böte so viel aufregende Settings, soviel mögliche Action und vor allem soviel prickelnde Spannung. Aber warum lieber Herr Spielberg, dann nicht auch eine dieser etlichen spannenden Storys verfilmen?
Bridge of Spies endet (wie hätte es anders sein können?) mit einer Textgrafik, die uns erklärt, wie es mit den Hauptcharakteren nach der soeben erzählten Story weiterging. Aus den dort skizzierten Punkten des späteren Lebens Donovans, hätte man sicher eine deutlich mitreißender Geschichte erzählen können. Dann bitte beim nächsten Mal, Herr Spielberg!
Artikel vom 28. November 2015
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