Kritik: The Revenant – Der Rückkehrer
LEONARDO DICAPRIO – DER MIT DEM BÄR TANZT
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Wildnis Nordamerika. Eisig, kalt und verschneit. Irgendwann im 19. Jahrhundert kämpft sich eine Gruppe von amerikanischer Pelztierjäger durch das Gebiet feindlicher Indianerstämme. Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), der als Scout für die Jäger arbeitet, wird von einem ausgewachsenen Grizzly-Bär attackiert und lebensgefährlich verletzt. Sein Trupp versorgt ihn zunächst fürsorglich. Doch schwieriges Gelände und die Eiseskälte der Wildnis lassen die Gruppe irgendwann aufgeben. Mit Glass bleiben zwei weitere Männer der Truppe zurück. Fitzgerald (Tom Hardy) und der junge Bridger (Will Poulter) sind beauftragt, am Totenbett des Sterbenden zu wachen, und ihn, nach Eintritt des Todes, würdig zu bestatten. Doch Fitzgerald hat nur sein eigenes Überleben im Sinn, und lässt Hugh Glass allein im Nirgendwo zurück. Das ist aber nicht alles. Fitzgerald hat dem Sterbenden seinen wertvollsten Schatz geraubt… Ab jetzt gibt es nur noch einen Gedanken für Glass: Rache. Doch dazu muss der Todgeweihte erst einmal ins Leben zurückfinden.
Die Geschichte von Hugh Glass ist von wahren Begebenheiten inspiriert. Ein Satz, mit dem erstaunlicherweise wenig geworben wird. Normalerweise prahlt man damit doch gerne, setzt es in Großbuchstaben vor den Beginn der ersten Szene. Nicht bei The Revenant. Aber jetzt weiß jeder Bescheid, dass es sich hierbei nicht um ein überzogenes Hollywood-Skript handelt. Denn dieser Gedanke könnte sich aufgrund der Unfassbarkeit des Gesehenen schnell in den Kopf drängen.
Wir bekommen diesen Januar gleich zwei “Western mit sehr viel Schnee” serviert. Beide stammen von absoluten Ausnahmeregisseuren, und beide könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Rede ist natürlich von Quentin Tarantinos Film The Hateful Eight. Im Gegensatz zu diesem Streifen, der im Prinzip ein dreistündiges Kammerspiel in einer Hütte ist, handelt es sich bei The Revenant um das exakte Gegenteil. Riesige Landschaftsaufnahmen, eine endlos weite Wildnis, und eine Atmosphäre konstant unter dem Gefrierpunkt.
The Revenant ist ein Film der Extreme. Die Aufnahmen des Oscar-gekrönten (Birdman) Kameramanns Emmanuel Lubezki unterstreichen das umso mehr. Landschaftsaufnahme zeigen uns die Pracht und die Erbarmungslosigkeit der eisigen Wildnis Nordamerikas und betten die Handlung in ein absolut überzeugendes Umfeld. Überhaupt wirkt an dem Film nichts gestellt, nichts unecht. Statt selbstverliebter Special Effects kramt The Revenant zu altbewährten Methoden: Kostüm, Maske und Set Design ziehen uns in das Geschehen und lassen uns vergessen, dass es sich hier um einen “Spiel”-Film handelt. Jede einzige Einstellung sieht so grandios aus, dass man aus jeder Sekunde Film ein beeindruckendes Plakat drucken könnte. Lange Kameraflüge über verschneite Wälder, Nahaufnahmen von Grashalmen, die im Schnee emporragen, und Einstellungen in eiskalten Gebirgsbächen; die Natur wird in jedem Quadratzentimeter spürbar gemacht. Man fängt an im beheizten Kinosaal zu frösteln.
Hinzu kommt, dass der Film ohne künstliche Beleuchtung gedreht ist. Sämtliches Licht stammt einzig und allein von der Sonne, Lagerfeuern oder Kerzen. Und das merkt man: The Revenant ist real, sieht aber dennoch nicht aus wie eine Wackelkamera-Dokumentation des lokalen Fernsehsenders. Statt dessen handelt es sich um Kino auf ganz hohem Niveau. In Charakterszenen geht Lubezki mit der Kamera ganz nah ran. Seine Bilder ergründen die Seele der Charaktere und zeigen deren intimsten Schmerz und deren Überlebenskampf so unmittelbar, dass man oft am liebsten wegschauen will. Dennoch hat der Film es nicht nötig Gewalt und Schmerz liebevoll zu inszenieren, wie es bspw. Tarantino tun würde. In der Welt von The Revenant gehört Tod, Gewalt und Leid einfach dazu. Kein Grund wegzuschauen, kein Grund das ganze zu stilisieren. Ein Punkt, der unter anderem die Magie des Filmes ausmacht, denn dadurch fühlt sich alles umso realer an.
Mit einer Laufzeit von 156 Minuten, ist The Revenant ein ganz schöner Brocken. Doch der Film ist so intensiv und beeindruckend, dass man die Zeit sehr schnell vergisst. Lange ungeschnittene Sequenzen schmeißen uns mitten ins Geschehen. Wenn DiCaprio mit einem Grizzly um sein Leben ringt, stöhnt und ächzt das Kino synchron zu den Schmerzensschreien des Protagonisten mit. Doch diese Szene ist nur einer von vielen Momenten, die einem den Atem gefrieren lassen. Jede Actionszene ist schmutzig und mit beängstigendem Realismus inszeniert worden. Definitiv kein Film für die Zartbesaiteten unter euch.
Denn The Revenant ist roh: rohes Fleisch, rohe Gewalt, keine Zusätze. Die Filmemacher schicken die Charaktere zurück in die Urzeit. Unter Fellen verschwinden deren menschliche Umrisse, die gnadenlsoe Wildnis nimmt ihnen die Menschlichkeit und Zivilisation. Nackt bis auf die Ur-Instinkte. Keine Gefühlsduselei sondern blanker Überlebenskampf. Wenn der Film irgendwann mal als Home Entertainment verfügbar ist: am besten The Revenant im Skiurlaub mit einer Kanne warmem Tee genießen.
Wer The Revenant anschaut muss sich warm anziehen. Und trotzdem versprechen wir, dass der Film unter die Haut gehen wird. Dagegen kann man nichts machen. Neben der ganzen Erbarmungslosigkeit zeigt der frostige Film aber auch Schönheit und Eleganz. Was hier zu sehen ist, ist auf jeden Fall eine der besten Kameraarbeiten der letzten Jahre. Es gibt Trackingshots zu bewundern, die sich über Minuten hinziehen, und bewirken, dass man sich pausenlos fragt, wie das Team all das an einem Stück in den Kasten bekommen hat (ein Stilmittel, dass Iñárritu und Lubezki bereits in Birdman zur Perfektion brachten). Hinzu kommt ein hypnotisierender Soundtrack, der die Grenzen zwischen Realismus und faszinierendem Surrealismus verschwimmen lässt.
Leonardo DiCaprio kämpft, blutet, grunzt, weint, rotzt und kriecht um sein Leben. Mit klassischem Schauspiel hat das nur noch wenig zu tun. Hier gibt es keine “Schau” und kein “Spiel”, nur den Kampf ums Überleben. Auch wenn DiCaprio im Film nicht gerade viel Dialog besitzt, physisch geht er mit seiner Rolle hart ans Limit. Man fragt sich, wie viel er und die Crew bei den Dreharbeiten wirklich leiden mussten. Aber auch Tom Hardy gibt als Gegenspieler eine mehr als starke Rolle. Was anderes sind wir von ihm nach The Dark Knight Rises und Mad Max: Fury Road auch nicht gewohnt. Also? Wird DiCaprio endlich seinen Oscar bekommen? Wir denken nicht, denn, trotz seines Martyriums bei den Dreharbeiten, handelt es sich kaum um eine “typische” Oscar-Rolle. Dafür fehlen im Drehbuch die entscheidenden Szenen.
The Revenant ist kein kurzweiliger Popcorn-Film. Er ist einer der intensivsten und atmosphärischsten Filme seit langer Zeit. The Revenant ist eine Survival-Trip, der den Kinobesucher aus seinem bequemen und warmen Sessel losreißt und mitten in das eisige Geschehen schmeißt. Deswegen sollte man diesen Streifen unbedingt im Kino sehen. Am besten im Größten der Umgebung, mit einem ordentlichen Sound. Und auch, wenn man sich während des Abspanns ausgelaugt und platt fühlt, es war ein unvergleichbares Kinoerlebnis. The Revenant ist so berührend real, dass man sich zwischendurch ernsthaft dafür schämt, als gemütliche Abendunterhaltung dem schier endlosen Leid der Charaktere zuzuschauen. Manchmal muss man sich daran erinnern, dass es sich “nur” um einen Film handelt. Aber um was für einen!
Artikel vom 8. Januar 2016
Noch eine zusätzliche Bemerkung zum Soundtrack: Wie in vielen modernen Filmen verzichtet man hier auf eine melodische Umsetzung, der Score besteht aus Klangfeldern, die manchmal mitreißend sind, wie die indianischen Trommeln bei der Verfolgungsjagd, manchmal aber auch arg an der Nerven zerren, wie das minutenlange atonale Quietschen kurz vor dem finalen Kampf. Sicher ein Stilmittel, aber da ist man manchmal froh, wenn es aufhört.