Kritik: Fallout – Staffel 1
VAULT-TEC PRESENTS
VAULT-TEC PRESENTS
Es geschah urplötzlich: Die Amerikaner genossen den sonnigen Tag als im Jahr 2077 die Bomben fielen und die Welt in eine nukleare Apokalypse stürzten. Doch selbst nach dem Weltuntergang geht das Leben für die Menschen auch nach 200 Jahren weiter. Vor allem drei Personen stehen dabei im Vordergrund:
Da wäre Lucy MacLean (Ella Purnell), die mit weiteren Überlebenden im Vault 33 residiert, einem hochmodernen Bunker, deren Vater Hank (Kyle MacLachlan) der Oberaufseher ist. Eigentlich sollte sie mit einem Kandidaten aus dem Nachbar-Vault 32 verheiratet werden. Doch stattdessen werden sie von Plünderern überfallen und deren Anführerin Lee Moldaver (Sarita Choudhury) entführt ihren Vater. Daraufhin öffnet Lucy entgegen der Vorschriften den Bunker und macht sich auf ins verstrahlte Ungewisse, um ihren Vater zu retten.
Bereits auf der verwüsteten Oberfläche lebt der Rekrut Maximus (Aaron Moten) in einem Stützpunkt der stählernen Bruderschaft, einer militärischen Organisation, die sich der Verwahrung der alten Technologie verschrieben hat. Seit ihn als Kind die rittergleichen Soldaten in stählernen Rüstungen gerettet haben, träumt er davon, ebenfalls ein Paladin zu werden. Durch eine plötzliche Wendung wird er der neue Knappe eines Paladins, dem ein Spezialauftrag erteilt wurde. Dabei stellt er jedoch fest, dass nicht alle stählernen Ritter gleichermaßen tugendhaft sind.
Und zwischen all dem wandert der einsame Ghul (Walton Goggins) im Cowboy-Gewand in der Ödnis und verfolgt seine eigene Mission. Ihm sind die Ereignisse von vor 200 Jahren noch frisch im Gedächtnis geblieben und sie haben ihn nicht nur physisch beeinträchtigt…
„Krieg. Krieg bleibt immer gleich.“ Unter diesem Motto wurde 1997 eine Spielereihe über eine postapokalyptische Welt rausgebracht, die bis heute haufenweise Teile und Ableger mit sich zog. Fallout beschreibt ein alternatives Amerika, dass nie den hyperkapitalistischen Patriotismus der 50er-Jahre ablegte und zu einem imperialistischen Regime verkam, bis es unweigerlich in einem atomaren Krieg resultierte. Doch auch ein zerstörtes Amerika ist immernoch ein sehenswertes Amerika. Darum hat man dieses postapokaliytische Setting genutzt, um daraus eine lebendige Welt mit zahlreichen Fraktionen, Sehenswürdigkeiten, Verschwörungen und einem immer wachsenden Lore zu erschaffen. Da sollte es doch eigentlich eine Frage der Zeit sein, bis diese Geschichte auch für Zuschauer zugänglich wird.
Doch wenn es um Spiele-Adaptionen geht, werden die Fans sehr schnell nervös. Immerhin hat man mehr als genug schlechte Erfahrungen gemacht. Spiele wurden als Medium selten ernst genommen und mussten bei Verfilmungen stark verändert werden, um es für den Mainstream zugänglicher zu machen. Doch mit der Popularität von Comicadaptionen, bei denen selbst die albernsten Elemente 1-zu-1 übernommen wurden, hat man das auch mit Videospielen probiert. Und tatsächlich: Selbst die absurdesten Prämissen wie die von Mario und Sonic wurden design- und storytechnisch fast komplett übernommen. Und auch erwachsenere Handlungen, wie die League of Legends-Adaption Arcane zeichneten sich neben ihren Charaktere und ihrer Dramatik auch durch ihre Treue zur Vorlage aus. Fallout geht dabei sogar noch weiter und präsentiert uns eine Handlung, die im selben Kanon wie die etablierte Fallout-Welt spielt. Was hier passiert, ist fester Teil des Fallout-Lores. Doch sehen wir uns diese zerstörte Welt mal genauer an:
Amerika ist wieder lebenswert – und dafür musste man es nur dem Erdboden gleichmachen. Für eine postapokalyptische Welt ist diese nämlich erstaunlich lebendig, aber nicht weniger tödlich. Die Menschen hier versuchen, sich mit einfachen Behausungen, improvisierten Waffen und Werkzeugen aus der alten Zeit ein einigermaßen stabiles Leben aufzubauen, während Gewalt und Plünderungen zum gewöhnlichen Alltag gehören. Man verwendet so gut wie alles, sodass auch Zähne als Projektile taugen. Und wir sind noch nicht mal zu Monstrositäten, wie mutierten Bären oder den salamander-ähnlichen Gulpern gekommen, die Finger statt Zähne haben. Dies alles ist ein starker Kontrast zu den behüteten Menschen in den Vaults, die durch ihre unverwüstete Technologie und leichtgläubige Art eine Illusion der Normalität erhalten wollen.
Bemerkenswert ist auch, wie nah die Welt an der Fallout-Vorlage ist. Elemente wie der Pip-Boy als tragbarer Computer am Arm, die mechanischen Rüstungen der stählernen Bruderschaft oder die multifunktionalen Mr. Handy Roboter werden dem ein oder anderem Fallout-Fan ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.
Und auch wenn man die Spiele-Reihe nicht kennt, wird man über das kreative Design dieser Maschinen im Retrostil staunen, die den Vorstellungen futuristischer Technologien aus der Vergangenheit entsprungen sind. Es hinterlässt einfach dieses klassische Fallout-Flair, das neben Horror und Brutalität auch die nötige Portion schwarzen Humors bietet und zum Erkunden in dieser verstrahlten Einöde einlädt.
Speziell sind auch die drei Charaktere, die das Ödland durchstreifen. Allen voran wäre da Lucy, die den ursprünglichen Geist der Fallout-Spiele verkörpert: Eine Vault-Bewohnerin, die aus Notwendigkeit heraus die vertaute Umgebung verlassen und in eine unbekannte und gefährliche Welt reisen muss. Und gerade Lucy mit ihrer idealistischen Naivität und ihrem unverblümten Optimismus ist dafür bestens geeignet. Wenn sie versucht, Räubern und Plünderern Recht und Moral zu belehren, ist das herzallerliebst. Dennoch weiß sie sich auch zu verteidigen und schafft es sogar, sich an die unerbittlichen Umstände anzupassen. Die Frage bleibt, ob und wie sehr diese gnadenlose Welt es schafft, Lucy zu brechen.
„Okey-Dokey!“
Lucy McLean in Fallout (2024)
Auf dem gegenüberliegenden moralischen Spektrum steht der Ghul. Einst der verehrte Schauspieler Cooper Howard hat dieser die Apokalypse und die Umstände, die dazu führten, aus erster Hand gesehen, was in mehreren Rückblenden detaillreich offenbart wurde. Nach 200 Jahren ghulischer Unsterblichkeit, ein Resultat radioaktiver Verstrahlung, wurde der ehemalige amerikanische Held zu einem skrupellosen Kopfgeldjäger, der für sein Ziel über Leichen geht. Die gesammelten Erfahrungen resultierten in einem düsteren Weltbild, das stark mit dem von Lucy konstrastiert. Schnell finden sich beide an gegenüberliegenden Fronten.
Etwas vernachlässigt wirkt dagegen Maximus. Als Rekrut der militaristischen stählernen Bruderschaft hat er, ähnlich wie Lucy, nur einen sehr begrenzten Eindruck von der Welt, auch wenn er bereits ein Gefühl dafür hat, was einen im Ödland erwartet. Er idolisiert die Paladine der Bruderschaft und hält sich für würdig, selbst die Powerrüstung zu tragen, weshalb er bei der besten Gelegenheit dieser Machtfantasie nachgeht. Doch wie Lucy muss er sich der Realität stellen, dass die Welt nicht so einfach funktioniert. Im Gegensatz zum ideologischen Konflikt der ersten beiden wirkt er allerdings leicht in den Hintergrund geworfen. Doch bei den ganzen Handlungssträngen, ist es auch nicht verwunderlich.
Wo wir schon bei Handlungssträngen sind: Bei nur acht Episoden fragt man sich, wie man die Geschichte der drei Hauptcharaktere entsprechend behandeln möchte. Tatsächlich hat die Serie sogar vier Handlungsstränge, denn Lucys Bruder Norm (Moises Arias) versucht herauszufinden, was es mit seinem und den benachbarten Bunkern des dubiösen Unternehmens Vault-Tec wirklich auf sich hat. Am Anfang wirkt die Geschichte daher noch leicht chaotisch. Wenn nach dem brutalen Konflikt zwischen Lucys Mitmenschen und den Plünderen im Vault plötzlich Maximus‘ Geschichte losgeht, wirkt es leicht entfremdlich. Auch so wirkt es anfangs als hätten die Ziele kaum etwas gemeinsam. Doch mit der Zeit schafft man es erstaunlich gut, deren Handlungsstränge miteinander zu verbinden, sodass sie sich konstant in die Quere kommen, bis sie schließlich dasselbe Ziel verfolgen.
Vor allem am Ende kommt alles zusammen: Geheimnisse werden offenbart, Lügen werden aufgedeckt und nichts ist mehr so, wie es schien. Tatsächlich ist es erstaunlich, wie man es hier geschafft hat, gleich mehrere Fragen auf einmal aufzudecken und die Charakterentwicklungen von mehreren Hauptcharakteren abzuschließen. Oh, und zu einem ausufernden Krieg kommt es auch noch.
Da kann man auch hinwegsehen, dass alle im Grunde genommen nur einem MacGuffin hinterher jagen. Doch immerhin handelt es sich bei diesem MacGuffin um einen abgetrennten Kopf. Verrückt? Nicht für Fallout!
Fallout beweist, welchen Erfolg es bringt, wenn man dem Kerngedanken der Vorlage treu bleibt. Die Showrunner schaffen es, die radioaktive Welt, die so gut wie nicht dem Kanon der Spielehandlung widerspricht, sowohl für Neueinsteiger als auch für eingefleischte Fans einladend zu gestalten. Auch die komplexen Charaktere mit unterschiedlichen Hintergründen und ideologischen Weltvorstellungen entwickeln sich nie so, wie man es von ihnen erwartet. Und wenn die anfangs noch chaotischen Handlungsstränge zu einem Zielpunkt vereint werden, der in einem krassen Plottwist resultiert, weiß man, dass man es hier mit einer speziellen Spieleadaption zu tun hat.
Da kann man nur hoffen, dass der Atomkrieg erst nach der zweiten Staffel erfolgt.
Artikel vom 3. März 2025
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