Kritik: Dark – Staffel 3
SCHRÖDINGERS KATZE LEBT
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Die Apokalypse ist unaufhaltbar, ebenso wie der ewige Kreis der Zeit. Nachdem Jonas’ älteres Ich namens “Adam” seine Freundin Martha umgebracht hat, erscheint eine zweite Martha an seiner Türschwelle und teleportiert Jonas in eine Parallelwelt. In dieser Welt existiert Jonas nicht. Vieles ist anders, einiges ist gleich.
Während Jonas’ Welt von Adam kontrolliert wird, der mit allen Mitteln den Zeitknoten lösen will, der immer wieder zur Apokalypse führt, wird die Parallelwelt von Eva beherrscht; das ältere Alias von Martha. Eva sieht sich als Adams Gegenspieler: Sie will mit allen Mitteln den Zeitknoten erhalten.
Doch Adam und Eva sind nicht die einzigen Player im Spiel der Zeit: Claudia Tiedemann (Julika Jenkins) scheint zwischen den Welten zu wandern und ganz eigene Pläne zu verfolgen …
… zumindest auf die visuelle Umsetzung der Serie. Die gesamte Staffel ist ein einziges, unterkühltes und wunderbar trostloses Gemälde, das einen in die Welt von Winden saugt, in der es mehr Wald als Stadt zu geben scheint und Vermisstenanzeigen auf leere Straßen starren wie Wahlplakate. Die Serie verlässt nie ihre dunkelgraues Moodboard, und das muss sie auch nicht, wenn sie dabei so furchtbar gut aussieht.
Es ist erstaunlich, wie groß die internationale Begeisterungswelle für diese deutsche Produktion ist. Man scheint endlich den richtigen Nerv für ein internationales Publikum getroffen zu haben. Endlich können Geschichten aus Hollywood in Deutschland erzählt werden, die auch von Hollywood rezipiert werden, ohne, dass Hollywood sofort an einer amerikanischen Neuverfilmung arbeitet.
Damit ist Dark vermutlich der größte “Blockbuster” aus Deutschland, überhaupt.
Was sonst nur die moderne Deepfake-Technologie kann, absolviert das Casting-Team von Dark. Wie schon seit Staffel 1, sind die Schauspieler der Charaktere in verschiedenen Altersstufen umwerfend identisch. Zu keiner Sekunde fühlt es sich so an, als wären “Jung” und “Alt” zwei verschiedene Charaktere. Besonders verblüffend ist die Ähnlichkeit des jungen und erwachsenen Peter Dopplers.
Der wichtigste Neuzugang ist Barbara Nüsse als Eva, die als Gegenspielerin von Adam viel Screentime bekommt. Im direkten Vergleich ist zwar Dietrich Hollinderbäumer als Adam der charismatischere Player, dennoch harmonieren beide “Propheten” der Serie sehr gut miteinander.
Auch der Cast der Normalsterblichen legt in Staffel 3 eine ganze Schippe drauf. Lisa Vicari und Louis Hofmann als Hauptcharaktere Martha und Jonas sorgen vor allem in den letzten Folgen der Staffel für echte Gänsehaut-Momente. Doch tatsächlich ist jeder Darsteller in jeder Altersform und jeder Version ein absoluter Gewinn für die Serie.
Dark ist schon seit der ersten Staffel schwere Kost für unseren Verstand, der kläglich versucht, aus dem konventionellen “Ursache-Wirkung”-Denkmuster auszubrechen. Sich die unausweichlichen Zeitschleifen logisch vorzustellen, ist ungefähr so, wie einer Katze das Einmaleins zu erklären: Hirn-Überforderung. Und dennoch haben die ersten beiden Staffeln – gerade deswegen – so sehr fasziniert. So schwer man ein Zeitparadoxon auch verinnerlichen konnte, so erstaunlich waren die “Aha”-Momente, die Dark aus seiner vertrackten Story herauskitzelte.
Die Regeln wurden etabliert: Zeitreisen sind möglich, doch die Vergangenheit ist unveränderbar, genauso wie die Zukunft bereits in Stein gemeißelt ist. Ein Philosoph nennt diese Situation deterministisch, oder gar nihilistisch; ein Geschichtenerzähler könnte sie als “frustrierend” betrachten. Wie soll man eine befriedigende Geschichte erzählen, wenn die Geschichte bereits geschrieben wurde, und die Charaktere keinen Einfluss auf deren Entwicklung zu haben scheinen?
Über die ersten zwei Staffeln hat die Story, trotz radikalem Determinismus, genial funktioniert: Die zeitreisenden Charaktere wollten es nämlich nicht wahrhaben, dass sie eigentlich nichts im Zeitgefüge verändern können. Das führte zum Beispiel dazu, dass Claudia ihren eigenen Vater an seinem Todestag umbringt, statt ihm das Leben zu retten.
Mittlerweile wissen die Charaktere über diese Unausweichlichkeit Bescheid. Doch irgendwas muss sich doch ändern können! Ansonsten wäre das Finale von Staffel 3 ein sehr frustrierendes. Die Lösung der Serienmacher sind Parallelwelten.
Hier prallen zwei physikalische Grundgedanken aufeinander: Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Lustigerweise sind beide Konzepte in unserer Realität bewiesen und existent, doch sie lassen sich nicht miteinander vereinen. Sie widersprechen sich. Es ist das wahrscheinlich größte Mysterium der modernen Physik.
Abgeleitet von der Relativitätstheorie könnte man annehmen, dass die Zeit ein festes Konstrukt sei, die Manifestation von Kausalität. Zeit sei die vierte Dimension, die wir als dreidimensionale Wesen nicht “sehen” können. Doch wären wir vierdimensional, würden wir die Welt als einen Zylinder sehen, in dem sich alles, was jemals passiert ist, aufstapelt.
Abgeleitet von der Quantenmechanik ist die Zeit nicht nur reine Kausalität, sondern eine Welle von Möglichkeiten. Alles, was theoretisch passieren kann, wird passieren; nur in verschiedenen Welten, die sich voneinander abspalten. Wir als manifestiertes Lebewesen nehmen aber immer nur “eine” dieser Wahrscheinlichkeiten wahr.
Wie lassen sich also diese Konzepte in einer Story kombinieren? Denn laut der “weitergedachten” Quantenmechanik, lässt sich die Realität sehr wohl verändern. Die Einführung quantenmechanischer Gedanken erfolgt in Dark jedoch recht halbherzig – nur eine handvoll Parallelwelten existieren anscheinend, die sich auf skurrile Weise ähneln, obwohl teilweise ganze Familienstammbäume fehlen. Schon mal etwas vom Butterfly Effect gehört?
Aus logischer Sicht wären diese Parallelwelten nicht notwendig gewesen. Man hätte aus der letzten Staffel Dark eine wesentlich schlankere machen können, die sich wieder mehr den Charakteren widmet, anstatt sich im Wirrwarr zwischen Zeitreisen und Parallelwelten zu verzetteln. Für mich hat die Serie ohne dieses Multiversum besser funktioniert.
In diesem Zug scheinen sich nun auch die zuvor etablierten Regeln immer öfter zu widersprechen. Wir als Zuschauer sind überfordert, vor allem in der ersten Hälfte der Staffel. Das Verhältnis zwischen Antworten und neuen Fragen liegt bei 1 zu 9. Aus “Aha”-Momenten werden “Hä?”-Momente.
Dark beherrscht visuelles Storytelling bis zur Perfektion. Beinahe jede Einstellung zeigt uns Orientierungspunkte, wie zum Beispiel Familienfotos, Gegenstände oder sogar Frisuren von Charakteren, die die Komplexität der Geschichte mundgerechter machen. Aber auch Soundeffekte, wie das “Wuush”-Geräusch, das jedes Mal ertönt, wenn wir in der Welt springen, hilft dabei, irgendwie den Überblick zu behalten.
Sehr viel unbeholfener ist die Serie dabei, die Story mit Worten zu erklären. Abgesehen von einer sauber platzierten 80er-Jahre Wissenschaftsshow, die das Gedankenexperiment um “Schrödingers Katze” auf anschauliche Weise illustriert, feuert das Skript meist nur mit leeren Worthülsen um sich, wie “Der Anfang ist das Ende. Und das Ende ist der Anfang.”, oder “Alles kommt so, wie es kommen muss.”. Wenn diese nicht ausreichen, werden wir mit geballten Expositionsblöcken erschlagen.
Staffel 3 kommt gar so sehr in Erklärungsnot, dass eine offizielle Website als “Story-Guide” aushelfen soll, um den Überblick zu behalten. Diese Seite ist kongenial strukturiert und verbirgt so manch Geheimnisse – dennoch stelle ich mir die Frage, ob die Serie nicht eigentlich auch ohne so eine Stütze funktionieren sollte?
Letztendlich muss ein Mystery-Format nicht alles erklären. Doch tatsächlich besteht ein Großteil der dritten Staffel aus “Erklärungen”, wie denn jetzt eigentlich was funktioniert. Dark geht nicht den Weg eines 2001: Odyssee im Weltraum, der viel Freiraum zur eigenen Interpretation lässt. Dark ist Mathematik. Entweder deine Gleichung stimmt, oder sie stimmt nicht. Wäre ich ein Mathelehrer, müsste ich Staffel 3 ein paar Punkte Abzug geben, mit der Fußnote: “Herleitung unvollständig”.
Eine Version von mir liebt das Finale der Serie, die andere nicht. Eine Version von mir wurde durch den emotionalen Höhepunkt beinahe zu Tränen gerührt, die andere Version versucht zu begreifen, dass der letzte Twist kein Logikloch ist.
Letztendlich bricht die Serie kurz vor Schluss mit einer festen Regel des Dark-Kosmos. Dieser Regelbruch wird zwar erklärt; doch wenn ich diese Erklärung auf die gesamte Handlung übertrage und mir andere Szenarien vorstelle, die dieser Regelbruch hervorbringen könnte, dann erscheint mir das Ende tatsächlich nicht logisch.
Es kommt mir so vor, als hätte man die Handlung der dritten Staffel so zurechtgebogen, um bei diesem Finale herauszukommen. Tatsächlich ist es auch ein bittersüßer, emotional packender und romantischer Fadeout, der cinematisch kaum zu toppen ist. Doch ich hätte mir gewünscht, dass bei einigen der letzten Ereignisse die Logik ersichtlicher worden wäre.
So oder so: Dark ist eine absolute Ausnahme-Serie und ein faszinierendes Gedankenexperiment, das zu einem globalen Streaming-Phänomen wurde. Doch im Gegensatz zu den ersten beiden Staffeln ist die Story der finalen Staffel wirr und unsortiert. Vereinzelte Ereignisse wirken wie unsaubere Änderungen der eigenen Regeln, darunter auch das emotionale Finale, das in jeder anderen Hinsicht großartig ist. Trotz der chaotischen Auswucherungen an Komplexität ist Staffel 3 ein atmosphärisch dichtes, grandios gecastetes und streckenweise faszinierendes Stück deutsche Seriengeschichte geworden. Dass man sich tatsächlich dazu entschied, die Serie als eine Trilogie (oder Triquetra) zu schließen, ist schon beinahe ehrenhaft.
Artikel vom 10. Juli 2020
Der Autor hat weder die Relativitätstheorie verstanden, noch die Prinzipien der Quantenmechanik. Bitte zukünftig rein auf das filmische konzentrieren und sich nicht über Dinge auslassen, von denen man ganz offensichtlich keine Ahnung hat.
Hi Arthur,
in wiefern habe ich denn die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik falsch verstanden, wo sie die Serie richtig verstanden hat? Aus eigenem, ehrlichen Interesse!
Liebe Grüße
Keyvan