7.1/10

Kritik: The Card Counter

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Genres: Drama, Startdatum: 03.03.2022

Interessante Fakten für…

  • Ursprünglich war Shia LaBeouf für die Rolle des Cirk vorgesehen, für den dann jedoch (der optisch ähnliche) Tye Sheridan einsprang.
  • Tiffany Haddish ist eigentlich für Rollen im Comedy bereich berühmt, doch Paul Schrader vertraute seinem Instinkt, der schon häufig genreüberschreitendes Schauspiel zum Erfolg geführt hat.

Hollywood erzählt gern von Puzzlestücken, die nicht mehr ins Bild passen wollen. Er schmerzt zu sehen, wie sie sich abmühen, anecken, scheitern. Doch fügt dieser Film über Poker (in dem es natürlich nicht um Poker geht) der Story etwas Neues hinzu?

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#Kinogänger #Klassiker #Trashfan

Darum geht’s

Die leuchtenden Casinos und gedimmten Pokertische sind das Zuhause von William Tell (Oscar Isaac), der nach langem Gefängnisaufenthalt traumatisiert durch die USA zieht und mit Glücksspiel sein Geld verdient. Unterstützt von der Geldgeberin La Linda (Tiffany Haddish) zockt er bald um größere Summen. Seine eigentliche Mission ist jedoch Cirk (Tye Sheridan): Der planlose junge Mann ist voller Zorn auf den Militär-Offizier John Gordo (Willem Dafoe). Dieser war verantwortlich für Gräueltaten, wurde allerdings nicht verurteilt während Cirks Vater als einfacher Soldat ins Gefängnis ging. Tell teilt diese tragische Geschichte, doch weiß, dass Rache diese Rechnung nicht begleichen kann. Er versucht, Cirks Zorn zu heilen und so auch für sich und seine Vergangenheit Vergebung zu erlangen.

Der Taxameter läuft weiter

Dramatische Erfolgsformeln gibt es viele, eine davon lautet: Mann gerät an den Rand der Gesellschaft, versucht seinen Platz in dieser zurückzuerobern, bleibt aber immer ein Ausgestoßener, er erkennt schließlich, dass es eben diese ersehnte Gesellschaft war, die ihn zum Wrack gemacht hat. So oder so ähnlich wurden schon viele, auch viele gute, Geschichten erzählt. Ein beliebtes Label, vielleicht sogar eine Marketingstrategie ist folgende magische Kombination von Worten und Buchstaben: Der Taxi Driver der XXer Jahre.

Mit Martin Scorseses Klassiker begann die Rolle des Tough Guy im Mainstream-Kino zu bröckeln und bis heute erkundet das Kino Männerfiguren, die gleichzeitig fragil und (selbst)zerstörend sind; die sich nach Nähe sehnen, aber von sozialen Bindungen überfordert sind. A Beautiful Day, Nightcrawler und Drive sind einige Filme der jüngeren Vergangenheit, die als Hommagen verstanden werden können, zuletzt platzierte sich Joker sehr deutlich in der Ahnenreihe.

Als wollte er die Kontrolle über das filmische Erbe behalten, wagt sich nun Paul Schrader an eine Neuinterpretation des Taxi Driver-Topos, niemand geringeres also als der Drehbuchautor des 1976er-Urknalls der Filme über hoffnungslose Outcasts.

Ein kurzer Überblick über die Parallelen: Ein Charakter mit Kriegsvergangenheit und daraus folgendem Trauma findet keinen Platz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Auf nächtlichen Fahrten verarbeitet er seine Erinnerungen, die sich in Zynismus und sogar Anflügen von Aggression entladen. Ein Ausweg scheint sich in Form eines jungen Schützlings zu bieten und unser tragischer Protagonist glaubt, durch gute Taten seine Bestimmung und Sühne zu finden. Doch eine gute Tat ist manchmal schwerer getan als geplant und in einem pervertierten System ist der Held manchmal der Verbrecher – und andersherum.

Also, Fans von Taxi Driver: Steigt ein, es gibt Nachschub!

Hochglanzbilder

Soweit zur Backstory. Das Frontend hat ein Update bekommen, vorbei sind die dampfenden Gullydeckel und dunklen Seitenstraßen. The Card Counter sucht die Verkommenheit in der blitzenden Scheinwelt von Hotels, Bars und einem uramerikanischem Mythos: dem Casino. Alles ist glatt, gefällig, gedämpft, man weiß nicht, ob draußen Tag oder Nacht ist. Wer etwas Geld übrig hat, betäubt sich im Spielrausch und blendet im Automatengeratter aus, dass dort draußen in der Welt schreckliche Dinge geschehen. Die Kamera macht diese einlullende Behaglichkeit der Poker-Welt spürbar, sie gleitet smooth wie über Teppichboden, ruhig-rhythmischer Schnitt und Abblenden sind eine Wohltat für die Augen. Unsere Protagonisten sind passend cool und hervorragend angezogen, das Kostüm-Design verdient Bewunderung. Oscar Isaac sieht stehts aus wie von einem GQ-Cover zum Leben erweckt, jeder Auftritt Tiffany Haddishs ist ein dezentes, aber beeindruckendes Highlight. Karo-König und Karo-Dame geben ein stylisches und glaubhaftes Paar ab, die fortschreitende Romanze dürfte selbst dem größten Muffel im Kinosaal ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.

Doch unter ihrer Oberfläche ist William, der tragische Held des Films, dann doch zu unstimmig. Wir lernen ihn als gefühlslosen Zocker mit unbeweglicher Mine kennen, ein Spieler wie ein Killer. Wenig später steigen dann Emotionen in seinen Gesichtszügen auf und eine Tiefe der Figur tut sich auf, die zunächst begeistert: er ist nicht so eiskalt, wie er selbst gern wäre. Im nächsten Moment kehrt die Eiseskälte zurück, dann wieder offene Menschlichkeit. Drehbuchautor und Darsteller haben sich vermutlich viele Gedanken über dieses pendelnde Schauspiel gemacht, dem Zuschauer erschließt sich aber nicht leicht, wer und wie William Tell nun eigentlich ist. Er ist instabil – aber auch instabil erzählt. Eine „tiefe“ Charakterbeschreibung bedeutet nicht zwingend eine große Bandbreite an Emotionen, sie muss nachvollziehbar bleiben, denn nach „tief“ kommt nur noch „bodenlos“. Doch die starke Präsenz von Oscar Isaac ist unbestreitbar und was wir über William Tell lernen, ist tragisch. Glücksspiel ist seine Therapie. Redet er über Karten, Turniere und Anekdoten blüht er auf und kann für einen Moment den Horror vergessen, der in seiner Erinnerung schlummert. Seine Vergangenheit ist Schuld, sein Ziel Sühne.

„Die Gefühle, Vergebung zu erlangen und sich selbst zu vergeben, sind sich so ähnlich, dass es eigentlich sinnlos ist, sie zu unterscheiden.“

William Tell in The Card Counter

Wenn er es schafft, Cirk zu helfen, ist dies vielleicht seine Möglichkeit seine Schuld zu tilgen – und sich selbst zu vergeben.

Inspiriert von realem Horror

Und Schuld hat er im unerträglichen Maße auf sich geladen. In einigen Rückblenden sehen wir die Albträume, die William nachts nicht zur Ruhe kommen lassen. Dies ist hart zu schluckender Terror, der wohl niemanden unberührt lässt. Doch dürfen wir an dieser Stelle nicht dem Missverständnis aufsitzen, dass Emotionalität gleich Qualität ist. Lange nach dem Abspann dröhnen diese Bilder nach, doch bedeutet das nicht, dass der Film nachhaltig gut erzählt. Schrader hat sich bewusst für eine fiktionale Erzählform entschieden, also darf er sich nicht auf der schockierenden Wirkung der dokumentarischen Elemente ausruhen.

Und abseits davon ist eben nicht viel los. Cirks Rache“plan“ ist ebenso planlos wie ungefährlich, es ist schwer, mitzufiebern. Der Soundtrack ist alleinstehend gut, lenkt im Erzählfluss jedoch häufig ab und gibt einem Film mit eigentlich großem Format ein Indie-Feeling, dass sich selbst kleinredet.

Tye Sheridan kann man mögen oder nicht, als Gegenpol zum tragischen Helden Tell dient er allerdings nicht. Als jungem, von gegensätzlichen Kräften getriebenem Mann fehlt ihm, ähnlich wie bereits in The Tender Bar auch hier Kraft und Charisma. Willem Dafoe ist austauschbar, ein Weltklasseschauspieler, der vermutlich für seinen Namen gecastet wurde und unterfordert wirkt.

Fazit

7.1/10
Ordentlich
Community-Rating:
Tiefgang 7.5/10
Kostüme 8/10
Spannung 6/10
Schauspiel 7.5/10
Atmosphäre 6.5/10
Details:
Regisseur: Paul Schrader,
FSK: 16 Filmlänge: 112 Min.
Besetzung: Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, Willem Dafoe,

Oscar Isaac ist eine große Schauspielleistung gelungen, doch muss er mit einem Script arbeiten, welches seine Figur nicht ausreichend erklärt: Tell ist mal ein schweigsamer Einsiedler, dann ein netter Onkel, der Spitznamen vergibt (welche nie wieder auftauchen). Seine Beziehung zu Cirk ist zu kurzatmig um den Film zu tragen, dafür ist die Romanze zu La Linda organisch und sorgt für dramatischen Auftrieb. Ein doch sehr typisches Schuld-und-Sühne-Drama von einem Regisseur, der eigentlich nichts mehr zu beweisen hat.

Artikel vom 13. März 2022

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