8.4/10

Kritik: A Beautiful Day

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Genres: Action, Drama, Thriller, Startdatum: 26.04.2018

Interessante Fakten für…

  • Der Film basiert auf dem im Englischen gleichnamigen Buch You Were Never Really Here von Jonathan Ames.
  • Gerüchten zufolge wurde für den Wettbewerb in Cannes eine noch unvollständige Fassung des Films eingereicht – was Regisseurin Lynne Ramsay allerdings dementierte.

Nicht jeder Film, der in Cannes von Kritikern mit Lorbeeren überschüttet wird, wird an den Kinokassen mit denselben wohlwollenden Augen gesehen. Die Geschmäcker von Elite-Jury und Otto-Normal-Kinogänger gehen eben mitunter sehr auseinander. ‘A Beautiful Day’ wurde beim Filmfestival in Frankreich mit zwei goldenen Palmen bedacht. Sind die Auszeichungen gerechtfertigt? Und wird das Publikum auf den Film anspringen? Erfahrt es in unserer Bewertung und Kritik.

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Darum geht’s

Von den eigenen Dämonen geplagt zu werden, ist ein Albtraum. Das weiß auch der Kriegsveteran und ehemalige FBI Agent Joe (Joaquin Phoenix). In flashbackartigen Tagträumen wird der stumme Hüne immer wieder mit den Gräueltaten der Menschen konfrontiert: ein prägendes Todesopfer in seinem Auslandseinsatz, die Wutausbrüche seines misshandelnden Vaters, die jungen Mädchen, die dem Sexhandel zum Opfer gefallen sind und die er nicht mehr retten konnte. Nur seine Medikamente halten Joe noch im Hier und Jetzt.

Um sich und seine pflegebedürftige Mutter (Judith Roberts) zu ernähren, arbeitet Joe als Privatagent. Auf Anfrage befreit er entführte Kinder und sorgt dafür, dass die Übeltäter ihre gerechte Strafe erhalten – den Tod. Als er jedoch Nina (Ekaterina Samsonov), die Tochter des kandidierenden Senatoren Albert Votto (Alex Manette), befreien soll, gerät er in eine politische Verschwörung…

Filmmosaik aus bekannten Elementen

Weder Trailer noch Kinoposter können das widerspiegeln, was A Beautiful Day wirklich ist. Es stecken auch ziemlich viele bereits bekannte Elemente drin. Den gebeutelten, schweigsamen Helden kennen wir aus Drive, die Entführungstgeschichte erinnert an Mann unter Feuer und 96 Hours, der hammerschwingende Selbstjustizler an The Equalizer und die Vater-Tochter-Thematik an Léon der Profi. Auch wenn sich Regisseurin Lynne Ramsay großzügig an prominenten Vertretern bedient hat, schafft sie doch ein eigenständiges Werk, das über die kurze Laufzeit von 95 Minuten unglaublich fesselt. Das liegt vor allem daran, dass sie ihren Fokus immer wieder geschickt abhebt.

Joe (Joaquin Phoenix) ist ein ultra-brutaler Typ mit einem weichen Kern. Für die Tochter des kandidierenden Senatoren (Ekaterina Samsonov) geht er über Leichen.

Joaquin Phoenix und Ekaterina Samsonov in einem Hotelzimmer in einem Szenenbild für Kritik A Beautiful Day

Die Storyline in A Beautiful Day (der Originaltitel You Were Never Really Here war den Deutschen offenbar nicht zuzumuten) ist so reduziert, wie es nur geht. Den Background des Protagonisten muss sich der Zuschauer halb zusammenreimen. Auch der Fortgang der simplen Geschichte ist trotz der minimalistischen Erzählweise weder offensichtlich, noch durchgehend einfach zu verstehen. Vor allem, weil Ramsays Schnittfolge mitunter eher willkürlich anmutet und Flashbacks und auf den ersten Blick zusammenhangslose Kurzszenen immer wieder mit dem Haupterzählstrang brechen. Die politische Verschwörung ist so zum Beispiel überhaupt kein zentrales Element, auch wenn das kurzzeitig so wirkt. Nein, es geht im Grunde um etwas ganz anderes. Wer genau hinsieht bemerkt, dass kein Moment überflüssig und ohne Bedeutung ist. Und dass sich Ramsay auch nur auf eine Sache konzentriert.

Eine einzige Figur im Mittelpunkt

Der Fokus bleibt durchgehend auf Joe. Es existiert keine Szene ohne ihn, er ist Dreh- und Angelpunkt. Der Zuschauer bekommt seine schwachen, hilflosen und aggressiv-berstenden Momente in aller Härte ungefiltert zu spüren. Gerade deswegen fiebert man bis zum Ende mit dieser gebrochenen Seele mit. Immer wieder deutet Ramsay an, dass sich in A Beautiful Day die Dinge zu wiederholen drohen: Joes Waffe etwa ist ein einfacher Hammer, mit dem er gerade in Kindheitstagen traumatische Erlebnisse verbindet. Und obwohl er alles daran setzt, dass die geretteten Kinder nicht wie er von ihren Erlebnissen zerstört werden, scheint genau das zu passieren. Der Kreis der Verletzung schließt sich – ein Motiv, das durch das immer wieder präsente Kreis-Tattoo auf Joes Oberarm bereits subtil vorhergesagt wird.

Joe hat vieles gesehen. Er mag äußerlich abgestumpft wirken, doch der Film zeigt das verstörte Innenleben des Protagonisten mit erschreckender Authentizität.

Joaquin Phoenix lässt einen Leichensack im See verschwinden in einem Szenenbild für Kritik A Beautiful Day

Genau dieser Aspekt blitzt immer wieder mit aller Gewalt auf: Joe ist eine zerbrochene Figur mit posttraumatischer Belastungsstörung, die ihren Erlebnissen nicht entkommen kann. Immer wieder fällt Joe förmlich in die Rolle des kleinen Jungen zurück, der sich zitternd im Wandschrank vor seinem wütenden Vater versteckt. Gleichzeitig ist er ein mordender Berserker, der Menschen ohne zu Zögern mit dem Hammer den Schädel einschlägt. Dann wiederum kümmert er sich rührend um seine Mutter und erschafft dadurch einen Kontrast, der einem den Magen umdreht. “Dieser Charakter ist ein Labyrinth”, erzählte Lynne Ramsay in einem Interview. Es ist eine Meisterleistung, dieses Labyrinth in so kurzer Zeit mit so wenig Stilmitteln so umfassend zu durchschreiten.

Die Kunst des Weglassens

Für viele Zuschauer könnte A Beautiful Day zur klassischen “love it or hate it”-Nummer werden. Ähnlich wie bei Drive lebt der Film von einer ungemein dichten Atmosphäre, von experimentellen Sichtweisen und Kameraeinstellungen, von Soundtrack-getriebenen Szenen und einem mystischen Protagonisten. Das Action-Brett, das sich manch einer erhoffen könnte, wird hier aber nicht geliefert – auch, wenn hier trotzdem die Köpfe rollen.

Lynn Ramsay schert sich nicht darum, den Voyeurismus des Publikums zu befriedigen. Die erste gewaltvolle Szene, in denen Joe mit einem Hammer ein Bordell aufräumt, wird beispielsweise nur aus Sicht der Überwachungskameras gezeigt und lässt die Brutalität im Kopf des Zuschauers geschehen. In vielen weiteren Szenen bekommen wir nur das Ausmaß der Gewalt in Form von Leichen serviert – der Akt des Tötens wird aber immer wieder übersprungen. Gerade im Finale gibt es wunderbar-intensive Schnittfolgen, die genau mit diesem Stilmittel spielen und den Protagonisten fast wie einen mordenden Geist erscheinen lassen. Natürlich lässt es sich Ramsay nicht nehmen, hin und wieder mit genau dieser Machart zu brechen. Diese Momente sind dafür umso heftiger.

Betörende Soundkulisse

Während die Kamera teils seelenruhig, teils im “shaky”-Modus die Momente gekonnt einfängt, ist A Beautiful Day vor allem auch ein Fest für die Ohren. Die Soundkulisse ist fast schon omnipräsent, Hintergrundgeräusche verschmelzen nahezu mit dem Soundtrack und ziehen den Zuschauer in die Atmosphäre jedes neuen Schauplatzes. Ob Joe durch stürmischen Regen läuft oder durch den idyllischen Garten einer Ferienresidenz schleicht – das Sounddesign hat bereits innerhalb von Sekunden die Umgebung glaubhaft etabliert.

Dazu kommt ein herausragender Score von Jonny Greenwood, dem Gitarristen der Band Radiohead. Die Musik wechselt fast mühelos zwischen melancholisch-verträumt, 80er-Synthies und treibender Perkussion. In manchen Tracks (“Sandy’s Necklace”) spiegelt Greenwood mit schrillen Disharmonien auch die innere Zerrissenheit des Protagonisten wieder. Diese metamusikalische Herangehensweise hat ihm für Der seidene Faden jüngst eine Golden Globe- und Oscarnominierung beschert.

Joaquin Phoenix zeigt in ‘A Beautiful Day’ eine seiner ausdrucksstärksten Performances.

Joaquin Phoenix liegt auf einem Bett mit einem Messer in der Hand in einem Szenenbild für Kritik A Beautiful Day

Joaquin Phoenix besser denn je

A Beautiful Day gehört Charakterkopf Joaquin Phoenix, und nur ihm allein! Seine Performance ist ohne Frage eine der intensivsten, die er bisher auf die Leinwand transportiert hat. Sein Joe ist innerlich so zerstört, dass es dem Zuschauer das Herz bricht, ihn zusammengekauert, halluzinierend und weinend auf dem Boden zu sehen. Phoenix wechselt zwischen ruhig und sensibel, hin zu seinem entschlossenen und regelrecht vernichtenden Auftreten. Die schiere Präsenz von Phoenix reißt jede Szene an sich, und das ist in Ordnung so: der Fokus rückt dadurch niemals vom Fixpunkt des Films ab.

Obwohl die Rolle doch so vielseitig ausfällt, wird sie von Joaquin Phoenix stets authentisch interpretiert. Die sanften und herzlichen Momente mit Joes Mutter bekommen eine Glaubwürdigkeit, an der viele Filmemacher grandios scheitern (zuletzt etwa Francis Lawrence bei Red Sparrow). Doch auch, wenn Phoenix in den harten Momenten mit dieser Sensibilität bricht und als bullige Ein-Mann-Maschine ordentlich aufräumt, ist das zu jeder Sekunde glaubhaft. Lynne Ramsay erzählt die Geschichte eines Mannes, der so zerschlagen ist, dass er mehrfach kurz vor der Selbstaufgabe steht. Wer könnte das besser spielen, als Joaquin Phoenix? Die goldene Palme für seine Performance war nur noch Formsache!

Fazit

8.4/10
Stark
Community-Rating:
Handlung 7/10
Schauspiel 9/10
Spannung 9/10
Musik & Soundtrack 8.5/10
Atmosphäre 8.5/10
Details:
Regisseur: Lynne Ramsay,
FSK: 16 Filmlänge: 90 Min.
Besetzung: Alex Manette, Ekaterina Samsonov, Joaquin Phoenix, John Doman, Judith Roberts,

Lynne Ramsay zaubert in ihrem neuen Film ein dreckiges, minimalistisches und höchst atmosphärisches Genre-Werk auf die Leinwand, das ihr zu Recht die goldene Palme für das Drehbuch eingebracht hat. Obwohl die Geschichte radikal reduziert erzählt und die Hauptfigur nur facettenhaft beleuchtet wird, erzählt A Beautiful Day genug, um den Zuschauer zu fesseln und zu zwingen, selbst die Lücken zu füllen. Joaquin Phoenix spielt Oscar-würdig auf und verleiht seinem zutiefst zerrissenen Charakter mit seinem präsenten Auftreten Tiefe und Glaubhaftigkeit. Abgerundet wird das Spektakel durch ein sattes Sounddesign und einem unkonventionellen, jedoch passenden Soundtrack von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood. Zuschauer, die gerne Schädel platzen sehen, werden jedoch eher enttäuscht sein: obwohl die Ausmaße der Gewalt in allem Detailreichtum dargestellt werden, wird die Action selbst oftmals bewusst ausgelassen. Ein Stilmittel, das durchaus seine Berechtigung hat und für einige unheimliche Momente sorgt – aber eben auch mit den Erwartungen des Zuschauers bricht und nicht bei jedem auf Wohlwollen treffen wird. Wer sich jedoch von einer experimentierfreudigen Filmperle in die Abgründe der menschlichen Seele ziehen lassen möchte, landet bei A Beautiful Day einen Volltreffer!

Artikel vom 14. März 2018

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