8.5/10

Kritik: Anatomie eines Falls

Die Kunst der Wahrheit

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Genres: Drama, Krimi, Thriller, Startdatum: 02.11.2023

Interessante Fakten für…

  • Justine Triet hat den Film für Sandra Hüller geschrieben. Dies ist ihre zweite Zusammenarbeit nach Sibyl – Therapie Zwecklos (2019).

Wenn die Wahrheit unsichtbar ist, muss man sie eben selbst zeichnen. “Anatomie eines Falls” zeigt uns, dass Schuld oder Unschuld nur eine Frage des Framings ist.

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#PotterUltra #SchwerMetaller #Storyteller

Darum geht’s

Sandra (Sandra Hüller) und Samuel (Samuel Theis) führen ein scheinbar privilegiertes Leben als Schriftsteller-Ehepaar in den französischen Alpen. Doch eines Tages findet der elfjährige Sohn Daniel (Milo Machado-Graner) seinen Vater tot vor dem Haus auf. Ein vermeintlicher Sturz aus dem Fenster wird schnell von der Polizei in Frage gestellt. Stattdessen wird Sandra zur Hauptverdächtigen eines Mordes. Der Prozess beginnt. 

Inszeniertes True Crime

Dieser Film ist gleichzeitig mehr und weniger als ein klassischer “Who-Dun-It”-Krimi. “Anatomie eines Falls” zu schauen ist in etwa, wie einer Herzoperation zuzuschauen. Das menschliche Wesen und die Liebe werden unter klinisch weißem Licht mit skalpellscharfer Präzision seziert. Schwindel, Ekel und Faszination mischen sich bei, doch es erscheint unmöglich, wegzuschauen. 

Regisseurin Justine Triet kleidet Anatomie eines Falls in eine asketische, unterkühlte Bildsprache, deren Realismus sich schon beinahe an das True-Crime-Genre anlehnt. Spartanisch gefilmt nach dem Dogma 95 Manifest von Lars van Trier und Thomas Vinterberg verzichtet der Film auf jegliche Musik – es sei denn, sie ist im Geschehen verankert – und visuelle Spielereien. Anatomie des Falls ist so steinhart wie die Realität.

Anatomie einer Ehekrise

Im Verlauf des Films kristallisiert sich immer mehr das wahre Thema des Films heraus: viel weniger geht es um den Mord oder Selbstmord, sondern viel mehr um dahinterstehende Ursache. Samuels Tod erscheint als Symptom einer disruptiven Ehe; ob er sich diesen Tod selbst beigefügt oder durch seine Frau erfahren hat, spielt nur noch für den Ausgang des Prozesses eine Rolle. 

Immer wieder erleben wir Rückblenden, die intelligent in das aktuelle Geschehen vor Gericht verwebt werden und die Handlung mit Kontext ausstatten. Ein eskalierender Ehestreit zwischen Sandra und Samuel ist derart intensiv gespielt und geschrieben, dass man immer wieder die Fiktion des Filmes vergisst. Wie Justine Triet dabei Informationen in Form von Bild und Ton immer wieder weglässt, um die eigene Fantasie die Lücken ausmalen zu lassen, gehört definitiv zu den Highlights der üppigen Laufzeit von zweieinhalb Stunden. 

Kinder sehen mehr

Der kleine Sohn Daniel bleibt bis zum Ende des Films die Variable in einem konstruierten Narrativ der Wahrheit, das vom Strafverfolger durchgepeitscht wird. Denn wie sich – ohne große Überraschung – herausstellt, hat das blinde Kind mehr gesehen, als ihm selbst, der Mutter und dem Strafverteidiger lieb ist. Die Unschuld des Elfjährigen wird immer wieder mit Füßen getreten, indem Daniel alte Traumata aufarbeiten muss, nur, um sich neuen Traumata vor Gericht auszusetzen. Daniel hört und sagt Dinge über seine Eltern, die unter die Haut gehen und mehr Weisheit sprechen als der gesamte Gerichtssaal zusammen. 

Schauspiel ohne Filter

Sandra Hüller ist mittlerweile ein eigener Markenname geworden. Die deutsche Schauspielerin steht spätestens seit Toni Erdmann für Leistung, die in einer ganz eigenen Liga spielt. Ihre Präsenz ist Grund genug, einem Film die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Da sich Schauspielerin und Rolle dann auch noch denselben Vornamen teilen, stellt man sich oft die naive Frage, wie viel von sich selbst Sandra Hüller in diese Rolle gesteckt hat. Umso unheimlicher wird der Gedanke, sobald im Gerichtssaal die Frage gestellt wird, inwiefern die Angeklagte für die Aussagen ihrer fiktiven Romanfiguren gerade stehen muss. 

Fazit

8.5/10
Sehr gut
Community-Rating:
Handlung 8/10
Schauspiel 9.5/10
Dialoge 9/10
Spannung 8.5/10
Visuelle Umsetzung 7.5/10
Details:
Regisseur: Justine Triet,
FSK: 12 Filmlänge: 151 Min.
Besetzung: Antoine Reinartz, Milo Machado-Graner, Samuel Theis, Sandra Hüller, Swann Arlaud,

Anatomie eines Falls ist ein anstrengender, oft schwer zu ertragender und dennoch faszinierender und bis zum Ende packender Gerichtssaal-Thriller, der jede Form von Klischee gegen eiskalten Realismus eintauscht und dabei Fragen stellt, die einen so schnell nicht mehr loslassen. 

Artikel vom 6. März 2024

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