Kritik: Juror #2
SELBST SCHULD
▶ Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
SELBST SCHULD
▶ Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
Für die Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) ist es die große Chance sich zu beweisen. Der impulsive James (Gabriel Basso) ist angeklagt, seine Freundin ermordet zu haben, nachdem sich die beiden lautstark in einem Roadhouse gestritten haben. Die Geschworenen treten zusammen und beraten. Schnell formt sich die einhellige Meinung, dass der Mann schuldig sein muss. Einzig Justin (Nicholas Hoult) ist nicht überzeugt und versucht die Geschworenen zu überzeugen, dass James unschuldig ist. Denn Justin hat ein Geheimnis, das den Fall in neuem Licht erscheinen lassen, aber ihn selbst in Gefahr bringen kann.
Gerichtsdramen sind meist vom polierten, nussbraunfarbenen Holz der Gerichtssäle dominiert. Gedimmtes Licht fällt durch Jalousinen auf bieder gekleidete Menschen. Nichts scheint, bezirzt oder lenkt auf andere Weise von der Verhandlung ab. Einziger Farbtupfer ist das rot-weiß-blau der US-amerikanischen Flagge und auch in diesem Film ist sie in Szene gesetzt. Clint Eastwood bricht eine Lanze für das unabhängige, egalitäre und demokratische Justizsystem, führt es in seiner Geschichte jedoch an die äußerste Grenze.
Der Held, oder besser Protagonist des Films, ist ein Mann im Ausnahmezustand, eine typische Figur im Werk Eastwoods. Gute Absichten, schlechte Umstände, unklare Geschehnisse führen zu einem schwer auflösbaren Dilemma. Der Film legt diese harte Nuss nun unter den Hammer der Justiz und versucht sie zu knacken. Neben den üblichen Abläufen von Beweisaufnahme und Zeugenaussagen gibt uns das Drehbuch einige Meter Vorsprung durch Rückblenden in die Nacht des Mordes. Doch es enthält die letzten Puzzlestücke vor. So steht, wie in vielen Justizfilmen, Aussage gegen Aussage. Wie zuletzt prominent in The Last Duel angewendet, erzählt der Film den Tathergang aus mehreren Perspektiven.
Der Film lässt die Zeug:innen nicht nur ihre Aussage tätigen, sondern macht sich zu ihrem Handlanger. Wenn Menschen den Zeugenstand betreten und berichten, beginnt der Film in Rückblenden ihre Aussage zu bebildern. Doch wir als Zuschauer:innen müssen dieselbe Skepsis an den Tag legen, als säßen wir auf den harten Bänken der Geschworenen. Die Kamera war nicht am Tatort. Was wir sehen, ist nicht die Wahrheit, es sind die verfilmten Erinnerungen der Zeug:innen. Der Regisseur bricht die filmische Illusion, dass wir etwas Echtes sehen. Er lässt uns im Unklaren, ob seine Kamera lügt, wahrhaftig ist oder am Ende die Wahrheit erzählt.
Ähnlich wie The Last Duel oder Anatomie eines Falls nähert sich der Film der Schuldfrage aus verschiedenen Perspektiven und spitzt dabei das Dilemma der Moderne zu: alle Seiten müssen gleichwertig Gehör finden, doch bedeutet dies nicht, dass sich am Ende eine Wahrheit herauskristallisiert. Wenn keine Wahrheit gefunden wurde, basierte jede:r auf seiner Variante der Wahrheit – willkommen im postfaktischen Justizdrama.
Obwohl die große Auflösung bis zum Ende verwehrt bleibt, ist Juror #2 ein schnörkelloser Thrilller, der in seiner klaren Erzählweise an das Kino der 1990er Jahre erinnert. Doch anders als in der kollektiven Erinnerung verklärt war diese Dekade keine Zeit der bunten Albernheiten. Im Gegensatz zum bedrückenden Ernst von Eine Frage der Ehre oder den John Grisham-Verfilmungen sind die Figuren in Juror #2 belanglos und eindimensional. Fast jede:r der Geschworenen bekommt einen persönlichen Anstrich, doch wäre das Drehbuch auch gut zurechtgekommen, wenn sich der Stoner und die keksebackende Katzen-Omi schlicht auf ihre relevanten Lines konzentriert hätten anstatt auf einfallslosen Charakter-Sprech.
Nicholas Hoult gerät nur in wenigen Momenten zu wirklich überzeugender Leistung und bleibt ansonsten still, in sich gekehrt und unscheinbar. Der Sturm, der in ihm tobt, zeigt sich nicht an der Oberfläche. Beeindruckender sind Strafverteidiger Resnick und Staatsanwältin Killebrew. Sie vollführen den Tanz des Schauspiels abseits der Bühne. Mit vollem Einsatz umgarnen, drängen, verführen sie die Juroren. Große Schritte durch den Gerichtssaal, gekonnte Sprechpausen, triumphierende Mimik, fordernde Gesten in den Zuschauerraum – diese Anwälte suchen nicht nur Gerechtigkeit. Sie erschaffen sie selbst.
Gerichtsdramen fordern keine Experimente, sondern eine packende, straffe Erzählung. Juror #2 gelingt das, doch fühlt er sich menschlich leer an. Trotz dem Aufgebot an Stars. Oder genau deswegen? J.K. Simmons grummelt sich durch eine auf den Leib geschriebene Rolle, Nicholas Hoults Charakter wird lebensentscheidendem Stress ausgesetzt, doch vergießt keine Schweißperle. Die Nebenfiguren sind überzogen und lenken vom Kern der Erzählung ab. Clint Eastwood erzählt von einem Menschen in einer Ausnahmesituation, einem System ausgesetzt das die Wahrheit bis zum brechen dehnt.
Artikel vom 23. Januar 2025
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!