Kritik: EO
Leben aus Bildern
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Der Esel Eo ist Teil eines kleinen Zirkus, der durch ländliche Regionen zieht. Als ihn Tierschutzaktivisten befreien, beginnt eine Odyssee für Eo, die den Esel durch Städte und Länder führt.
Film kann objektiv, also dokumentierend sein, oder aber subjektiv, also erzählend. Diese Zweiteilung scheint deutlich, mit klarer Trennschärfe, doch immer wieder lösen Filmemacher:innen diese Grenze auf. Dokumentarisches wird dann mit erzählendem Inhalt aufgeladen oder fiktive Inszenierung wird für bare Münze verkauft. Kunst sagen die einen, Manipulation die anderen – und beide haben recht.
Besonders spannend wird dies, wenn nicht mehr Menschen vor der Kamera stehen, sondern Tiere, Pflanzen und Dinge. Diese schauspielern nicht, sie sind einfach – und werden damit zum Spielball der Filmgestaltung. In Die Wüste lebt oder Koyaanisqatsi fiebern wir mit Wüstenmäusen mit oder vergießen Tränen für eine Rakete – weil die Inszenierung objektive Bilder mit Emotionen auflädt.
In EO verabschiedet sich Regisseur Jerzy Skolimowski nicht komplett von menschlichem Schauspiel, aber stellt doch das tierische in den Vordergrund. Dafür wählt er eine zunächst unscheinbare Hauptrolle: Einen Esel, quasi den Hidden Champion der Tierwelt. Keiner, der das Scheinwerferlicht sucht, aber dennoch eine Konstante in der menschlichen Kulturgeschichte. Als lebenslanger Begleiter von Jesus Christus, zynischer Bewohner der Animal Farm oder Rückgrat der Stadtmusikanten, der Esel hat einen festen Platz in der Literatur. Meist widmet er sich lakonisch dem Alltag, doch wenn er sich etwas in den Kopf setzt, ist die Sturheit des Esels sprichwörtlich. Also eine interessante Figur, bei der es sich lohnt, die Kamera draufzuhalten und zu sehen, wohin sie uns führt.
Eo zieht durch das polnische Hinterland, stapft durch Kleinstädte, unberührte Wälder und Fußballplätze, die Kamera hält drauf. Dabei erkundet das Bild scheinbar objektiv die Umwelt. Einer Ameise wird genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie einem Eselsohr, ein LKW wird genau so neutral betrachtet wie ein Bachlauf. Doch ist die Kamera, näher betrachtet, natürlich nicht so objektiv wie es zunächst scheint – die Bilder erzeugen dezente Subjektivität. Wenn Eo einer Ameise bei der Arbeit zusieht, scheint eine Beziehung zu entstehen, die Zuschauer:innen verknüpfen Fäden, die gar nicht da sind. Sie glauben, dass der Esel in diesem Moment versteht was er sieht und über Arbeit reflektiert.
Manchmal wird das regelrecht emotional: Aus einem Transporter heraus betrachtet der Esel freilaufende Pferde auf einer Wiese. Objektiv betrachtet eine banale Szene. In den geschickt gewählten Perspektiven, Bildmontage und Musikuntermalung entsteht jedoch ein intimer Moment, in dem wir in den Augen des Esels die Sehnsucht lesen, die Rampe des Transporters aufzusprengen um mit den Pferden Richtung Horizont zu laufen. Nicht wenige Momente treiben einem die Tränen in die Augen, andere lassen uns ängstlich die Hände vors Gesicht legen.
Der Film ist keine alberne Vermenschlichung von Tieren (wie etwa Der König der Löwen oder Dr. Dolittle) aber schafft doch eine spürbare Verbindung zwischen Zuschauer:innen und Tier. Eo werden keine menschlichen Eigenschaften zugeschrieben, es wird nicht der Versuch unternommen, einem Esel menschliche Ausdrucksweisen in den Mund zu legen. Vielmehr versucht der Film, die Ausdrücke eines Tieres für Menschen zu übersetzen. Die Bilder lassen uns Emotionen sehen, wo eigentlich keine sind.
Obwohl der Film eher visuell als erzählerisch getrieben ist, wird es doch häufig emotional, sehr emotional. Der Soundtrack ist düsterer als das Gesehene und verbreitet den bittersüßen Duft der Natur, welche keine Happy Ends oder Drehbuchregeln kennt.
Nie gibt sich der Film dem Kitsch hin, nie flunkert er. Die Emotionen berühren, weil sie, trotz der inszenatorischen Freiheiten, real sind. Eo macht kein Männchen oder liefert vorhersehbare Pointen in Tier-Sketchen. Er tröstet keine weinenden Kinder oder beißt Bösewichte in den Hintern. Eo ist, wie alle Tiere, zu gleichen Teilen zutraulich und scheu, neugierig und gleichgültig, tapst stundenlang durch Wälder und schlendert durch Menschenmassen. Skolimowski gelingt es, eine tierische Magie einzufangen, die uns anrührt. Nicht etwa, weil sie menschliche Geschichten reproduziert, sondern weil sie so ursprünglich ist, dass wir eine Verbundenheit spüren. Seine tierischen Figuren sind liebenswert. Nicht, weil sie wie wir sind. Sondern weil sie Tiere sind.
EO ist ein beeindruckender Tierfilm. An der Schwelle zwischen beobachtender Natur-Doku und emotionalem Roadmovie durchwandert ein unscheinbarer Protagonist das ländliche Europa und lenkt die Aufmerksamkeit auf die vielfältigen Lebens- und Naturwelten. Durch die fehlende Erzählstruktur ergibt sich manche Länge, die nicht immer befriedigend gefüllt wird. Doch der flauschige Vierbeiner wächst einem ab der ersten Minute ans Herz. Eine berührende, experimentelle Erfahrung.
Artikel vom 7. Januar 2023
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