Kritik: Framing Britney Spears
Her loneliness is killing us
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Britney Spears verkörpert wie kaum eine Zweite den Fluch des Spotlights. In den frühen 2000ern gab es nur wenige Kinderzimmer ohne ihr Poster an der Wand, ihr Einfluss auf die Popkultur der Dekade ist unbestritten. Doch nach dem rasanten Aufstieg des Stars begann ein schmerzhaftes, jahrelanges Ausbrennen. Zur kollektiven Erinnerung an „Britney“ gehören eben nicht nur „Toxic“ und der Kuss mit Madonna, sondern auch die spontane Glatze und Paparazzi-Attacken.
Die Talfahrt führte im Jahr 2008 zur gerichtlichen Entmündigung. Seitdem verwaltet ihr Vater als Vormund ihre Finanzen, Karriere und Privatleben – und ist als Profiteur daran interessiert, Spears weiterhin in diesem sogenannten „Conservatorship“ zu binden, wie Kritiker sagen.
Geschickt und ohne große erzählerische Experimente zeichnet die Dokumentation die Geschichte des Stars chronologisch nach, von den ersten Auftritten im Jahr 1992 bis zum heutigen Tage. So wird auch der Generation der Nachgeborenen die Relevanz klar, die Britney Spears für die 2000er hatte. Doch nicht nur ihre Musik, Videos oder Outfits waren prägend, auch ihre Skandale. Sie war nicht der erste Popstar, der fiel, doch selten war ein Niedergang so schmerzhaft und live zu verfolgen, dank der Klatschpresse und dem unstillbaren Hunger ihrer Leser auf neue Sensationen.
In einem eindrücklichen Moment zeigt die Dokumentation Aufnahmen einer Partynacht von Britney Spears, Paris Hilton und Lindsay Lohan – drei Namen, die durch Schlagzeilen langfristig stigmatisiert wurden. Wir erinnern uns beschämt zurück an die seltsame Zeit, in denen Menschen Geld damit verdienten, andere Leute beim Late-Night-Shopping an der Tankstelle zu fotografieren. Personen wie du und ich benahmen sich wie du und ich – und wurden dafür mit Häme überschüttet.
Hier liegt eine Stärke des Films – eine unbequeme Darstellung des Pop-Kosmos der 2000er. Zuschauer:innen, die diese Ära durch den nostalgischen Schleier der Kindheit und Jugend sahen, werden nun unangenehm berührt sein, wenn sie die bekannten Bilder Revue passieren lassen. Blitzlichtgewitter und die Schadenfreue über jeden Fehltritt sind nicht nur lästige Begleiterscheinungen des Fame, sondern extreme psychische Belastungen für einen Menschen. Britney Spears im Jahr 2007 ist eine Tragödie, kein Meme.
Leider lässt der Film diese Bilder nicht für sich selbst sprechen, sondern fühlt sich offensichtlich in der Pflicht, dem Zuschauer eine Lesart der Ereignisse nahezulegen. Die Stationen der Karriere werden durch die Schablone scheinbar omnipräsenten Misogynie im Pop-Zirkus betrachtet. In einigen Momenten ist diese Sicht hilfreich, so ist es beispielsweise sehr eindrücklich, wie der Film die Trennung von Spears und Justin Timberlake nacherzählt und anhand von Originalmaterial in Erinnerung ruft, wie Timberlake unbefleckt und prahlerisch aus der Trennung ging, während Spears als vermeintlich Schuldige zurückblieb.
In anderen Fällen ist der Erklärungsansatz des Sexismus weniger schlüssig. So wird ausgeklammert, dass auch Männer wie Pete Doherty, Kanye West oder Justin Bieber unter die Räder derjenigen Medien geraten, die sich durch das Unglück Anderer verkaufen. Ebenso, dass vielen weiblichen Stars der Dekade ein selbstbestimmtes Image und respektvolles Miteinander mit den Boulevardmedien gelang.
Enttäuschenderweise entschied man sich, den tragischen Charakter der Erzählung zusätzlich mit dramatischer Musik zu unterstreichen, die einem selbst beim RTL-Spendenmarathon irgendwann auf die Nerven gehen würde. Entweder vertrauen die Produzent:innen der Wirkung der Bilder nicht oder sie trauen den Zuschauer:innen keine emotionalen Kompetenz zu. Beides sind ärgerliche Zustände, welche Materie und Publikum nicht ernst nehmen.
Nichtsdestotrotz entwickelt die Retrospektive eine moralische Wucht, der sich die Zuschauer:innen kaum entziehen können.
Die vielen kleinen Schnitzer lassen vermuten, dass mit Framing Britney Spears eher ein Streaming-Coup im Stile beliebter True-Crime-Formate ins Auge gefasst wurde, als eine aufgeklärte Auseinandersetzung mit der Causa Spears. Britney Spears wird zur revolutionären Power-Frau stilisiert, die sie nie war: eine Zeitzeugin schwärmt vom Erfolg von „…Baby One More Time“ der zu einer Zeit kam, als die Charts von Männern dominiert waren und Frauen keine Erfolge feiern konnten – ein Blick in die Charts offenbart, dass das so nicht stimmt.
Die gefühlsbetonte Ouvertüre führt dann zum eigentlichen Gegenstands der Dokumentation: Die #FreeBritney-Bewegung und ihr Vormundschafts-Streit. Statt hilfreicher Einschätzungen und Fakten dominieren hier leider Spekulationen einiger weniger Blickwinkel. In diesem Abschnitt verdeutlicht sich der größte Schwachpunkt der Produktion: Die Auswahl an Expert:innen.
Dass der erste Teil, trotz der überdramatisierenden Taschenspielertricks, sehr gut funktioniert, liegt an den Interviews, welche die Karriere des Superstars für uns kommentieren, reflektieren und einordnen. Doch nach kurzer Zeit schleicht sich das bittere Gefühl ein, welches fast alle großen Unglücke begleitet: Keiner wills gewesen sein. Einem Paparazzo werden unangenehme Fragen gestellt, seine abgebrühten Antworten verhallen. Die ehemalige Stylistin wettert über Sexismus, während man sich fragt, wer, wenn nicht sie, die sexualisierten Outfits verantwortete. Die New York Times will helfen, doch kommt etwas spät zur Rettung. Überhaupt: Wenn das Ziel lautet, Britney Spears den Weg zurück in ein würdevolles Leben zu bereiten, ist die beste Lösung, alle tragischen Momente noch einmal aufleben zu lassen? Spears selbst schrieb, sie habe sich nach dem Schauen des Films „geschämt“ und „wochenlang geweint“. War das Aufwärmen der geächteten Aufnahmen konstruktiv oder machen sich die Produzent:innen am selben Tatbestand schuldig, den sie bei den Boulevardzeitungen anklagen? Während wir bei einem Glas Rotwein ethische Diskussionen dieser Art bestreiten, macht man bei Hollywoods Paparazzi-Agenturen den Champagner auf – sie bekommen erneute Reichweite für ihre Fotos und wahrscheinlich sogar Lizenzgebühren.
Zur Vormundschaft wäre eine professionelle Einschätzung nicht nur wünschenswert, sondern dringend notwendig. Jurist:innen, welche die Details des Arrangements und bisherige Gerichtsverhandlungen analysieren. Psycholog:innen, welche den tatsächlichen Zustand von Britney Spears beurteilen. Stattdessen spekulieren Fans über versteckte Botschaften in Instagram-Posts. Das ist unterhaltsam, aber nicht zielführend. Ein Urteil, welches leider über viele Aspekte des Films zu fällen ist.
Dokumentationen haben sich zu Binge-Schlagern der Streaming-Dienste gemausert. Längst reichen Filme und Serien nicht mehr, dem Publikum muss ein unterhaltsames Non-Fiction-Portfolio geboten werden. Framing Britney Spears bringt uns zurück in die 2000er, aus der nostalgischen Rückschau wird jedoch eine medienkritische Geisterbahnfahrt. Enttäuschend ist, dass man über die Details ihrer viel-diskutierten Vormundschaft am Ende nicht schlauer ist, stattdessen bleiben Emotionen, Spekulationen und offene Fragen. Im Unterhaltungsbereich ist das ein gelungenes Open End, für eine ernsthafte Arbeit nach journalistischen Maßstäben jedoch ein Reputationsschaden.
Artikel vom 21. April 2021
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