Kritik: Fremont
KRÜMEL UND LIEBE
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Seit acht Monaten lebt die Afghanin Donya (Anaita Wali Zada) nun in Fremont in den USA. In der Glückskeksfabrik textet sie Lebensweisheiten und hat in Joanna (Hilda Schmelling) eine gute Freundin. Schlafprobleme bringen sie in die psychiatrische Praxis von Dr. Anthony (Gregg Turkington). Doch statt Tabletten zu verschreiben, will der lieber über Glückskekse und Literatur philosophieren. Eigentlich steht nichts in Donyas Weg, doch ankommen kann sie in ihrer neuen Heimat noch nicht.
Glückskekse, Horoskope und schlechte Songtexte funktionieren durch einen einfachen Trick: Sie sind so allgemein und unverbindlich, dass sie alles bedeuten können, wenn man nur will. Botschaften ohne feststehenden Empfänger, die jede und jeden berühren können. Donya wird durch eine Beförderung in der Glückskeksfabrik zur Magierin dieser in die Welt hinausgestreuten Weisheiten. Stundenlang sitzt sie am Computer und erfindet Ratschläge und Inspirationen, welche dann ausgedruckt, in Kekse gesteckt und verkauft werden. Was zunächst wie ein kleines erzählerisches Gimmick wirkt, wird jedoch sinnstiftend für Figuren und Film.
Die aus Afghanistan geflüchtete Donya lernt, dass Leben, genauso wie Glückskeks-Sprüche, nur Sinn haben, wenn sie ihn gibt. Wenn ihr Psychiater aus „Wolfsblut“ vorliest oder ein Automechaniker zum Kaffee einlädt, können diese Momente das Leben prägen. Der Film benötigt seine volle Laufzeit um diesen Gedanken zu vermitteln und leider sind es nur die finalen Szenen, die wirklich ans Herz gehen.
Unübersehbares Herzstück des Films sind die Figuren. Nicht nur die Protagonistin Donya, sondern der gesamte Cast spielt, mit wenigen Pinselstrichen gezeichnet, lebendige Charaktere. Da ist der Chef einer Glückskeksfabrik, der zwecks Job zwar zwangsläufig in Plattitüden spricht, aber doch mit jedem Satz liebevoller wird. Seine Frau Lin ist ein regelrechter Drachen und sorgt für Spannung und Komik. Der Plot will Donyas Flucht vor den Taliban in die USA nicht ins Zentrum stellen, lässt dadurch jedoch häufig Dramatik vermissen.
Der schrullige Arzt, der eigentlich sich selbst therapiert oder die Kollegin, die mit einem Karaoke-Auftritt zu Tränen rührt, sind gelungene Ergänzungen. Es ist überraschend, wie viele reich erzählte Nebenfiguren in einer Spielzeit von gerade einmal 91 Minuten Platz zum Atmen finden. Als dann plötzlich einer der aktuell größten Shooting Stars (halb Mann, halb Frisur: Jeremy Allen White) die Szene betritt, erwartet man fast, dass es bei einem kurzen Gastspiel bleibt und sein Charakter gleich wieder verschwindet. Doch White bleibt und schon lange hat man niemanden mehr so charmant auf der Leinwand herumdrucksen sehen. So inhaltsvoll und toll gespielt all die Figuren auch sind, so bleibt ihnen nie genug Zeit. Häufig öffnet sich das Fenster zu ihren Seelen und bevor wir einen wirklichen Blick riskieren können, schließt es sich wieder und die Geschichte fließt weiter.
Das kontrastreiche Schwarz-Weiß hilft den Blick aufs Wesentliche zu richten. Häufig verharrt der Blick in der Halbnahen auf einer Figur, friert sie ein in der Bewegung und hält sie, einem Interview ähnlich, fest. Die wiederkehrenden Szenenbilder erzählen visuell einen ganzen Lebensabschnitt. Arbeitsplatz, Wohnung oder Feierabend-Restaurant werden in ähnlichen Einstellungen mehrmals durchlaufen, bis aus wenigen Szenen der Anschein einer alltäglichen Routine entsteht. Donya sitzt jeden Abend am selben Tisch in Aziz‘ Restaurant. Und lernt den Besitzer jeden Abend mehr kennen.
In einem angenehmen Fluss greifen die wiederkehrenden Motive ineinander. Die Schönheit des Lebens kommt nicht durch außergewöhnliche Ereignisse oder Paukenschläge zum Vorschein, sie ist längst da, überall, jeden Tag. Es liegt an der inneren Einstellung, ob ein banaler Glückskeks-Spruch eine lebensverändernde Veränderung bringt. Und es ist ebenso eine Frage der Einstellung, ob der tägliche Kontakt mit Kolleg:innen mehr sein kann als Small Talk. Oder ob der Kaffee an der Raststätte mit dem gerade kennengelernten Mechaniker der Beginn von etwas wunderbarem sein kann.
Durchschnittliches Indie-Kino, das etwas braucht um in Fahrt zu kommen. In den ersten Momenten fühlt sich Fremont an wie der Filmhochschul-Abschlussfilm von Wes Anderson, doch entwickelt der Film bald ein sattes, wenn auch etwas flaches Eigenleben. Vermutlich kein Kandidat für die Best-Of-Listen des neuen Jahres, doch wäre dieser Film ein Glückskeks, lautete die Botschaft: „Du wirst im Januar einen schönen Filmabend haben“.
Artikel vom 15. Januar 2024
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