Kritik: Maria Montessori
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lässt es sich die Künstlerin Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) in Paris gut gehen. Doch muss sie sich auch um ihr behindertes Kind Tina (Raffaelle Sonneville-Caby) kümmern. Lili ist von der Situation überfordert und schöpft Hoffnung als sie von einer Möglichkeit in Rom hört. Dort betreibt die Ärztin Maria Montessori (Jasmine Trinca) ein Institut für Kinder mit kognitiven Benachteiligungen. In einem geschützten Raum können die Kinder lernen und sich vorbereiten auf eine Gesellschaft, die sie bisher abgeschrieben hatte. Tina wird in die Schule aufgenommen und die beiden Frauen können beobachten, wie sie aufblüht.
Über den Schriftsteller Philip Roth gibt es eine schöne Anekdote. Als es ans Verfassen seiner Biographie ging, bat er den Autor: „Mach mich interessant, nicht sympathisch“. Über Verstorbene oder Menschen im letzten Lebensabschnitt möchte man ungern schlecht sprechen, also enden viele Biopics als Feel-Good-Sessions, in denen nochmal die großen Momente und Hits durchgenudelt werden, um dem Subjekt Respekt zu zollen – wirklich näher kommt man den Menschen hinter den Ikonen selten. Auch die Ärztin und Pädagogin Maria Montessori bekommt nun ihre verfilmte Lebensgeschichte. Dabei wird die konfliktreiche Biographie und das Privatleben in den Vordergrund gerückt, über die streitenswerten Grundlagen ihrer Philosophie wird geschwiegen.
Die Regisseurin Léa Todorov nähert sich der Ärztin über andere Personen. Anstatt in jeder Szene auf Montessori zu blicken, füllt sie den Film mit weiteren Figuren und weitet dadurch die Perspektive. Mit der Sängerin Lili stellt sie eine weitere Mutter-Figur auf, die sich jedoch in einer anderen Lebenssituation befindet und dadurch für erzählerische Reibung sorgt. Lilis kognitiv behinderte Tochter wird in das Pädagogikinstitut aufgenommen, blüht auf und zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine komplizierte, doch tiefe Freundschaft.
Nicht durchgängig, doch in seinen wirklich bezaubernden Momenten, betrachtet der Film die pädagogische Alltagsarbeit im Institut, das Montessori gemeinsam mit ihrem Partner führt. Film und Geschichte verschwimmen hier, es entsteht ein authentischer Eindruck einer Beobachtung von freiem Spiel. Die Kinder-Darsteller:innen, allesamt neuro-atypisch oder mit motorischen Störungen wie die Regisseurin berichtet, schauspielern nicht, sie spielen. Im Garten, am Schreibtisch oder im Tanzsaal wird erlebbar, wie kreative Pädagogik aussehen kann und wir werden erinnert, was für ein Wunder es ist, Lesen zu lernen.
Getragen vom verschwenderisch schönen Soundtrack fließt der Film ab der Hälfte durch zahlreiche entspannende Szenen, die das Erleben der jungen Schüler:innen in den Mittelpunkt stellen. Besonders die Szenen, in denen Lili auf dem Klavier improvisiert und die Kinder sich von den Tönen inspiriert bewegen, sind magische Momente, die mit wenig Einsatz fesseln. Gegen Ende zerfasert der Film etwas in der Dringlichkeit, zu viele Aspekte der Protagonistin zu erzählen.
Während die Waldorf-Pädagogik seit einiger Zeit kritisch unter Betracht genommen wird, steht der Name Montessori nach wie vor für eine kreative Alternativ-Erziehung und kindliche Selbstermächtigung im Sinne des Mottos „Hilf mir, es selbst zu tun“. Der Film zementiert dieses Image, benutzt jedoch nur die hellen Farben des Malkastens. Montessori ist getrieben vom Glauben an das Gute, sie ist geduldig, schlagfertig, feministisch sowieso. Die eugenischen und rassistischen Grundlagen ihrer Ansichten werden nicht erwähnt. Diese stellen zwar nicht ihre Erziehungsmethoden in Frage, noch sollten sie den Blick auf ihre Person zu sehr trüben. Doch ist es eine verpasste Chance, eine wirklich vielschichte, authentische Biographie zu erzählen, wenn alles, aus heutiger Sicht Fragwürdige, außen vor bleibt.
Insgesamt erzählt der Film linear, aber durch die über die Figur Lili d’Alengy gespiegelte Perspektive löst er die Fixierung auf die Hauptfigur. Zum Ende hin betrachtet der Film lediglich Montessoris gesellschaftliche Position als Frau und lässt die Erzählung etwas eindimensional enden. Doch insgesamt ergibt sich ein stimmiges Bild von einem Menschen, der den Glauben an das Potential und die Liebe zu Kindern in das Zentrum seines Lebens stellt.
Vor den Kinos dürften sich bald die Lastenräder stauen, denn die Pädagogen der hippen Stadtteile werden ein Ticket für diesen Film haben wollen. Viel Zeit des Films ist der Beobachtung von Montessoris pädagogischen Ideen gewidmet und es ist ein Genuss, der spielerischen Arbeit in ihrem Institut zuzusehen. Um die volle Laufzeit zu füllen, widmet sich das Drehbuch anschließend sehr großzügig der Person Montessori. Die Philosophin wird in fast überschwänglichen Tönen als Heldin, aber auch Opfer ihrer Zeit beschrieben. Sympathisch, aber nur bedingt interessant.
Artikel vom 17. März 2024
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