Kritik: Poor Things
SO REAL UND SURREAL
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Es war einmal eine Frau, die sich umbrachte und von einem bahnbrechenden Chirurgen (Willem Dafoe) auf unkonventionelle Weise zurück ins Leben geholt wurde. Diese Frau heißt nun: Bella Baxter (Emma Stone).
Eines Tages erweckt in ihr der Drang, aus ihrer vertrauten Umgebung, der Villa ihres Vaters (den sie auch liebevoll „God“ nennt), auszubrechen und mit dem Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) auf Reisen zu gehen. Dort lernt sie nicht nur viel über sich selbst, sondern auch über die zahlreichen gesellschaftlichen Probleme in ihrer und damit auch unserer Welt.
„Hüte dich, denn ich bin furchtlos und daher mächtig.“
Frankensteins Monster in Frankenstein
Ein Zitat aus Mary Shellys Klassiker das besonders gut auf die Protagonistin Bella Baxter passt. Sie ist furchtlos, sie entschuldigt sich nicht, sie ist sexuell und sie lässt sich nichts gefallen.
Der Film obliegt dabei einem spannenden Gedankenexperiment: Was wäre, wenn man ein Kind in den Körper einer ausgewachsenen Frau steckt. Wie würden wir über gesellschaftliche Konventionen urteilen, wenn wir unabhängig denken würden? Wie würden wir handeln, wenn das Konzept von Geld und Sicherheit nur eine kleine, bis keine Rolle spielen würde?
Auch in „Frankenstein“ sehen wir die Welt durch ein Wesen, welches anfängt die Natur der Menschen zu hinterfragen. Keine Angst: Wir sehen in Poor Things nicht, wie Bella Baxter langsam durch die Einsamkeit verrückt wird und schließlich ein Kind ermordet und auch ihre Beziehung zu „God“ ist weitaus besser. Aber dennoch ist in beiden Werken die Perspektive der „Monster“ spannend gewählt und lässt eine nahezu unemotionale und objektive Beobachtung auf unsere Gesellschaft zu.
Diese und viele weitere Gedanken spuken einem im Kopf herum, während und nachdem der Abspann läuft. Poor Things spricht so viele Themen an, dass man sich zunächst sortieren muss! Schaut man oberflächlich auf den Film, stechen vor allem Kostümdesign und Sets ins Auge, die aussehen, als wären sie aus einem surrealen Burton Märchen genommen worden. Mit den pointierte Gore- und Horrormomenten und der an vielen Stellen irritierenden Musik entsteht eine unheimliche Grundatmosphäre. Im Haus der Baxters werden unten Leichen seziert und nebenher noch Operationen an Lebenden durchgeführt. Oben spaziert eine erwachsene Frau herum, die sich benimmt wie ein Kleinkind im Körper einer erwachsenen Puppe – hinter ihr läuft ein Hund mit Gänsekopf und passend dazu, gibt es noch eine Gans mit Hundekopf. Diese Elemente könnten gruselig sein, wären sie nicht so witzig! Der schwarze Humor brachte nicht selten den Kinosaal zum Lachen.
Yorgos legt hier eine Liebe zum Detail an den Tag, sodass es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt.
Zwar scheinen Setting und vor Allem Kleidung an die viktorianische Zeit angelehnt zu sein, doch schnell merkt man, dass es lediglich eine Fassade ist, hinter der sich aktuelle Probleme unserer Zeit verbergen. Dieser Kontrast zwischen unserem Heute und dem filmischen Gestern verschwimmt, während Bellas Geist zusehends erwachsener wird. Auch in dieser fantastischen Welt gibt es eine Kluft zwischen arm und reich. Auch Sexarbeit folgt nicht dem Konzept der gegenseitigen Befriedigung. Weniger noch! Scheinbar gefällt es manchen Männern sogar, wenn eine Frau gar keine Lust beim Sex empfindet. Vielleicht macht man als Frau nicht unbedingt die gleichen Erfahrungen wie Bella und doch kann man sie nachvollziehen. Und damit kommen wir zu einem großen Thema, welches Poor Things behandelt: die Sexualität von Frauen.
So ehrlich sieht man auf der Leinwand selten Wahrheiten über Sex und weibliche Lust. Warum soll eine Frau nicht gerne und viel Sex haben? Was ist so schlimm daran, wenn man für Sex Geld bekommt? Diese und viele mehr Fragen stellt sich Bella und mit ihr die Zuschauer:innen. Neben dem unglaublichen Spiel von Emma Stone, sehen wir einen von Mark Ruffalo grandios umgesetzten Duncan Wedderburn, der sich die Zähne an ihr ausbeißt. Er liebt und hasst sie für ihr freies Denken. Er will sie besitzen, aber liebt, dass er sie nie besitzen kann. Das treibt ihn buchstäblich in den Wahnsinn.
Auch unabhängig feministischer Grundgedanken wird gezeigt, dass man für sich selbst einstehen muss, seine Welt hinterfragen sollte und sich nicht grundlos für alles entschuldigen sollte, was nicht in die gesellschaftliche Norm passt.
Poor Things überzeugt nicht nur mit atemberaubenden Settings, Kostümdesign und natürlich Schauspiel, sondern lässt einen auch lange nach dem Abspann nicht los. Gleichzeitig trieft der Film mit seiner düster/surrealen Atmosphäre nur von schwarzem Humor. Dabei vermittelt er wichtige Themen mitsamt philosophischen Grundsätzen. Hier lohnt es sich auch ein wiederholter Kinobesuch. Unbedingt reingehen!
Artikel vom 21. Januar 2024
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