Kritik: Leander Haußmanns Stasikomödie
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Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer bekommt Ludger (Jörg Schüttauf) endlich Einsicht in seine Stasi-Akte. Doch dadurch erfährt die Welt nun die Wahrheit über den Poeten – er wurde in den 1980ern vom Geheimdienst der DDR angeheuert um als Doppelagent unter Oppositionellen zu spionieren. Als sich der junge Ludger (David Kross) in die revolutionäre Szene einschleust, verliebt er sich in die Künstlerin Nathalie (Daleila Piasko). Ihm gelingt der Aufstieg innerhalb der Kulturszene, doch Ludgers Vorgesetzter bei der Stasi (Henry Hübchen) macht Druck und ermahnt den Spitzel, den Auftrag nicht zu vergessen.
Da ist sie also wieder, die DDR-Komödie von Leander Haußmann. Zwei Jahrzehnte nach dem Überhit Sonnenallee und 15 Jahre nach dem mittelmäßigen Flop NVA kehrt der Filmemacher zu einem seiner Herz-Themen zurück. Von jeder Plakatwand ruft es stolz: “Leander Haußmanns Stasikomödie“, nachdem man wochenlang dachte, dieser seltsame Titel in Programmheften und Filmvorschauen sei Platzhalter-Name für einem Geheimprojekt. Warum nur ein derart gestelzter Titel? Wer eine sinnvolle Antwort sucht, wird sie vorläufig nicht finden können. Bei der doch eher geringen Dichte an DDR-Komödien könnte man es für unnötig halten, doch Haußmann zieht es vor, dem Film als eine Art Qualitätssiegel seinen eigenen Namen aufzudrücken, den Namen des Mannes, der die nostalgisch gefärbte Ost-Komödie überhaupt erst populär gemacht hat. Der das kulturelle Phänomen der Ostalgie befeuert hat mit seiner erfolgreichen Mischung aus „Es war nicht alles schlecht“ und „Wenn es schlecht war, dann sehr“. Würde Haußmann es juristisch drauf anlegen, könnte er Umsatzbeteiligung einfordern für alle Spielzeug-Trabbis und Ampelmännchen-Salzstreuer, die in Berliner Touristen-Shops über die Theke gehen.
Dabei ist er sich diesem popkulturell verklärten Blick auf die ostdeutsche Vergangenheit durchaus bewusst. „Onkel Ludger, ich hab Spreewaldgurken mitgebracht!“ lässt er die Nichte im Jahr 2022 sagen, es gibt Onkels Einsicht in die Stasi-Akte zu feiern und das geht natürlich am besten mit „kultigen“ Ost-Produkten. Onkel Ludger verdreht genervt die Augen – wenn das die einzigen jugendlichen Assoziationen mit der DDR sind, dann gute Nacht.
Am Kaffeetisch fällt die Familie gemeinsam über die Akte her: Jahrelang dokumentierte der Geheimdienst jeden seiner Schritte. Nun will die Verwandtschaft jeden aufgezeichneten Schritt nachvollziehen, danach sollen sie direkt ins öffentliche Archiv überführt werden. Ludger verliert die Autorität über seine eigene Vergangenheit. Stattdessen lässt Haußmann in einer Rückblende Ludgers eigene Geschichte Revue passieren lassen, eine Geschichte, die vielschichtig und komplex ist und damit zur Erinnerungskultur der DDR beitragen könnte… wenn sie nicht so hektisch wäre. Über den jungen Mann, der plötzlich aus dem Nichts bei der Stasi angeheuert wird, wissen wir eigentlich nichts. Naiv, systemtreu, gegenkulturell angehaucht – Wie so einer beim Geheimdienst landet, bleibt ein Rätsel. Auch alle anderen Figuren bleiben schemenhaft und von ihnen gibt es viele, bis in die Nebenrollen glänzend besetzt. Kurzer Überblick: Ludger verguckt sich unterwegs zum Einsatz in Nathalie, doch die hat einen Freund. Mit Corinna, deren Wohnung er bespitzelt, landet er im Bett. Durch Zufall trifft er Nathalie wieder und, oh Wunder, ihr Freund ist Robert, scheinbar ehemaliger bester Freund von Ludger. Das Dreieck wird dann zum Viereck, als Corinna plötzlich auch wieder auftaucht.
Verwirrend? Nun, dem Film ist keine schlampige Erzählweise vorzuwerfen. Das Beziehungsgeflecht lässt sich gut verfolgen. Wirklich tragisch ist jedoch, dass jegliche emotionale Tiefe fehlt. Wenn sich unser Protagonist Nathalie nähert, dann wissen wir, dass das kompliziert ist, weil ihr Freund Ludgers Kumpel ist. Doch wir fühlen es nicht. Alles ist konstruiert, nichts natürlich. Freundschaften werden erwähnt, Gewissenskonflikte angesprochen – das muss reichen.
Das schnelle Umschaltspiel zwischen Humor und Dramatik beherrschte Haußmann häufig mühelos, es dürfte einer der Gründe für seinen Erfolg sein. Hier scheint es ihm, wie so vieles, abhandengekommen zu sein. Doch diese Balance zwischen Witz und Tragik ist zwingend notwendig, um Geschichten zu erzählen, die derart widersprüchlich sind – Erinnerungen an lustige Momente aus einem Land, in dem eigentlich Weniges wirklich lustig war.
Das Bild vom Arbeiter-und-Bauern-Staat wird durch viele erfrischende Einblicke bereichert, gleichzeitig fokussiert sich der Film jedoch zu stark auf diese zirkushaften Ausnahmemomente und verliert jeglichen Bezug zur Realität. Es scheint als ob die Erinnerungen an den ostdeutschen Staat mit jedem Jahr verblassen. Jörg Schüttauf und David Kross spielen den tragischen Helden toll, doch sind wir ihm am Ende eigentlich keinen Schritt näher gekommen, ebenso bleibt die Tragik seines Geburtslandes in weiter Ferne.
Leander Haußmann schaffte erst, was nur Wenige vermögen: Sein eigenes Genre zu prägen. Mit diesem Film trägt er die DDR-Komödie jedoch ungeschickt zu Grabe. Die Szenen sind weit von Alltagsbetrachtungen entfernt und rutschen ins alberne Spektakel ab, die Figuren und ihr Handeln bleibt uns bis zum Ende fremd. Tragischerweise ist Leander Haußmanns aktueller Film das geworden, was er wohl nie schaffen wollte: eine unkonzentrierte, klamaukige DDR-Karikatur.
Artikel vom 24. Mai 2022
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