Kritik: The First Avenger: Civil War
DER BESTE MARVEL-FILM ALLER ZEITEN?
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Hand aufs Herz – Wir alle dachten, dass der Zenit der Comicverfilmungen schon hinter uns liegt. Denn in letzter Zeit gab es doch immer wieder mal den ein oder anderen Blindgänger. Fantastic Four ging baden, während Batman v Superman: Dawn of Justice sich gerade noch so über Wasser hielt. Im Endeffekt war aber dennoch das Schießpulver feucht. Umso ärgerlicher für den Comicverleger DC, dass nur paar Wochen später Marvels Superhelden-Face-Off-Pendant alles schafft, was Batman v Superman schaffen wollte. Und noch mehr.
Wie schon gesagt, dieser Film ist kein „Avengers 3“, auch wenn seine Größendimension darauf schließen lässt. Es gibt kleine aber feine Unterschiede:
Unterschied 1: Es gibt keinen Superschurken. Loki und Ultron waren herrlich überzeichnete Comic-Lausbuben mit Sehnsucht nach Weltherrschaft. Man könnte es auch als das „Darth Vader Phänomen“ bezeichnen, dass epische Handlungen immer nach einem supermächtigen, dunklen und eindimensionalen Bösewicht verlangen. In The First Avenger: Civil War fehlt dieser Überschurke aber komplett.
Unterschied 2:Die Avengers sind keine Avengers mehr. Wie man es vermutlich schon in einem der 1000 Trailer aufgeschnappt hat, handelt es sich hierbei um ein Face-Off zwischen Captain America und Iron Man. Die restlichen Avengers, mit der Ausnahme von Thor und Hulk, ergreifen eine der beiden Seiten.
Unterschied 3: Es gibt keine außerirdischen oder magischen Einflüsse. Zwar ist auch diese Comicverfilmung aufgrund seiner Fülle an Superhelden total over the top, doch die Handlung steht mit festem Stand in unserer Welt. Politik, Kriege und Geheimdienste anstelle von Aliens und Zauberstäben.
Im Zentrum von The First Avenger: Civil War steht eine entscheidende Frage:
Die Fragestellung könnte genauso gut in einer Erörterung des Gemeinschaftskunde-Abiturs gestellt werden. Es gibt pro und contra. Das denken sich auch die Avengers. Denn in ihren Weltrettungs-Einsätzen, die auf reiner Selbstjustiz beruhen, gibt es einen Haufen „Kollateralschäden“. Die Eröffnungssequenz zeigt einen Avengers-Einsatz in Nigeria, der wie üblich mit heroischer Superhelden-Action auffährt, dann aber mit der versehentlichen Sprengung eines Krankenhauses endet. Schon die ersten zehn Minuten zeigen: Das ist kein normaler Marvel-Streifen.
Tony Stark aka Iron Man (Robert Downey Jr.) findet das gar nicht cool. Der ehemalige Waffenhersteller hat genug von „Kollateralschäden“ und setzt sich für die Verabschiedung des „Sokovia-Abkommens“ ein. Das von der UNO verfasste Gesetz soll die Superhelden unter die Staatsgewalt der USA stellen, so dass Selbstjustiz nicht mehr möglich ist. Auch Natasha aka Black Widow (Scarlett Johansson) findet die Idee gut.
Captain America allerdings nicht. Steve Rogers (Chris Evans) will nicht jedes mal warten, bis irgendetwas von ganz oben abgesegnet wird, er stürmt lieber gleich zum Brennpunkt und räumt im Selbstverständnis einer Weltpolizei auf. Na, erkennt jemand die unterschwellige Symbolik?
Dennoch, egal wie voreingenommen man diesen Film ansieht, man wird mindestens drei mal die Seite wechseln. Man sieht eben beide Seiten der Medaille. Als es einen Anschlag auf die UNO in Wien gibt, der mutmäßliche Initiator ist der Winter Soldier (Sebastian Stan), ist Captain America ihm bereits auf der Spur. Natürlich ohne das Einverständnis der Regierung. Während sich Politik und Tony Stark an bürokratischen Formalitäten aufhalten, kommt der Cap. einfach schneller voran. Denn die Uhr tickt.
Hinter den Ereignissen steckt in Wirklichkeit Baron Helmut Zemo (Daniel Brühl), der eine Truppe von hochgefährlichen und biologisch manipulierten Elitekillern ausfindig machen will. Sollte ihm das rechtzeitig gelingen, dann war’s das mit der Weltsicherheit. Um seinen Schurkenplan zu verwirklichen, führt er mit einer vertrackten Vorgehensweise die UNO und die Avengers an der Nase herum.
Aufgrund der prekären Lage heizt sich die Stimmung zwischen den Helden auf. Selbstjustiz um produktiv auf Verbrecherjagd zu gehen, oder den legalen Weg einschlagen und womöglich ein Risiko riskieren?
Es muss ausgesprochen werden: Das Avengers-Universum entwickelt sich zu einem der besten Blockbuster-Franchises aller Zeiten. Kommerz hin oder her, so ein komplexes System aus Charakteren und Handlungssträngen, über mehrere Filme verteilt, findet man sonst selten. Mit The Return of the First Avenger, Avengers 2: Age of Ultron und nun Civil War, legen die Produzenten einen derart starken Hattrick hin, dass die Frage nach der Berechtigung des Überflusses an Comicfilmen nun vorerst beantwortet ist. Solange ihr’s so drauf habt, gebt uns ruhig mehr!
Comic-Charaktere sind eindimensional? Von wegen! Über die vielen Filme hinweg haben Robert Downey Jr., Scarlett Johansson und selbst Chris Evans ihre Charaktere so vertieft und geschliffen, dass sie sich neben Ikonen des Blockbuster-Kinos wie Indiana Jones, Han Solo oder Jack Sparrow nicht zu schämen brauchen. Allen voran ist Iron Man so Stark wie nie zuvor. Er verbindet Sympathie, Coolness, Genie, Witz und Dramatik in einer Person, während ab und zu noch seine alte Playboy-Attitüde durchschimmert. Besonders gegen Ende des Films bekommt sein Charakter emotionale Szenen, die man bisher von ihm noch nicht gewöhnt war. Sein Konflikt mit Steve Rogers, der ihrer engen Freundschaft im Weg steht, sorgt für einige intensive Momente.
Die etwas neueren Gesichter des Marvel-Cinematic-Universe überzeugen genauso. Der Geheimfavorit ist Vision (Paul Bettany), die synthetische Intelligenz in Menschenform. Während wir ihn in Age of Ultron noch mit göttlicher Macht und dramatischem Cape durch den Himmel fliegen sahen (er konnte sogar Thors Hammer aufheben!), läuft er hier zum Großteil in Rollkragenpulli und Polohemd durch die Gegend. Während er versucht menschliches Verhalten zu adaptieren, wirkt er durch seine eloquente Ausdrucksweise oft wie ein Sheldon Cooper aus der Serie The Big Bang Theory.
Weitere Volltreffer sind die beiden Bindestrich-Helden Ant-Man (Paul Rudd) und Spider-Man (Tom Holland). Sie werden erst in der zweiten Hälfte des Films rekrutiert, sorgen dort aber mit Abstand für die größten Lacher.
Als wir erfuhren, dass Marvel SCHON WIEDER einen neuen Spider-Man auf die Leinwand bringt, haben wir uns einfach abwinkend umgedreht. Jetzt wissen wir’s besser: Tom Holland passt in die Rolle des Peter Parker mindestens so gut wie Spider-Man in seinen Anzug. Er bekommt zwar eher wenig Screentime, doch jede seiner Szenen nagelt er an die Wand. Er ist weder ein Schönling wie Andrew Garfield, noch fehlt ihm die etwas unangenehme Naivität von Tobey Maguire. Tom Hollands Peter Parker ist ein ganz normaler, und vor allem authentischer, Teenager.
Wir alle wissen was kommt. Die Avengers reißen auseinander, ein Team aus Freunden wird zerstört. Das hört sich alles nach viel mehr Tränen und Dramatik an, als nach Humor. Tatsächlich ist auch die erste Hälfte von The First Avenger: Civil War genauso so unlustig wie ein Bourne-Film. Wenn gerade mal keine raue Actionsequenz auf die Zuschauer einschlägt, dann bekommt man erstaunlich oft politische Konferenzräume zu sehen. Geht’s dir gut, Marvel? Oder bist du einfach erwachsen geworden?
Die Spannung wird in der ersten Stunde kontinuierlich angezogen. Wir alle spüren es: Streit liegt in der Luft. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Lage eskaliert. Doch pünktlich zur Halbzeit, als es schon fast in Dark Knight-Ernsthaftigkeit übergeht, löst sich der Film von allen Fesseln.
Am Leipziger Flughafen ist es schließlich so weit (der Großteil des Films spielt übrigens in deutschsprachigem Raum). Die Helden sind vollzählig, der Kampf kann beginnen. Team Cap. gegen Team Stark. Im Trailer sahen wir bis jetzt nicht viel. Lediglich wie beide Seiten dramatisch ineinander rennen. Doch wir alle hatten keine Ahnung. Hier spielt sich die wohl großartigste Actionsequenz ab, die je eine Comic-Verfilmung bieten konnte. 15 Minuten hochdosierter Wahnsinn.
Überraschenderweise steckt in diesem Kampf nur wenig ernsthafte Dramatik. Stattdessen kriegen wir ein Gag-Feuerwerk geboten, dass selbst den Showdown aus The Avengers weit in den Schatten stellt. Während dieser viertelstündigen Actionszene möchte man einfach applaudieren. Anthony und Joe Russo zählen nun endgültig zu den besten Action-Meistern unserer Zeit. Der Ideenreichtum dieses Superhelden-Brawls könnte locker drei Spielfilme füllen. Das klare Highlight: Ant-Man!
Doch dieses Action-Feuerwerk ist, wider aller Erwartungen, nicht das Finale von The First Avenger: Civil War. Danach erwartet uns ein weiterer Kampf, der von den Ausmaßen um ein vielfaches kleiner, aber dafür um einiges dramatischer und persönlicher ist. Die losen Fäden der Handlung werden zusammengeführt und es wird eine schreckliche Enthüllung gemacht, die das Glas endgültig zum Überlaufen bringt. „Schurke“ Baron Zemo hat natürlich irgendetwas damit zu tun, doch in Wirklichkeit hätte es seinen Charakter überhaupt nicht gebraucht. Daniel Brühl liefert zwar eine ordentliche Performance als Fiesling, aber er verliert aufgrund des zentralen Konflikts in Civil War an Wichtigkeit.
Das Ende fährt zu einem emotionalen Höhepunkt auf, der kein Happy End zulässt. Dennoch schaffen es die Russo-Brüder, ihrem Film eine finale Katharsis zu geben, so dass wir den Kinosaal trotzdem mit einem euphorischem Gefühl verlassen können.
Für alle Marvel-Universe-Experten heißt es während des Abspanns natürlich: sitzen bleiben. Es gibt wieder einen total mysteriösen Hint auf den nächsten Film, den Normal-Sterbliche leider sowieso nicht verstehen.
Es ist verblüffend, wie der Großteil der Comic-Verfilmungen (fast) durchgehend einen guten Standard halten kann. Civil War setzt aber noch mal eine ordentliche Schippe drauf. Es ist der komplexeste, größte und visuell beeindruckendste Comic-Film, der je gedreht wurde (Die Dark Knight-Trilogie mal außen vor gelassen). Die Grundthematik ist spannend, relevant und aktuell. Darüber hinaus löst er das übliche Schwarz-Weiß-Gehabe des Comic-Genres komplett auf. Über Civil War lässt sich stundenlang diskutieren. Wer war zum Schluss nun im Recht? Wir wissen es immer noch nicht. Aber ist das nicht gerade genau die richtige Message für unsere moderne und komplexe Welt?
Artikel vom 30. April 2016