Kritik: The Jungle Book
ERNST UND ERWACHSEN: DISNEY PROBIERT’S MAL MIT REALISMUS
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ERNST UND ERWACHSEN: DISNEY PROBIERT’S MAL MIT REALISMUS
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Die Geschichte um Mowgli kennt vermutlich jeder, der in den letzten 50 Jahren eine Kindheit hatte. Nur lose basierend auf den Erzählungen von Rudyuard Kipling, erzählt The Jungle Book die Geschichte eines Waisenkindes, dass im Herzen des indischen Dschungels von Tieren aufgezogen wird. Mowgli (ist Teil eines Wolfsrudels und wäre am liebsten selbst ein Wolf. Mit Herzblut ahmt er seine Tierfreunde nach, doch immer wieder schimmert der Mensch in Mowgli durch. Seine „Menschen-Tricks“ sind im Urwald gar nicht gerne gesehen. Besonders Tiger Shir Khan (im Original Idris Elba, im Deutschen Ben Becker) hat ein persönliches Problem mit dem kleinen Menschen-Kind. Am liebsten würde er es tot sehen. Der fürsorgliche Panther Baghira (im Original Ben Kingsley/ im Deutschen Joachim Król) muss Mowgli also schnell in Sicherheit bringen. Am besten eignet sich die Menschensiedlung. Doch auf dem Weg dorthin stellen sich ihnen einige tierische Gestalten in den Weg.
Wenn ein beinahe fotorealistischer Wolf auf einmal anfängt vor sich hin zu brabbeln, dann wirkt das in den ersten Filmszenen kurz etwas befremdlich. Die Rede ist vom „Uncanny Valley“ („unheimliches Tal“). Solange eine künstliche Filmfigur in ihrem Aussehen nicht zu realistisch aussieht, gerade so, dass sie noch als „menschlich“ eingestuft werden kann, dann hat man einen Cartoon-Effekt. Charaktere sind immer sympathisch, singende Bären sind völlig selbstverständlich. Wenn man aber den Realismus erhöht, dann droht ein Filmcharakter in das Uncanny Valley hineinzufallen. Er ist ZU realistisch, um nicht als komisch oder befremdlich wahrgenommen zu werden. The Jungle Book kratzt gefährlich nahe an diesem Tal der Entfremdung…
…bekommt dann aber doch die Kurve. Der erst befremdliche Eindruck der sprechenden Tiere wird in die Luft geblasen. Die Mimik ist nicht übertrieben, sondern dezent und passend. Jedes Tier bekommt seinen eigenen Charakter, der seinem Aussehen und seiner Ausstrahlung entspricht. Trotz der umwerfenden Animationen, fällt das ein oder andere Mal jedoch der Computer-Einfluss auf. Das stört aber kaum, da der Film einfach zu jeder Sekunde verdammt gut aussieht.
Jeder Disney Fan mit nostalgisch-romantischen Erinnerungen kommt hier voll auf seine Kosten. Die Charaktere des Dschungelbuch-Originals sind vollzählig – und präsentieren sich mit neuem Face-Lifting namens CGI. Selbst Mowgli sieht aus wie aus dem Zeichentrickfilm; und der ist nicht computeranimiert. Alles wirkt vertraut, doch gleichzeitig neu. Erzählerisch alt bewährt, technisch neu interpretiert.
Jeder wartet natürlich auf Balu. Wann kommt Balu? Im zweiten Drittel taucht er dann endlich auf. Der große Faulenzer mit einer Honig-Sucht ist sympathisch wie eh und je. Im Original von Bill Murray und im Deutschen von Armin Rhode gesprochen, geben uns beide Versionen einen würdigen Balu. Jede Szene mit ihm im Bild macht ungeheuren Spaß. Das „Bär-Trauma“ nach The Revenant ist also vergessen – Bären sind wieder Teddybären.
Die Rolle des furchteinflößenden Schurken übernimmt natürlich Tiger Shir Khan. Seine majestätische Präsenz paart sich mit subtiler Verletzbarkeit, die seinen Charakter nicht eindimensional, sondern interessant und vielschichtig erscheinen lässt.
Die wilde Natur in ihrer unberührten Form. Seit Avatar haben wir dafür eine Schwäche. Es ist jedoch schon fast ironisch, dass die Dschungelwelten meist komplett am Computer generiert werden. Jaja, die „Natur“. Trotzdem sieht The Jungle Book verdammt gut aus. Der Urwald ist mal düster, mal grellbunt. Die Sonne schimmert durch das tiefe Geäst und Gestrüpp während bunte Tiere aller Größen und Formen ihrem Alltag nachgehen. Es ist natürlich eine utopische Darstellung der Natur; doch man atmet zu jeder Minute den Dschungel-Flair ein und genießt die brillante Optik.
Kleine Schönheitsmakel gibt es trotzdem. Denn The Jungle Book ist nicht im üblichen 2.35:1 Breitbild-Kinoformat, sondern im weniger weiten Seitenverhältnis 1.85:1 gedreht. Für Laptop- und Fernsehbildschirme ist das eine super Sache, denn das Bild kann dort ohne schwarze Balken angezeigt werden, doch auf der Kinoleinwand wirkt das Bildformat wie eine Bestrafung. Anstatt, dass die volle Fläche der Leinwand genutzt wird, sehen wir im Kino rechts und links zwei hässliche schwarze Balken. Nur die wenigsten Kinosäle haben das 1.85:1 Format, dass wieder in Mode kommt.
Natürlich ist The Jungle Book 3D. Solange die Bilder hell und farbenfroh sind, sieht das auch sehr schön aus. Doch wenn die Nacht über den Dschungel hereinbricht, dann sind die Bilder (typisch 3D) viel zu dunkel und verwaschen. Schade, dass eine so bildgewaltige Optik unter solchen Lappalien leiden muss.
Die ersten 20 Minuten sind verblüffend erwachsen und in einem ernsten Ton verfasst. Verspielt und leichtfüßig ist hier überhaupt nichts. Erst ab der Einführung von Balu kommt auch der Faktor Spaß dazu. Die Gag-Dichte nimmt zu, die Lichter werden heller, die Farben bunter. Der hartnäckige Ohrwurm „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ wird natürlich auch gesungen. Wer sich Sorgen macht, dass die Gesangseinlage wie ein Fremdkörper im sonst eher bodenständigen Film wirkt, der kann die „Sorgen über Bord“ werfen. Der Song integriert sich nahtlos in die Geschichte und sorgt für massig gute Laune.
Nicht ganz so gelungen ist jedoch King Louies Gesangspart „Ich wär so gern wie du“(im Original gesungen von Christopher Walken, im Deutschen von Christian Berkel). Im Gegensatz zu der fetzigen Szene im Original-Zeichentrickfilm wirkt der Song in The Jungle Book etwas leblos.
Das Finale des Films schwingt sich dafür aber zu dramatischen Höhen hinauf. Die Flammen lodern. Genauso die Emotionen. Shir Khan zeigt sich von seiner bedrohlichsten Seite, während der kleine Mowgli tapfer kämpft. Der Kinderschauspieler Neel Sethi erfüllt dabei seinen Job, kann sich aber nicht wirklich in die Hall of Fame der Nachwuchsstars einreihen. Seine dauerhaft sympathische Ausstrahlung lässt ihn dabei auch etwas blass wirken. Mowgli wirkt mehr wie ein Filmcharakter als wie eine echte Person.
Warum nun aber ausgerechnet das Ende von The Jungle Book vom Zeichentrickfilm abweicht, lässt sich nicht ganz nachvollziehen. Die bittersüße Schlusssequenz aus dem Original setzte hinter die Aussage der Geschichte einen würdigen Schlusspunkt: Trotz seiner Kindheit unter Tieren ist Mowgli ein Mensch. Nun verlässt sich Regisseur Jon Favreau aber lieber auf ein 0815 Happy End, dass Raum für Fortsetzungen bietet. Franchise-Building?
Anmerkung: Nach dem Ende sitzen bleiben! Es folgt ein unglaublich kreativer und lustiger Abspann.
Die ersten Trailer haben eventuell einige zum Zweifeln gebracht. Kann ein Remake des Originals im realistischen Ton wirklich gut gehen? Ja, kann es. Insgesamt ist er sogar stärker als die Version aus dem Jahr 1967; auch wenn das volle Potential nicht ausgeschöpft wurde. Trotz einiger düsterer Szenen ist The Jungle Book das perfekte Ziel für einen familiären Sonntagsausflug ins Kino. Mal schauen, ob die zum Verwechseln ähnliche Realverfilmung von Tarzan im Juli 2016 genauso überzeugen kann.
Artikel vom 15. April 2016