Kritik: Altered Carbon: Das Unsterblichkeitsprogramm – Staffel 1
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Im Jahr 2384 sind Menschen dazu fähig, nach ihrem Tod im Körper eines Anderen wieder zu leben. Ermöglicht wird das durch einen implantierten Computerchip namens „Stack“, der das ganze Bewusstsein einer Person in digitaler Form speichert. Wenn die menschliche Hülle, der sogenannte „Sleeve“, kaputtgehen sollte, kann man den Stack einfach in einen anderen Körper einsetzen – es sei denn, der Stack wird ebenfalls beschädigt! Dann ist man richtig tot. Für immer.
Takeshi Kovac (Joel Kinnaman) ist ein Envoy, ein hochausgebildeter Soldat, der sich für den Kampf gegen die regierende UN verschworen hat. 250 Jahre nach seinem Tod wird er in einem neuen Körper “resleeved” und von Laurens Bancroft (James Purefoy), einem der reichsten und einflussreichsten Männer der besiedelten Welten, angeheuert, ein Verbrechen aufzuklären. Laurens möchte wissen, wer seinen alten Sleeve umgebracht hat.
Takeshi wird unterstützt von Polizistin Kristin Ortega (Martha Higareda), die ein mysteriöses Interesse für Takeshi zu hegen scheint. Hat es vielleicht etwas mit seinem neuen Sleeve zu tun? Doch Takeshi ahnt nicht, dass er das letzte Puzzleteil einer weitreichenden Verschwörung ist…
Da will man sich gerade auf die Serie einlassen und schon bekommt man ein volles Magazin von Fachausdrücken ins Gesicht geballert, während sich das Drehbuch darauf verlässt, dass man alle schluckt. „Stacks“, „Sleeves“, „C-TAC“, „Envoy“, „Protectorate“, etc., gebt mir eine Pause! Was passiert hier? Worüber wird gesprochen? Es empfiehlt sich tatsächlich, während der ersten Folgen ein Altered Carbon-Wiki in einem neuen Tab zu öffnen und immer wieder zu pausieren. Gelegentliches Zurückspulen lässt sich so oder so nicht vermeiden.
Keine Serie zum nebenher schauen!
Man ist nicht dumm, wenn man sich in der komplexen Dystopie von Altered Carbon vorerst absolut nicht zurechtfindet. Im Gegensatz zu z.B. Westworld, das dem
Zuschauer die Regeln vortrefflich erklärt und dann rätseln lässt, versagt Altered Carbon in der Exposition. Kennt ihr diesen einen Verwandten, der euch als Kind immer Skat erklären wollte und es einfach nicht auf die Reihe bekam? Genau so stellt sich Altered Carbon an. Wir hören Fachbegriffe, bevor sie erklärt werden und sehen das Große Ganze erst einige Stunden später.
Dabei ist die Geschichte durchaus faszinierend. Es geht um das Leben nach dem Tod, um virtuelle Intelligenzen und um Menschen im falschen Körper. Die Themen in Altered Carbon sind brisant und ein toller Denkanstoß, wenn sie auch weniger ausgereift und paranoid wirken als in Black Mirror – doch tatsächlich spielen beide Netflix Serien mit sehr ähnlichen Ideen.
Es ist offensichtlich, dass sich Autor Richard Morgan an seinen liebsten Science-Fiction-Geschichten bediente und keine Abstriche machen wollte: Altered Carbon ist so ausufernd und überambitioniert, wie man sich eine Philip K. Dick „Fanfiction“ nur vorstellen kann. Das ist unterhaltsam und ermüdend zugleich.
Letztendlich fehlt es der ersten Staffel an mindestens drei Folgen, der Vorlage wirklich gerecht zu werden. Stattdessen bekommen wir hetzende und zum Teil schmerzlich offensichtliche Expositionen, z.B. wenn Charaktere Dinge erklären, die eigentlich nur der Zuschauer wissen muss. Dadurch fühlen sich mindestens vier Folgen an wie die erste Folge der Serie – dieses Gefühl, die Serie noch nicht zu kennen. Es herrscht eine stetige Distanz und Apathie, die erst in der zweiten Staffelhälfte aufgebrochen wird.
Sobald es Klick macht und man sich den notwendigen Überblick erarbeitet hat, kann man Altered Carbon auch sein zerfasertes Storytelling verschmerzen. Im Gegensatz zum vergleichbaren Westworld, das seinen eigenen Rhythmus und eine penibel durchdachte Struktur besitzt, wird hier vollkommen willkürlich hin und her gesprungen. Diese Serie ist ein Musterbeispiel für eine gute Story mit miesem Storytelling.
Genug gemeckert. Altered Carbon lohnt sich allein schon wegen der absolut beindruckenden Ausstattung. Jedes Set strotzt nur so vor Detailverliebtheit, und die atmosphärischen Lichtspiele harmonieren wunderbar mit den hochwertigen CGI-Effekten – ein Augenschmaus. Von den dreckigen und in Neonlicht getauchten Skyline-Schluchten, bis zu opulenten Art-Deco-Innenarchitekturen, die etwas an die Bioshock-Games erinnern, spielt Altered Carbon in der Oberliga visuell beindruckender Serien-Formate mit. Fans von Filmen wie Blade Runner und Ghost in a Shell werden sich in das Neo-Noir-Setting schnell verlieben.
Die Parallelen zur Blade Runner-Reihe sind nicht offensichtlich, sondern unabweisbar – nicht nur auf visueller Ebene ist Altered Carbon ein großes Hommage an den Klassiker von Ridley Scott, auch inhaltlich spinnt Laeta Kalogridis’ Serie die Gedankenansätze von künstlichem Leben weiter fort. Wer sich gerne solchen Gedankenexperimenten aussetzt, wird hier in einen großen und bunten Freizeitpark eingeladen. Ähnlich wie in Blade Runner und Blade Runner 2049, wird der genauen Funktionsweise dieser Zukunftstechnologien nicht viel Beachtung geschenkt. Das bedeutet, dass man einige Science-Fiction-Elemente, seien sie noch so weit hergeholt, einfach akzeptieren muss. Das könnte vor allem für „Trekkies“ etwas zu schwach sein.
Joel Kinnaman als beinahe unfehlbarer Protagonist Takeshi Kovacs ist so ein zynischer Arsch, das er schon beinahe wieder sympathisch wird. Allerdings scheitert der Schauspieler an der Grundprämisse der Serie: Menschen können in verschiedenen Körpern leben. Der „alte“ Takeshi, gespielt von Will Yun Lee, ähnelt dem neuen Takeshi überhaupt nicht. Zu keiner Zeit kann man sich vorstellen, dass in beiden Darstellern der selbe Charakter gelebt haben soll. Die Faszination dieses genialen Story-Elements verpufft somit schnell. Da ist die künstliche Intelligenz eines Hotels (abgefahrene Idee!) namens Poe (Chris Conner) deutlich spannender und unterhaltsamer.
Die weibliche Hauptrolle Kristin Ortega, gespielt von Martha Higareda, kann man kaum ernst nehmen. Sie ist definitiv hübsch und sympathisch genug, um sie als Identifikationsfigur zu akzeptieren. Doch ihr vollkommen willkürlich eingefügtes, spanisches Herumfluchen wirkt gezwungen und mehr unfreiwillig komisch als taff. Warum man aus ihrer stark ausgelegten Frauenrolle dann unbedingt auch noch ein Sexobjekt mit frontalen Nacktaufnahmen machen musste, ist fragwürdig. Dafür ist Renée Elise Goldsberry als Rebellenanführerin Quell umso überzeugender – ihr kauft man die physische und psychische Stärke sofort ab. Takeshis Schwester Reileen (Dichen Lachman) platziert sich irgendwo im Mittelfeld zwischen Quell und Ortega. Überzeugen kann Lachman vor allem in der letzten Folge der Staffel.
Auch wenn sich diese Bewertung mehr auf die „Kritik“ und weniger auf das Lob konzentriert hat (bei einem Format dieser Größe ist das auch gerechtfertigt), bietet Altered Carbon genug Action, Ideen und visuelle Ästhetik, um als Zuschauer zehn Folgen lang in diese faszinierende Dystopie abzutauchen. Das Drehbuch kann die ultrakomplexe Story kaum zusammenhalten und verheddert sich in wirren und endlos langen Expositionen. Doch mit der zweiten Staffelhälfte zieht auch die Spannung deutlich an. Die letzte Folge bietet ein kolossales und emotionales Bilderbuch-Finale, das einen weitgehend mit den vorangegangenen Schwächen versöhnt. Dennoch ist Altered Carbon ein anstrengender Bingewatch, der vor allem für Fans von Blade Runner und Co. gedacht ist. Eine zweite Staffel, die aus den Fehlern lernt und auf weniger Erklärungen angewiesen ist, könnte dieses Format zu einer verdammt starken Serie machen! Wir behalten dich im Auge, Altered Carbon.
Artikel vom 13. Februar 2018
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