Die Rolle erscheint sehr realistisch. Bosch hat keine Schrullen oder genialen Eingebungen (Sherlock), er ist nur einfach sehr gut in seinem Job, engagiert sich gleichzeitig und erscheint nicht abgehoben. Er ist durchaus verletzbar und manchmal unbeherrscht. Es gab eine Szene in einer früheren Staffel, in der er das ständige Mobbing seines inkompetenten Chefs nicht mehr aushielt und ihn in einer schwungvollen Bewegung durch eine Glasabtrennung beförderte, was ihm eine Suspendierung einbrachte und gleichzeitig den Respekt von anderen Kollegen, die ebenfalls unter dem Schleimer zu leiden hatten.
Nicht mehr nur Cop, sondern auch Daddy
Leider hat er kein Glück mit Frauen in seinem Leben – so wie es sich für einen gestandenen Detective eben gehört, denn Job und Familie seien ja kaum zu vereinen. Er lebt von Elenor Wish, der Mutter seiner Tochter Maddie, getrennt. Sie ist eine ehemalige FBI-Agentin, die mittlerweile als professionelle Pokerspielerin arbeitet. Ihr Schicksal stellt einen zweiten und wichtigen Handlungsstrang in dieser Staffel dar.
Auf persönlicher Ebene muss er sich nun auch mehr mit seiner fast erwachsenen Tochter auseinandersetzen, und das ist für Maddie nicht leicht, denn Harry hat sich im Lauf seines eigenen Heranwachsens und seiner schwierigen Zeit bei der Polizei eine harte Schale angeeignet. Dies mag ein Klischee so vieler Krimiserien sein, kommt aber tatsächlich glaubwürdig rüber und das liegt hauptsächlich an Titus Welliver, der die Figur mit einem verbissenen Ernst spielt und dadurch immer hundertprozentig authentisch wirkt.
Los Angeles – ein Pulverfass
Die Aufstände rund um den Polizeiskandal um Rodney King 1992 in L.A. sind wohl noch in guter Erinnerung. Deshalb muss Chief Irving (Lance Reddik – bekannt aus The Wire und Fringe) jetzt mit äußerster Vorsicht handeln, denn das Mordopfer in der ikonischen Zahnradbahn Angels Flight ist ein bekannter, schwarzer Anwalt, der hauptsächlich gegen Cops des LAPD wegen Polizeibrutalität tätig war. Aktuell wird einer Gruppe von Polizisten Folter eines Verdächtigen vorgeworfen und wie sich herausstellt, sind diese durchaus begründet. Für die afro-amerikanische Bevölkerung ist klar, dass der Täter natürlich ein Cop sein muss. Deshalb wird Bosch Hauptermittler in diesem Fall, denn er ist einer der wenigen, der noch nicht von Howard Elias verklagt wurde.
Vor dem Hintergrund des ständig wachsenden Drucks durch Protestler, muss sich Bosch mit einem ehemaligen Partner beschäftigen, der in starkem Tatverdacht steht. Sheehan, gespielt von Jamie McShane, scheint jeden Moment durchzudrehen bzw. zusammenzubrechen. Nach der Folterszenenbeschreibung sollte man ihn eigentlich hassen, aber McShane verleiht dieser Figur eine besondere Tiefe und Emotionalität, dass man die Zerrissenheit deutlich sehen und mitfühlen kann.
Chief Irving ist mehr Politiker und bekommt die drohenden Aufstände mit viel Geschick in den Griff und natürlich wird gegen Ende der Staffel eventuell klar, wer den Anwalt erschossen hat. Dass dabei noch ein älterer Handlungsstrang, zu dem Bosch ein sehr persönliches Verhältnis hat, mit eingebaut wird, ist fast schon genial.
Warum ‘Bosch’ besser ist als viele andere Krimiserien
Die Serie besticht durch Realismus, die Handlungsstränge sind geschickt miteinander verknüpft, ohne unübersichtlich zu werden. Im Vordergrund stehen aber nicht nur Action und Spannung, sondern auch einprägsame und vielschichtige Charaktere. Die Handlung beschreibt realistische Polizeiarbeit ohne übertriebene Mätzchen und die Hauptperson ist vielschichtig, aber durchweg positiv. Man kann sich identifizieren und wird so emotional mitgenommen. Zu guter Letzt ist die Serie auch ein optisches Highlight, tolle Kamerafahrten und Einstellungen, realistische Hintergrundgeräusche, die den Zuschauer in die Szenerie versetzen, vollendet mit dezenter Jazz-Musik.
Durch das sich langsame entfaltende Labyrinth an menschlichen Geschichten steigt die Erzählung weit über das übliche whodunit hinaus und berührt Themen wie Korruption, Rassismus und politische und soziale Aspekte. Aber nicht zu letzt ist sie auch langsam aufbauend sehr spannend und deshalb sind die 10 Folgen pro Staffel durchaus „bingworthy“.
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