Kritik: Cyberpunk: Edgerunners – Staffel 1
KYBERNETIK AN UND ABGEHT’S!
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Wir schreiben das Jahr 2076: eine dystopische Vision der Zukunft, in der die körperliche Aufrüstung von kybernetischen Implantaten Gang und Gebe ist. Keine Stadt verkörpert diesen Umstand besser, als die von Großkonzernen regierte Metropole Night City, in der die Menschen bizarrere Möglichkeiten finden, um sich weiter aufzurüsten.
Und irgendwo in den niedriger gelegenen Ortschaften lebt der begabte David Martinez (Kenichiro Ohashi) mit seiner Mutter Gloria. Diese arbeitet als Notfallsanitäterin Überstunden, damit ihr Sohn auf die elitäre Arasaka Akademie gehen kann, auch wenn David weiß, dass er dort ein Außenseiter ist. Doch eines Tages geraten beide ins Kreuzfeuer eines Drive-by Shootings, wodurch seine Mutter schwer verletzt wird. Da sie nicht versichert sind, kann David sie gerade noch so in einer heruntergekommen Klinik unterbringen, wo sie schlussendlich ihren Verletzungen erliegt.
Während der trauernde David überlegt, wie es nun weitergeht, macht er Zuhause eine Entdeckung: Ein “Sandevistan”, ein militärisches kybernetisches Implantat. Wie seine Mutter zu so einer mächtigen Technologie kommt ist für David erstmal irrelevant. Stattdessen entscheidet er sich für eine Verzweiflungstat: Er lässt sich dieses Implantat einpflanzen. Zunächst, um sich an seinen Peinigern an der Akademie zu rächen, doch schon bald werden ganz andere Leute auf ihn aufmerksam, einschließlich der Hackerin Lucy (Aoi Yûki), die ihm ein sehr interessantes Angebot unterbreiten werden.
Bei all dem darf David nicht vergessen: Allzu viel Kybernetik ist ungesund – für sich UND für Umstehende.
Das Cyberpunk-Franchise hat eine brisante Vorgeschichte. Als der polnische Videospielentwickler CD Projekt RED (The Witcher) das Spiel Cyberpunk 2077, dass auf dem gleichnamigen Pen&Paper Spiel aus den 80er Jahren basiert, ankündigte, war der Hype groß. Es erhielt massenhaft Publicity und sogar ein großes Cameo von niemand anderem als Keanu Reeves. Doch schon bald zeigten sich erste Probleme: Es kam wiederholt zu Veröffentlichungsverschiebungen und das Studio wurde Ziel zahlreicher Kontroversen. Und als es im Jahr 2020 endlich veröffentlicht wurde, war es vollgestopft mit Bugs und technischen Fehlern – ein Desaster wie es im Buche steht. Bedeutet das nun das Ende von Cyberpunk 2077?
Doch wenn es als Videospiel nicht klappt, gibt es ja glücklicherweise Streamingplattformen, weshalb Netflix gleich in Frage kommt. Mit dieser neuen Chance versucht es CD Projekt mit einer ganz anderen Richtung: Schräg, actionlastig und hyperstilisiert. Und welches Animationsstudio eignet sich dafür besser als das japanische Studio Trigger, das bereits für verrückte Werke, wie Kill la Kill bekannt ist?
Guter Neustart oder zu schräg um gut zu sein?
Eines vorweg: Wer denkt, dass diese dystopische Serie in eine Richtung geht, die unerwartete Wendungen und Mindfucks einschließt à la Black Mirror, der hat die falsche Serie ausgewählt. Die Handlung von Cyberpunk: Edgerunners ist ziemlich geradlinig. Dies ist keinesfalls abwertend zu betrachten. Stattdessen ist es eine bewusst getroffene Entscheidung, welche die Dramatik und den Stil der Serie über die zehn Episoden hinweg bestimmt.
Klar ist sie auch voller Gesellschaftskritik, nur dass diese gezielt übertrieben dargestellt wird. Die Auswirkungen einer hyperkapitalistischen Gesellschaft werden bereits in der ersten Episode gnadenlos aufgezeigt. Spätestens wenn die Urne mit der Asche von Davids Mutter wie in einem Süßigkeitenautomaten ausgeworfen wird, ist es so tragisch, dass es nahezu wieder witzig ist. Subtil? Nicht mit Studio Trigger!
Wenn man über die Handlung von Cyberpunk: Edgerunners redet, fällt vor allem ein Begriff: Sauschnell (und das nicht nur, weil der Sandevistan David Supergeschwindigkeit verleiht). In Episode 1 hat David seinen Tiefpunkt erreicht und eine lebensverändernde Entscheidung getroffen und in Episode 2 ist er bereits in sehr fragwürdiger Gesellschaft mit den Edgerunners, einer Gruppe kybernetisch augmentierter Söldner. Auch danach geht die Handlung rasend schnell weiter.
Einerseits erhält die Serie dadurch eine interessante Dynamik und kommt schnell zum Punkt. Anderseits fühlt es sich an, als würden wichtige Ereignisse nicht die nötige Zeit erhalten. Bestimmte Charaktere verschwinden, bevor sie ausreichend beleuchtet wurden, während andere zu spät und wie aus dem Nichts eingeführt werden. Und während man am Anfang mit Namen und technischen Bezeichnungen, wie dem Sandevistan, überhäuft wird, dauert es länger, bis stärker auf die eigentliche Cyberpunk-Welt eingegangen wird. Doch auch hier hat man an einigen Stellen das Gefühl, als bräuchte man gewisse Kenntnisse aus Cyberpunk 2077, um vollständig durchblicken zu können…
Studio Trigger wäre nicht Studio Trigger, wenn es auch hier nicht mit hirnverbrannter Action punkten würde. Und wenn es um solch absurde Action geht, hat Cyberpunk: Edgerunners mehr als genug davon. Bereits die Einführung in Episode 1 bereitet die Zuschauer auf das blutige Anime-Feuerwerk vor, die sie erwarten wird. Dabei ist es vor allem die hyperstilisierte Animation, gepaart mit der Kreativität der kybernetischen Implantate und futuristischer Waffen, die dem bunten Actiontrip die nötige Abwechslung geben.
Hier lässt sich jedoch sagen, dass die Action in Edgerunners vor allem am Anfang ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Es braucht eine Weile bis man im Stande ist, bei den ganzen Ereignissen auf dem Bildschirm den Überblick zu behalten. Bevor man versucht zu begreifen, was in der Szene passiert ist, ist man schon bei der Nächsten. Es ist ein Anime-Level an abgedrehter Action, mit dem zugegebener Weise nicht jeder warm wird.
Worin Cyberpunk: Edgerunners wirklich hervorsticht, ist die Animation. Night City sieht mit ihren künstlichen Neonlichtern fantastisch aus. Nahe zu jedes Viertel und jede Gasse strotzt nur so vor Charakter und bizarren Gesellen. Gerade die zahlreichen Einwohner, die mit verschiedenen Implantaten immer mehr von ihrer Menschlichkeit opfern, sind erstaunlich einprägsam. Ob bionische Augen, künstliche Körperöffnungen oder andere versteckte Upgrades – Keiner sieht aus wie der andere.
Dabei ist es vor allem erstaunlich, wie diese stilisierte Animation ihre eigene Geschichte erzählt. Vor allem die Korruption und die Entmenschlichung durch immer extremere Implantate kommen durch die Animation besonders zum Vorschein. Halluzinationen und Wahnvorstellungen werden auf extreme aber passende Weise dargestellt, bis derjenige schließlich zu einem tobenden Cyberpsycho wird. Die Animation zeigt durch Übertreibung die drohende Abwärtsspirale, lässt jedoch auch Platz für ruhigere und emotionale Momente, um zu zeigen, dass irgendwo zwischen den Maschinenteilen immer noch ein Herz ist.
Cyberpunk: Edgerunners macht nicht viel neu, doch was es tut, macht es außerordentlich gut. Die Handlung bleibt geradlinig und ohne allzu große Wendungen, doch das braucht es auch nicht. Stattdessen fokussiert sich diese verrückte Sci-Fi-Reise auf einfallsreiche Zukunftstechnik, einprägsame Charaktere, abgedrehte Action und fantastische Animationen. Und trotz der Eile wird in der neondurchfluteten Stadt erfolgreich eine Geschichte über Sucht, Dehumanisierung und den Versuch, das beste aus einer Welt zu machen, in der der Konzerneinfluss allgegenwärtig ist, erzählt.
Zwar hätte man sich gewünscht, dass die Serie noch ein oder zwei Episoden mehr gehabt hätte, um etwas stärker auf die Cyberpunk-Welt einzugehen, doch nichtsdestotrotz bleibt Cyberpunk: Edgerunners bleibt ein einziger, einprägsamer Cyber-Trip.
Und solange man nicht Cyberpsycho wird, geht es ja in Ordnung.
Artikel vom 15. Oktober 2022
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