6.6/10

Kritik: Sweet Tooth – Staffel 1

GEZUCKERTER WELTUNTERGANG

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Genres: Abenteuer, Science Fiction, Startdatum: 04.06.2021

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Eine neue Woche, ein neues Netflix Original. Mit ‘Sweet Tooth’ sicherte sich der Streamingriese erneut die Rechte an einer Comicreihe, und schickt uns in eine Welt, in der Natur und Mensch eins wurden. Hat die Serie das Potenzial für einen weiteren Comic-Hit im Stil von ‘Umbrella Academy’?

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#ILikeToMoveIt #Mindfuck #Klassikernerd

Darum geht’s?

Als die Welt von Sweet Tooth von einem Tag auf den anderen urplötzlich und ohne Chance auf Gegenwehr von einem mysteriösen Virus überrollt wird, bricht die Gesellschaft und die Weltordnung, wie wir sie kennen, in einem Sekundenbruchteil zusammen. Während ein Großteil der Menschheit schnell von der Seuche dahingerafft wird, verlieren die Verbliebenen als Folge der weltweiten Massenpanik schnell die Kontrolle und nach kurzer Zeit herrscht nur noch Chaos und Verwilderung. Doch während der Ausbruch der Krankheit für die meisten das Ende bedeutete, fand inmitten der Zerstörung eine neue außergewöhnliche Spezies ihren vieldeutigen Anfang: die Hybride. Mensch-Tier Mischwesen, die aus einem geheimnisvollen Grund eine natürliche Immunität gegen die Seuche aufweisen.

Einer dieser Hybride ist der Reh – Mensch Mischlingsjunge Gus (Christian Convery), der als Baby kurz nach dem Ausbruch mit seinem Vater (Will Forte) aus der Zivilisation flieht und sich tief in den Wäldern des Yellowstone Nationalparks versteckt hält. Dort wird er von seinem Vater liebevoll großgezogen und bis zu seinem 10. Lebensjahr lebt Gus in einer herzlichen Vater-Sohn-Atmosphäre weitab von der in Trümmern liegenden Welt. Als die Idylle der beiden eines Tages von einer militärischen Organisation zerschlagen wird, muss Gus sich zurück in die alte Welt wagen und begibt sich zusammen mit dem grummeligen, aber herzlichen Tommy Jepperd (Nonso Anozie) auf ein Abendteuer, das die beiden durch verfallene und vergessene Städte in Richtung von Gus Vergangenheit führen wird.

Apocalypse again

Strukturell folgt Sweet Tooth einer sehr klassischen Road-Trip-Logik. Gus und Jepperd reisen mit einem klaren Ziel vor Augen von Ort zu Ort und treffen auf dem hürdenreichen Weg die verschiedensten Gefahren und Herausforderungen, aber auch Freunde und Verbündete, von denen sich manche sogar der Gruppe anschließen. Im Fokus steht dabei weniger die Welt und ihr vorausgegangener Niedergang als vielmehr die Figuren und die Art und Weise, wie diese durch die gemeinsamen Abenteuer verändert werden.

“So sehr der Vater auch versuchte, die Gefahren der Welt fernzuhalten… die Welt da draußen fand Wege, sich rein zu schleichen.”

Der Erzähler (James Brolin) in Sweet Tooth

Wer jetzt denkt, dass diese Herangehensweise an ein Apokalypse-Szenario an eine Vielzahl anderer Werke erinnert, liegt mit dieser Vermutung goldrichtig. Sweet Tooth macht keinerlei Geheimnisse aus den zahlreichen Vorbildern und Inspirationen, die den Look und die Geschichte der Serie beeinflussen. Die zerfallenen Städte, die allmählich von der Natur zurückerobert werden, militärische Organisationen, die nach einer Wiedererrichtung der alten Welt trachten und ein Kind in Begleitung eines Erwachsenen, das seinen Weg durch diese trostlose Realität finden muss. Assoziationen wie das Videospiel-Meisterwerk The Last Of Us, aber auch manche Werke Spielbergs bleiben bei Sweet Tooth nicht lange fern. Aber wenn es darauf ankommt eine eigene Identität zu entwickeln und eine individuelle Kerbe in der Geschichte des Genres zu hinterlassen, tut sich Sweet Tooth jedoch zum Großteil sehr schwer.

Wenn die Natur die Menschheit zurückerobert

Dabei verspricht das Konzept der Hybride, die immun gegen die alles verzehrende Seuche sind, auf den ersten Blick einen durchaus kreativen Ansatz. Wo sonst gibt es Kinder mit Elefantenohren, Geweihen oder Adlerflügeln zu sehen? Und tatsächlich gibt es durchaus Momente, in denen die Serie durch diese Grundidee glänzt. So werden die Hybride stellenweise als Bindeglied zwischen der Natur und dem Menschen gesehen. Sie stehen sinnbildlich für die unvermeidliche Rückbesinnung auf unsere natürliche Umwelt, nachdem der Mensch die Erde in den Ruin trieb. Eine kreative und frische Auseinandersetzung mit einer Naturschutz- und Klimawandel-Thematik – die absolut nebensächlich behandelt wird. Hier bleibt einiges an ungenutztem Potenzial auf der Strecke liegen.

Weniger ist mehr

Stattdessen möchte sich Sweet Tooth ganz auf Gus und seine verschiedenen Begleiter konzentrieren und stellt Fragen nach der Vergangenheit unserer Helden und ihre emotionale Entwicklung in den Vordergrund. Und tatsächlich haben vor allem Gus und Jepperd mir genug Profil gegeben, damit ich mehr über sie erfahren möchte. Doch auch hier entscheidet sich die Serie für einen Weg, der es mir schwer macht eine tiefe Bindung zu ihren Figuren aufzubauen. Durch den Road-Trip Charakter der Handlung erinnert Sweet Tooth in mancher Hinsicht an eine Case of the Week Serie. Jede Folge reisen Gus und Jepperd weiter und stellen sich einer neuen Herausforderung. So treffen sie auf finstere Organisationen, einsame Überlebende oder sogar eine skurrile Armee aus Jugendlichen in Tierkostümen. Gleichzeitig zu diesem Haupthandlungsstrang versucht die Serie noch einige Nebenhandlungen zu balancieren, die von anderen Hybriden und der Suche nach einem Heilmittel gegen die Seuche erzählen.

Auf ihrer Reise treffen Gus (Christian Convery) und Jepperd (Nonso Anozie) alle möglichen ausgefallenen Gestalten.

Die meisten dieser Szenarien strotzen zwar nicht vor Originalität, könnten in reduzierter Form jedoch durchaus funktionieren. Durch die Menge an Handlungsschauplätzen, die Sweet Tooth eröffnet, verliert die Serie allerdings ihr wesentlichstes Ziel aus den Augen: die Hauptcharaktere. Unter der erdrückenden Masse an Ansätzen und Ideen für zukünftige Handlungsstränge, läuft die Reise von Gus und Jepperd in Gefahr einiges an Gewicht und Wert zu verlieren. Erst gegen Ende der Staffel erhalten wir schließlich kleine Blicke hinter die Kulissen unserer Helden. An diesem Punkt entscheidet sich die Serie allerdings dazu alle Vergangenheiten und Motivationen der verschiedensten Figuren gleichzeitig zu enthüllen, sodass die einzelnen Geschichten deutlich weniger Luft zum Atmen bekommen.

Darüber hinaus führen die vielen unterschiedlichen Schauplätze der Handlung außerdem dazu, dass die Serie keine eindeutige Tonalität hat. Im Kern möchte Sweet Tooth eine Coming-of-Age Story á la Spielberg sein und richtet sich deutlich an ein jüngeres Publikum. Doch gleichzeitig überraschen einige Nebenplots stellenweise mit einer schockierenden Härte. Wenn eine sektenähnliche Dorfgemeinschaft einen infizierten Mitmenschen aus ihren eigenen Kreisen plötzlich am lebendigen Leib, gemeinsam mit seinem gesamten Besitz in Brand setzt, bleibt die verspielte Atmosphäre anderer Szenen plötzlich im Hals stecken. Das ist in Anbetracht des apokalyptischen Settings durchaus eine Stärke der Serie und macht den gesamten Konflikt eindrücklicher. Aber im Zusammenspiel wirken diese Aspekte oft zu künstlich in die Handlung eingeschoben.

Quer durch die Apokalypse: Gus (Christian Convery) , Jepperd (Nonso Anozie) und Bear (Stefania LaVie Owen), eine Verfechterin aller Hybride.

Lange Rede, kurzer Sinn: Sweet Tooth möchte viel zu viel in zu kurzer Zeit und erweckt den Eindruck, als wäre es den Drehbuchautor:innen wichtiger das Fundament für spätere Staffeln zu gießen, als eine runde erste Staffel zu erzählen. Ich hätte mir vor großen Nebenplots wie die Rettung der Welt durch ein Heilmittel, zuerst ein paar Folgen (oder sogar eine ganze Staffel) gewünscht, die uns näher an Gus und seine Freunde heranführt.

Die Schönheit im Zerfallenen

Doch trotz aller Schwächen der Handlung, besitzt Sweet Tooth eine riesige Stärke: eine wunderschöne Inszenierung, die mit kindlichen Augen auf die Anmut der unberührten Natur blickt. Wo die Handlung Fragen der Naturverbundenheit und Umwelt nebensächlich behandelt, da macht die Bildsprache diese zu ihrem Hauptthema. Riesige, weitläufige Wiesen in strahlendem Grün, die Sonne, die glitzernd durch die Baumkronen bricht oder beeindruckend kreative Sets, wie ganze Häuser und andere Gebilde aus kleinen Ästen und Blättern. Sweet Tooth lebt die Liebe zur Natur in jedem einzelnen Frame.

Mutter Natur hat die Welt von ‘Sweet Tooth’ schon lange zurückerobert.

Die Atmosphäre, die dabei entsteht, ist so intensiv, dass ich mich anfangs erschrocken habe, wenn menschengemachte Objekte wie Autos oder Züge ihren Weg in die grüne Idylle fanden. Hier gelingt es Sweet Tooth, dass ich in diesen Momenten in die Schuhe des Protagonisten schlüpfe und die Welt durch seine kindlichen Augen betrachte. Nur einige von Gus Hybridkollegen, die im Gegensatz zu ihm aussehen, als hätte ein wild gewordener Kindergeburtstag einen Kostüm- und Schminkladen geplündert trübt diese, ansonsten optisch gelungene Inszenierung.

Fazit

6.6/10
Ganz okay
Community-Rating: (3 Votes)
Handlung 6/10
Schauspiel 7.5/10
Charaktere 6.5/10
Visuelle Umsetzung 7/10
Emotionen 6/10
Details:

‘Sweet Tooth’ denkt in die Zukunft und vergisst die Gegenwart

Sweet Tooth – Staffel 1 ist eine klassische Set-Up Staffel mit vielen klassischen Problemen, die oft mit diesen einhergehen. Die Serie konzentriert sich voll und ganz darauf, zahlreiche Grundlagen für spätere Handlungsentwicklungen zu schaffen. Seien es zahlreiche Charaktere mit den unterschiedlichsten Motivationen und Geheimnissen, die verschiedensten Schauplätze oder weitreichende Konflikte, die eng mit der Geschichte der Serienrealität verwoben sind: Die Liste an Ideen und Konzepten ist lang. Dabei haben nicht wenige Aspekte der Handlung durchaus Potenzial, doch Sweet Tooth macht zu viele Fässer auf und kann nicht mit der Menge an Themen umgehen, die sich darin befinden. Eine zweite Staffel müsste nun alle Handlungsstränge zu einer klaren Haupthandlung zusammenführen und sich auf eine Geschichte fokussieren. Dann sähe die Zukunft der eigentümlichen Hybride auf Netflix alles andere als apokalyptisch aus.

Artikel vom 25. Juni 2021

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