8.1/10

Kritik: The Eddy – Staffel 1

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Genres: Drama, Startdatum: 08.05.2020

Interessante Fakten für…

  • Alle Songs wurden live am Set gespielt und während der Dreharbeiten aufgenommen.
  • Die ersten beiden Episoden wurden unter der Regie von Damien Chazelle auf Film gedreht. Der Rest der Serie wurde digital gedreht.

Nach “Whiplash” 2014 und “La La Land” 2016 beleuchtet Damien Chazelle in dieser Netflix Miniserie wieder einen Aspekt von Jazz und Musikern, die dieser Leidenschaft alles opfern. Wie auch in den beiden Filmen ist in dieser Serie Musik nicht die Untermalung sondern die Basis des Films. Sie begleitet nicht nur als Element die Szenen, sondern die Szenen sind wie ein Musikstück komponiert. Sie bedeutet Überlebenskampf für die Musiker, die für sie alles hinten anstellen und nicht wirklich dafür belohnt werden.

Darum geht’s

The Eddy ist ein Jazzclub in Paris, der von dem amerikanischen Pianisten und Komponisten Elliott Udo (André Holland, Castle Rock, Selma) geführt wird. Er hat Amerika und seinem Ruhm als Musiker nach dem Tod seines Sohnes den Rücken gekehrt, kann aber nicht von der Musik lassen. In dem nicht sehr renomierten Pariser Club schreibt er wieder Stücke für eine Band mit der polnischen Sängerin Maja. Zu ihr hat er eine kompliziert On-Off-Beziehung.

Sein Partner ist der sympathische Farid, der die Cluborganisation leitet. Offensichtlich hat er sich aber mit Mafialeuten eingelassen, was gleich in der ersten Folge dazu führt, dass er in einer seltsam beiläufigen Szene ermordert wird (sorry für den Spoiler, aber der ist hier nicht zu vermeiden). Im Laufe der nächsten Episoden beleuchtet ein Handlungsstrang den komplizierten Würgegriff, mit dem die Gangster den Club im Griff haben und die Bedrohung hat durch den Tod Farids an Ernst gewonnen. Für Elliot ist das Neuland.

Zudem muss er sich um seine 16jährige Tochter Julie (Amanda Stehlberg) kümmern, die aus New York ankommt, weil sie nicht mehr mit ihrer Mutter und derem neuen Mann leben will oder kann. Hier ist jede Menge Raum für Zoff und Missverständnisse zwischen Vater und Tochter.

Außerdem möchte Elliot für seine Hausband einen Plattenvertrag ergattern und dadurch seinem Club das nötige Renommée verschaffen, das ein weiteres Überleben sichern könnte.

Die acht Episoden sind jeweils nach einem der Hauptpersonen benannt und beleuchten verschiedene Aspekte von ihrem schwierigen Überlebenskampf in der überhaupt nicht heilen Welt von Profimusikern.

Der Filmstil

Man muss für den nötigen Filmgenuss bei dieser Serie schon akzeptieren, dass ein großer Teil mit handheld Camera gefilmt wurde – und das ist manchmal extrem wackelig. Ich muss aber sagen, man kann sich daran gewönnen und der Eindruck des Unmittelbaren ist dadurch intensiviert. Wenn der Abend im Club beginnt und die Kamera mit den Zuschauern eintritt, hat man das eindringliche Gefühl mit dabeizusein. Auch die Aufnahmen der einzelnen Musiker (Schlagzeug, Pianist, Trompete, Saxofon und Sängerin) sind nah und intensiv. Alle Bandmitglieder sind übrigens nicht nur Schauspieler, sondern in erster Linie Profimusiker. Unter ihnen auch bekannte Namen wie der des Saxofonisten Jowee Omicil.

The Eddy: Eine Serie mit Musikern, für Musiker und Musik-Affine.

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Das graue Licht, das heruntergekommene Clubgebäude, die Hinterhöfe und kalten Straßenszenen sind so ungefähr das Gegenteil von dem, was uns La La Lands Hollywood zu bieten hatte. Wenn aber die Musik beginnt, kann man in Harmonie eintauchen und in die schöne Stimme der polnischen Sängerin-Schauspielerin Joanna Kulig, sich mitreißen lassen von den hinreißenden Soli der einzelnen Interpreten. Muss man Jazzfan sein, um die Serie genießen zu können? Ich würde sagen nein. Die Musik ist für Jazzverhältnisse eher gefällig und melodisch, schräge und expressionistische Soli tauchen nur selten auf und die Songs sind eher poetisch.

Ein Charakter – eine Episode

Die einzenen Episoden sind nach der ersten Einführungsepisode nach den Hauptpersonen und Bandmitgliedern benannt und folgerichtig stellen sie diese auch in den Mittelpunkt. Dennoch werden auch hier die wichtigen Handlungsstränge weitergeführt. Aber durch dieses Konzept treten nacheinander die einzelnen Akteure vor den Vorhang und erzählen ihre Geschichten. Diese sind geprägt von Armut und sozialen Problemen, aber auch von unaufhörlicher Leidenschaft für die Profession. Eine eindrucksvolle Szenen begleitet die Band zu einem gebuchten Hochzeitsgig. Während sie leidenschaftsvoll eine bekannte Nummer aus ihrem Eddy-Repertoire vortragen, sieht man den innerlichen Widerstand gegen diese Art von Musik bei manchen Zuhörern. Sie fordern danach einen bekannten französischen Schlager, den die Band dann auch mit der nötigen Professionalität spielt und siehe da, das Publikum ist begeistert, alle tanzen. Aber der unausgesprochene Konflikt zwischen künstlerischem Anspruch und Banalität schmerzt.

Eliot und Julie

Was genau in der Vergangenheit von Eliot passiert ist, das ihn aus New York vertrieben hat, erfährt der Zuschauer nicht. Es hat mit dem Tod seines Sohnes zu tun und hat ihn wohl so stark traumatisiert, dass er nicht mehr öffentlich auftreten kann. Auch ist er emotional nicht mehr in der Lage, normale Beziehungen, sei es zu einer Frau, aber auch zu seiner Tochter aufzubauen. Was nicht heißt, dass sie ihm nicht sehr wichtig sind, aber er ist innerlich zerrissen und reagiert meist so, dass er auf den Zuschauer eher unsympathisch wirkt. Man versteht lange Zeit nicht, warum er seine Musiker, aber auch die Tochter so schlecht behandelt. Hinzu kommt noch der psychische Druck durch die kriminellen Machenschaften seines Freundes und Partners Farid. Kaum kommt er dazu, um ihn zu trauern, die Notwendigkeit und Verantwortung für seine Musikerfamilie, das Überleben des Clubs zu wahren, stehen immer im Vordergrund.

Ein interessanter Kontrast dazu bildet die Figur der Tochter Julie, die von Amandla Stenberg mit einem hinreißenden Charme verkörpert wird. Ihre pubertären Probleme, die zögerlichen Annäherungsversuche an ihre neue Umgebung Paris, die Menschen denen sie begegnet, bilden eine Coming-of-Age Geschichte vom Feinsten. Trotz dem Mist, den sie so oft baut, liebt man sie auf der Stelle, weil sie ist so authentisch ist. Genau wie Maja hat sie Probleme mit Eliots versteinertem und gefühlskaltem Verhalten, sodass Maja sie zwischenzeitlich bei sich aufnimmt. Aber erst Farids Witwe und ihre beiden jugendlichen Kinder bilden mit der Zeit eine Art Ersatzfamilie, die sie für das Leben stärken und einen guten Weg weisen.

Julie entwickelt eine Beziehung zu dem dem Barjungen Sim und durch ihn kommt die große Thematik und Probleme der arabischen Migranten in Paris mit ins Spiel.

The Eddy – ein Mosaik aus Personen und Eindrücken

Man kann bei der Serie kritisieren, dass die Handlungen nicht stringent und logisch durchgezogen werden. Auch fehlt die richtige Verbindung zwischen den einzelnen persönlichen Schicksalen, jeder kämpft mehr oder weniger für sich allein und mit seinen eigenen Dämonen. Ein Hollywoodwriter hätte wahrscheinlich die einzelnen Stories verknüpft und kunstvoll zu einem großen Ende geführt. Das passiert hier nicht und so bleibt die Serie realistisch.

Wie im wirklichen Leben dümpeln die Schicksale der Einzelnen vor sich hin, man hätte sich gegenseitig helfen können, wenn man gewusst hätte, was bei dem anderen los ist, nur redet man meistens nicht soviel miteinander. Bei Udo ist es aufgrund seiner Traumatisierung passiert, bei anderen schlichte soziale Not. Lediglich die Musik ist der gemeinsame Nenner und so findet sich die Gruppe am Ende zu einer spontanen Performance in einem Cafe, die in ihrer Lebensfreude alle Passanten mit in den Bann zieht.

Die Conclusio kann nur sein, dass die Musik keine Probleme löst, höchstens die Kraft schenkt, mit ihnen zurechtzukommen.

Fazit

8.2/10
Stark
Community-Rating:
Unterhaltung 6/10
Schauspiel 8.5/10
Charaktere 9/10
Anspruch 9/10
Musik 8.5/10
Details:

The Eddy ist ein Must-See für alle, die Whiplash und La La Land toll fanden und nichts dagegen haben, dass hier das Thema von einer anderen Seite gezeigt wird. Dass Jazz- und Musikfans hier richtig aufgehoben sind, versteht sich von selbst, aber auch alle anderen können in die Serie eintauchen, wenn sie sie als Zeit- und soziale Momentaufnahme ansehen können. Spannung und Action sind trotz des einen Handlungsfaden, der im kriminiellen Milieu spielt, sekundär, Charakterbeschreibung und sozialer Überlebenskampf sind dominierend. Trotzdem ist die Serie nicht grau, und trist, sie unterhält gerade wegen ihrer bunten Besetzung und der mitreißenden Musik, für die man tatsächlich nicht unbedingt ein Jazzfan sein muss.

Artikel vom 17. Juni 2020

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