Kritik: Tote Mädchen lügen nicht – Staffel 3
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Bryce Walker wurde ermordet. Alle haben Geheimnisse und jeder könnte der Mörder sein. Ein Großteil der Handlung besteht in dieser Staffel daraus, dass die Charaktere sich gegenseitig verdächtigen, sich den Mord in die Schuhe schieben wollen und niemand so wirklich weiß, wem er trauen kann. Ähnlich geht es auch dem Zuschauer, der von der Handlung geschickt von einem Verdächtigen zum nächsten getragen wird und den Jugendlichen dabei bei ihrer Detektivarbeit und ihrem Teenie-Drama zusehen kann.
Es gibt wohl wenige Serien, an denen sich so die Geister scheiden wie an Tote Mädchen lügen nicht. Aufgrund ihrer grafischen Darstellung von Gewalt und Hannah Bakers “Rache” an ihren Schulkameraden nach ihrem Selbstmord wurde vielfach die Sorge geäußert, die Serie verherrliche diese Themen und könne Nachahmer zu ähnlichen Taten herausfordern. Diese Sorge hat sicher ihre Berechtigung. Ich als nicht-Psychologin und emotional einigermaßen stabiler Mensch habe die Serie immer dafür geschätzt, dass sie nicht vor unangenehmen gesellschaftlichen Themen zurückschreckt, sondern diese offen thematisiert und einen als Zuschauer dazu provoziert, sich damit auseinanderzusetzen. Der Trailer zur dritten Staffel hat nun den Anschein erweckt, die Serie hätte diesbezüglich ihren Charakter verloren. Aber ist das wirklich so?
Obwohl die Serie hier bereits intensiv erkundetes Gelände betritt, siehe z.B. How to Get Away with Murder, Riverdale oder Pretty Little Liars, gelingt ihr die Wanderung im Bereich Murder Mystery Serie relativ gut. Allerdings braucht die dritte Staffel ein paar Folgen, bis sie richtig Fahrt aufnimmt.
„Violence begets violence, it just doesn’t always look the same.“
Ani Achola, 13 Reasons Why
Gleichzeitig bleibt die Serie ihrem Hang zur Sozialkritik und gesellschaftlichen Themen treu: Von Abtreibung über physische Gewalt, Mord, Sexualität, Zusammenhalt, Freundschaft, Doping und Sucht bis hin zu der Frage um die Grenze zwischen radikalem Kampf für “das Gute” und moralischer Vertretbarkeit ist wieder einiges an (schwerem) Stoff untergebracht. Da das Murder Mystery jedoch relativ viel Raum einnimmt, werden diese Themen nichtmehr so intensiv besprochen wie zuvor, sondern teilweise beiläufig in die Handlung integriert.
Hervorzuheben ist hier Jessica (Alisha Boe), die immer mehr Stärke zeigt und ihr Selbstvertrauen zurückgewinnt. Sie macht, neben Tyler (Devin Druid), von allen die stärkste Charakterentwicklung durch und übernimmt zu einem gewissen Grad Clays (Dylan Minnette) frühere Rolle als die Gerechtigkeitsstrebende, allerdings ohne dabei den Kopf zu verlieren: Als eine Kämpferin der Survivors möchte sie die Umstände an der Liberty High School verändern. In diesem Zusammenhang finden sich auch in Staffel drei wieder einige Anlehnung an das Me Too Movement.
Die Charakterentwicklungen stechen sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht hervor. Während Jessica, Tyler, Clay, Justin (Brandon Flynn) und auch Bryce (Justin Prentice; in der Rückblende und mit inhaltlichen Wacklern) sich deutlich weiterentwickeln, erfährt man von Alex (Miles Heizer), der in diesem Murder Mystery ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielt und eine interessante Geschichte haben könnte, vergleichsweise wenig. Enttäuschenderweise sind einige frühere Darsteller einfach ohne Erklärung aus der Serie verschwunden. Auf der anderen Seite nimmt Grace Saif in ihrer Rolle als neue Schülerin Ani Achola plötzlich sehr viel Raum ein, ohne dass man sie als Person richtig kennenlernt. Als Murder Mystery hat die Serie damit vermutlich bezweckt, ihr als potenzieller Mörderin einen Hauch von Mysterium zu überlassen. Da jedoch der Großteil der Gesichte aus ihrer Sicht erzählt wird, so wie damals die erste Staffel von Hannah (Katherine Langford), fällt es als Zuschauer schwer, sich mit ihr zu identifizieren und sich schnell in die Geschichte einzufinden.
Als Tochter einer Angestellten im Haus der Walkers wird ihre Rolle clever als Vermittlerin der Geschehnisse eingesetzt, die eine bisher unbekannte Perspektive auf Bryce möglich macht. Ähnlich zu Tylers Charakterentwicklung in Staffel zwei gelingt es der Serie dadurch erneut, den Zuschauer dazuzubringen, mit jemandem mitzufühlen, mit dem er eigentlich nicht mitfühlen würde oder möchte – aber auf eine distanziertere, schwächere Art und Weise. Diese Ehrlichkeit und der Versuch, einseitige Charakterdarstellungen zu vermeiden, sind in Staffel drei erneut deutlich sichtbar und machen teilweise den Wert der Staffel aus. Dadurch, dass Ani scheinbar rein zufällig bei der Familie Walker einzieht und sich gerade mit jenen Teenies anfreundet, die in seinem Mordfall eine Rolle spielen, wird ihre Funktion als Plot-Device jedoch ziemlich deutlich und es wird einem als Zuschauer nicht leichtgemacht, mit ihrem Charakter warm zu werden. Schauspielerisch glänzt die Serie jedoch wieder und die Darstellungen aller Schauspieler sind absolut authentisch.
Staffel drei stellt auf der einen Seite einen deutlich Bruch dar vom bisherigen Serienverlauf, bindet jedoch hier und da Parallelen ein. Während Clays Tour durch die Schule mit Ani versucht, seine frühere Wutrede vor den neuen Schülern zu imitieren, kann sie nicht ansatzweise die gleiche Stärke und Wirkung erreichen wie in Staffel eins und ist dadurch eigentlich eher zu viel des gut Gemeinten. Andererseits wird ein schöner Zusammenhang zu Hannah (Katherine Langford) aufgebaut als Tyler der neuen Schulpsychologin gestehen muss, dass er, anders als sie denkt, keine Freunde in der Schule hat. Das Fehlverhalten von Kevin Porter (Derek Luke) wird durch die neue Schulpsychologin leise korrigiert die, wie Tyler sagt, verdammt gut in ihrem Job ist und dadurch exemplarisch aufzeigt, wie Kleinigkeiten das Schicksal eines Charakteres beeinflussen können.
Obwohl viele Charaktere in Staffel drei über sich hinaus wachsen und positivere Wendungen einschlagen, findet sich in dem Mord an Bryce Walker erneut eine Selbstjustiz von Jugendlichen wieder, die Kritiker stören könnte und zugegebenermaßen den Unterhaltungsfokus deutlich macht in einer Serie die bisher versucht hat, realistische Anteile für sich zu behaupten. In Staffel drei wird jedoch deutlich, dass der Unterhaltungsfaktor der Serie Überhand genommen hat, auch wenn sie weiterhin kritische und gesellschaftliche Themen anspricht. Charaktere werden nach Belieben weggelassen oder neu aufgenommen und das Murder Mystery steht im Zentrum des Geschehens. Manche Charakterentwicklungen wackeln sichtlich um der Handlung in die Hände zu spielen, was schade ist. Fest steht, dass die Serie eine neue Richtung eingeschlagen hat und sich teilweise neu erfindet. Andererseits macht sie sich gut in ihrer Ecke als Teenie Murder Mystery Serie. Ob einem die Serie in ihrer neuen Gestalt gefällt oder ob sie früher hätte enden sollen, bleibt wohl Geschmacksache und muss von jedem selbst entschieden werden.
Die dritte Staffel von Tote Mädchen lügen nicht stellt einen Bruch in der bisherigen Serienentwicklung dar, der jedoch nicht so tief ist, wie der Trailer es vermuten lässt. Es werden weiterhin kritische und gesellschaftliche Themen angesprochen, allerdings bekommen sie nicht ganz soviel Raum wie zuvor. Dreh und Angelpunkt ist nun das Teenie Murder Mystery und ob man dieses Genre mag wird wohl maßgeblich mitentscheiden, ob einem der neue Serienlook gefällt oder nicht. Wer sehen möchte, wie die Charaktere sich weiterentwickeln, kommt oft auf seine Kosten, muss sich jedoch auch auf Enttäuschungen einstellen: Viele Charaktere der ersten beiden Staffeln sind in Staffel drei nichtmehr vertreten und an manchen Stellen wackelt die Charakterentwicklung sichtbar, um der Handlung in die Hände zu spielen. Spannend ist die neue Staffel und wer offen ist für eine charakterliche Veränderung der Serie, wird gut unterhalten.
Artikel vom 26. August 2019
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