Kritik: Unorthodox – Staffel 1
FLUCHT VON BROOKLYN NACH BERLIN
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Diese Geschichte beruht lose auf den Erinnerungen und dem Buch von Deborah Feldman. Ein großer Teil der Schauspieler sind Juden von unterschiedlicher Nationalität.
Die 19-jährige Esther „Esty“, gespielt von der herrausragenden israelische Schauspielerin Shira Haas (https://de.wikipedia.org/wiki/Shira_Haas), wächst bei ihrer Großmutter, einer Holocaust-Überlebenden aus Ungarn, auf in der chassidischen Gemeinde in Williamsburg, New York. Esty geht auf Wunsch der Gemeinschaft eine arrangierte Ehe mit Yakov „Yanky“ Shapiro ein. Behutsam wird die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die seitdem ihre Mutter sie scheinbar verlassen hat und nach Berlin gezogen ist, nun besonders darum bemüht ist, alles richtig zu machen. Allein der heimliche Klavierunterricht, der natürlich verpönt ist, zeigt, dass sie sich eine gewisse Individualität eingesteht. Ansonsten wird von den Frauen der Gemeinde lediglich erwartet, früh zu heiraten und soviele Kinder wie möglich zu bekommen, “um die Verluste des Holocaust auszugleichen”.
Aber Estys arrangierte Ehe mit Yanky Shapiro (Amit Rahav) geht gründlich schief, da beide sexuell völlig unerfahren sind. Sie werden von allen Seiten mit vermeintlich guten Ratschlägen eingedeckt, die die junge Frau dann so unter Druck setzen, dass sie am Ende die Reißleine zieht und aus New York verschwindet, um ihre Mutter in Berlin zu finden. Es gibt aus dem Eheleben einige intensive Szenen, die man so schnell nicht vergisst, z.B. der “Aufklärungsunterricht” einer dafür beorderten Frau, die mit merkwürdigen Utensilien der jungen Frau beschreibt, was sie zu tun hat, sodass man innerlich nur schreit: nein-nein-nein – alles falsch!!! Natürlich hat dieses Verständnisgefälle zum Zuschauer einen hohen Unterhaltungswert und ist seltsam befriedigend, wenn man als “normaler” Mensch natürlich besser weiß, wie alles geht!
Die Szenen in Berlin könnten in der Hinsicht kritisiert werden, dass sie ein viel zu positives Bild der Stadt wiedergeben, denn sie spielen hauptsächlich in und um eine fiktive Musikschule. Esty lernt zufällig eine buntgemischte Gruppe von Musikstudenten kennen, die sie unter ihre Fittiche nehmen und ihr das “andere” Leben zeigen. Dazu gehört natürlich auch der historische Abriss zu bestimmten Lokalitäten, die für die Holocaust-Erinnerung wichtig sind.
In Esty wird der Wunsch geweckt, auch Musik zu studieren, aber ob ihre einfachen Klavierkenntnisse dazu reichen, bleibt eine Weile fraglich. Es war natürlich verleitend, Berlin im Gegensatz zu Williamsburg als lebendig und weltoffen darzustellen, was es wahrscheinlich auch ist. Die dunklen Seiten, der Schmutz, die Kriminalität und der Antisemitismus wurden ausgeklammert. Wahrscheinlich kam es nur darauf an, einen Gegenentwurf zu beschreiben.
Der dritte Handlungsstrang verfolgt die Reise von Yanky und seinem Cousin Moishe, die versuchen Esty in Berlin zu finden und sie zurückzubringen.
Alle drei Handlungslinien sind miteinander verwoben und Estys Zeit in New York wird in Rückblicken erzählt. Die Authentizität wird noch dadurch verstärkt, dass man auf eine Synchronisation verzichtet hat. Die Akteure sprechen also entweder Jiddish, English oder Deutsch und Untertitel lesen ist angesagt.
Durch die Flucht, die Verfolgung, das Kennenlernen mit der Mutter und die zaghaften Versuche an der Musikhochschule, deren Erfolg fraglich ist, wird eine angenehme Spannung aufgebaut, die jedoch nie die Oberhand in der Erzählung vor dem Psychologischen übernimmt.
Ja, ganz sicher. Und wenn man es böse verstehen will, wie der Rezensent der Welt, dann kann man hier überall Kritik und Unverständnis für jüdische Kultur vermuten. Tatsächlich haben die Macher aber vermieden, sich über die merkwürdigen Gebräuche der sektiererischen Gemeinde der chassidischen Satmarer, die isoliert in Williamsburg, New York leben, lustig zu machen. Dass aber ihr Lebensstil verstört und wie andere isolierte Glaubensgemeinschaften beim Zuschauer auf viel Unverständnis stößt, ist natürlich nicht zu vermeiden.
Die zierliche Shira Haas trägt diese Serie auf ihren schmalen Schultern. Nicht nur ist sie durch ihre körperliche Präsenz als kleine, schmale Frau dazu prädestiniert, das Mitgefühl des Zuschauers zu erregen. Sie ist auch schlicht und einfach eine kompetente und eindringliche Schauspielerin, die in einer ergreifenden Szene am Schluss auch noch Musikalität beweisen kann.
Auch Yanky ist in seiner bubenhaften Naivität eher mitleiderregend und ein tragischer Akteur, der sein Verhalten bereut, sein Cousin ist da schon ein anderes Kaliber, er hat Erfahrung mit der Außenwelt. Was für ein Glück, dass man mit dem deutsch-israelischen Schauspieler jemanden gefunden hat, der durch seine Jiddischkenntnisse hervorragend für die Rolle geeignet ist.
Die Beschreibung der isolierten Chassidischen Glaubensgemeinschaft mitten im modernen New York ist natürlich per se schon exotisch und besonders. Ihre merkwürdigen Bräuche, aber auch die Erklärung, wie sie dazu gekommen sind, ist interressant. Natürlich können sie, wie andere Sekten auch, nur überleben, indem sie jeglichen Kontakt zur Außenwelt vermeiden, zumindest die Frauen, die ja besonders an der Leine gehalten werden müssen, und das nicht nur durch die Männer, sondern auch durch die Gemeinschaft der Frauen selbst.
Das Studentenleben erscheint der jungen Frau, die gleich am ersten Tag in Berlin ihre traditionelle Perücke in den Wannsee wirft und ihren kurzgeschoren Kopf mit Stolz trägt, bunt und offen. Die Performance des Ensembles der Studenten rührt sie zu Tränen, sie ist offensichtlich ausgehungert nach Schönheit und Kultur und man gönnt es ihr von Herzen, dass sie ihren Weg finden wird. Die Schauspielerin hat über über die Figur gesagt, dass sie am Ende ihre Freiheit finden wird, nicht unbedingt in Berlin, aber in sich selbst. Dass sie bei ihrer Flucht aus New York schon schwanger war und sich nun für das Kind entscheidet, spielt dabei nicht wirklich eine große Rolle.
Eine der besten Szenen für mich war, als Moishe Esty in Berlin stellt. Auf einem Spielplatz, der in der Nähe eines Platzes ist, auf dem während der Nazizeit Juden erschossen wurden, beschreibt er in düsteren Worten, wie ihr Schicksal als Ausgestoßene nun aussehen wird. Beide Schauspieler glänzen hier außerordentlich, bei Esty vermischen sich Angst und Trotz und aus Moishe klingen Andeutungen, dass auch er die Flucht einmal versucht hat und kläglich gescheitert ist.
Wenn du keine actiongeladene Handlung brauchst, dich auf Gefühlsstürme einlassen kannst und neugierig auf fremde Kulturen bist, dann ist Unorthodox etwas für dich. Wenn du das Zwischenmenschliche zu schätzen weißt, die psychologische Unterdrückung, der Kampf um die Befreiung, die in leisen aber intensiven Tönen erzählt wird, oder wenn du einfach keine Lust auf lange Serien hast und die viermal 55 Minuten als quasi längeren Film schauen magst, auch dann solltest du der Serie eine Chance geben. Natürlich sollte es einem immer bewusst sein, dass hier eine besondere Glaubensgemeinschaft beschrieben wird, die dem ultraorthodoxen Judentum zwar nahe steht, aber tatsächlich nur eine kleine und sehr spezielle Gemeinschaft darstellt, die selbstverständlich nicht für alle Juden bzw. Israelis gleichzusetzen ist.
Artikel vom 10. November 2020
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