6.3/10

Kritik: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo – Staffel 1

WIR KINDER VOM BAHNHOF GEHT SO

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Genres: Drama, Startdatum: 19.02.2021

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Rund vierzig Jahre sind seit Erscheinen der berühmt-berüchtigten Geschichte Christiane F.s und ihres Abstiegs in die Heroinszene der 70er-Jahre vergangen. Romanvorlage wie auch erste Verfilmung waren prägend für Generationen und Gesellschaft. Jetzt ist bei Amazon Prime eine nagelneue Serienfassung zu sehen. Ob das Aufwärmen des alten Stoffes gelungen ist, erfährst du in unserer Kritik.

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#KebabimKino #Arthaus #Cronenberg

Darum geht’s

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo erzählt die Geschichte von Christiane F. (Jana McKinnon) und ihrer Freunde, die im Berlin der 70er-Jahre heroinabhängig werden und auf dem Kinderstrich landen. Dabei werden alle Stadien der Geschichte schonungslos abgebildet – eigentlich.

Die Romanvorlage von 1978 und deren erste Adaption von 1981 führen vor allem die Abgründigkeit, das Dunkle und Schmutzige und den Dreck vor, der die Kinder umgibt

TRIGGERWARNUNG: Die Serie behandelt harte Themen wie Drogensucht, Prostitution, Gewalt und Missbrauch im Umfeld von Kindern und Jugendlichen. Diese Themen werden demnach im folgenden Artikel angesprochen.

“Überall Kacke und Pisse” – so auch die ersten Worte des ursprünglichen Films. Dazu sehen wir Christiane, ein Kind, das wie verloren durch eine dunkle Stadt streift. Das “Sound – Europas modernste Diskothek” als nicht besonders hell leuchtender Sehnsuchtsort. Man wird von Beginn an in eine schmutzige Welt gerissen.

Die Serienfassung hingegen fokussiert eher auf Glamour und glänzende Oberflächen. Die erste Szene zeigt Christiane als junge Frau, die in einem Privatjet an der Bar trinkt, selbstbewusst durch die extravaganten Passagiere schreitet und sich dann zu David Bowie auf die Couch setzt. Eine Interpretation darf sich natürlich prinzipiell jede Freiheit herausnehmen. Aber hier denkt man hauptsächlich: hä?

„Von weitem sah alles neu und sehr gepflegt aus. Doch wenn man zwischen den Hochhäusern war, stank es überall nach Pisse und Kacke. Das kam von den vielen Hunden und den vielen Kindern, die in Gropiusstadt leben.“

Aus dem Roman Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Seite 15.

So ganz reißt einen das Schicksal von Christiane (Jana McKinnon) nicht mit.

Beitragsbild zur Serienkritik

Trendzeit neu interpretiert

Wir haben in den letzten Jahren viele Neuerzählungen der späten Siebziger- und vor allem der frühen Achtziger Jahre gesehen. Von Stranger Things bis zu Deutschland 83 scheint dies eine angesagte Zeit für fiktionale Unterhaltung zu sein.

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo unterscheidet sich von anderen Interpretationen dieser Zeit. Die Serie scheint nämlich zum einen an keiner Stelle daran interessiert zu sein, ein glaubwürdiges Bild der Zeit wiederzugeben. Und zum anderen versucht sie kaum, durch ihre filmische Machart, natürlich herüberzukommen.

Beides sind natürlich keine Kriterien für Qualität. Aber irgendeinen Sinn sollte die Gestaltung schon haben. Und zumindest die anachronistische Umsetzung von Szenenbild und Kostüm wirken ziemlich sinnfrei und stören die Handlung. Die Inszenierung wirkt an einigen Stellen fast amateurhaft, zwar oberflächlich poliert, aber nicht glaubhaft.

Drogenkiez, frisch gewischt

Immer wieder sehen wir Christiane und ihre Freunde in irgendwie auf 70er getrimmten Kulissen und Drehorten. Doch: So sah Berlin im Jahr 1976 einfach nicht aus. Hauswände voller Graffiti? Gab es zu der Zeit nicht, weil es noch kein Graffiti gab. Eine große Diskothek mit moderner Lichtanlage? So sah das “Sound” nicht aus. Man kann sich im Originalfilm davon überzeugen. Ein DJ, der Elektromusik auflegt? Hat es damals nicht gegeben, weil es diese Art elektronischer Musik noch gar nicht gab!? Die Spritzen, die zum Fixen verwendet werden, die Bürostühle, auf den gesessen wird – einfach alles sieht völlig falsch in der Zeit aus.

Lass die Musik an

Einen extrem großen Anachronismus stellt die Musik dar. Die Serie versucht einen merkwürdigen Spagat aus für die Epoche typischen Hits und moderner Pop- und Elektromusik. Das misslingt ziemlich häufig.

Einerseits ist es platt, “Rebel Rebel” von David Bowie über Bilder der Plattenbauhochhäuser zu legen, um zu verdeutlichen, in welcher Stimmung die Charaktere abgeholt werden. Das ist mit dem Zaunpfahl. Andererseits verschenkt die Serie viel Potential, die innerweltliche Musik zu nutzen. In einer Szene beispielsweise hat eine von Christianes Freundinnen während einer Weihnachtsfeier einen psychischen Zusammenbruch. Sie stürmt aus dem Raum, die Festgesellschaft beginnt, “Oh, du fröhliche” zu singen. Eigentlich ein großartiger Moment, die emotionalen Abgründe zu zeigen, denen die Charaktere sich ausgesetzt sehen. Doch es wird sofort geschnitten, kaum die erste Zeile des Liedes ist zu hören.

Besonders in den Diskoszenen stößt man sich am unpassenden Szenenbild.

Beitragsbild zur Serienkritik

An anderer Stelle wird dann ewig in Zeitlupenbildern zu langsamer, melancholisch klingender elektronischer Musik verweilt, als Christianes Freund sich prostituiert, um Geld für den Tierarzt aufzutreiben. Hier kommt auch nicht das Abgründige rüber, sondern alles wirkt wie ein irgendwie unangenehmer Traum.

„Keine Angst, wir stürzen nicht ab. Ich bin unsterblich.“

Christiane F. in Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.

Ein paar gute Haare in der Suppe

Doch natürlich ist Wir Kinder vom Bahnhof Zoo nicht komplett misslungen. Die Schauspielleistung ist als sehr gut hervorzuheben. Ungewöhnlich gut für deutsche Produktionen nimmt man allen Schauspielern ihre Darbietung ab. Aber nicht immer ihre Rolle: die Kinder sind mit zu alten Darstellern besetzt, die Erwachsenen teils mit zu jungen. Das Casting verwirrt immer wieder.

Der impressionistische Stil der Serie sorgt auch für den ein oder anderen herausragenden Moment. So ist die Wirkung der Drogen, die Wahrnehmungen der Figuren während des Rauschs und des Entzugs exzellent eingefangen. Zumindest vereinzelt. Ein Heroinweihnachten, ein Rausch im Schnee oder ein zitternder Entzug mit kaputter Audiospur seien hier als Beispiele genannt.

Schauspielerisch bietet die Serie sehr gute Leistungen.

Beitragsbild zur Serienkritik

Wozu man aber z.B. mit der Kamera durch einen Föhn oder diverse Koksröhrchen schaut, bleibt unklar. Die visuell kreativen Elemente wirken unmotiviert durch die Geschichte und wie Selbstzweck. Besonders fällt das auf, da den Machern zum Ende hin die Ideen ausgegangen zu sein scheinen. Die letzten Folgen sind ziemlich konventionell gestaltet.

Es ließen sich noch etliche weitere Beispiele anführen, wo die Serie daneben tritt. Die fragwürdige Darstellung bestimmter sexueller Praktiken, die an vielen Stellen enttäuschend klischeehaften Bilder der Freier, oder die grundsätzliche Frage, ob es eine gute Idee ist, das Junkie-Leben impressionistisch darzustellen – alles noch nicht mal angesprochen.

Fazit

6.3/10
Mäßig
Community-Rating: (1 Votes)
Handlung 6/10
Schauspiel 8.5/10
Emotionen 7/10
Szenenbild 4.5/10
Tiefgang 5.5/10

Braucht man nicht

Nach fast acht Stunden Serienzeit ist man wirklich ratlos. Für wen die Serie gemacht ist, was die Macher erreichen wollen, was das Konzept war, wieso, weshalb, warum und überhaupt: was das sollte. Wenn auch einzelne Aspekte wie Schauspiel, Musikauswahl und die rein technische Umsetzung diverser, bildlicher Stilmittel von durchaus respektabler Qualität sind, ist die Serie insgesamt wirklich nicht die Zeit wert. Man schaue sich lieber die (ebenfalls umsonst bei Amazon Prime verfügbare) originale filmische Adaption an.

Artikel vom 6. März 2021

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