Kritik: Dunkirk
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Dünkirchen, Mai 1940: Für ein riesiges alliiertes Heer ist die französische Küstenstadt am Ärmelkanal zur Falle geworden. Umzingelt von deutschen Verbänden warten über eine Million britische, französische und belgische Soldaten auf Rettung. Wie nah der Feind ist, wird bereits in der ersten Szene deutlich: Tommy (Fionn Whitehead) schafft es als Einziger seines Trupps dem hämmernden Kugelhagel des Feindes zu entkommen. Der Strand von Dünkirchen liegt nur wenige hundert Meter hinter der Front. Tommys Handlungsstrang dauert eine Woche und zeigt, wie der junge Brite versucht, dem Unglücksstrand zu entfliehen versucht. In einem weiteren Strang begleiten wir den couragierten Zivilisten Mr. Dawson (Mark Rylance). Zusammen mit zwei Halbwüchsigen überquert der englische Hobbyseefahrer den Ärmelkanal. Mit seiner Nussschale will er bei der Evakuierung von Dünkirchen helfen. Seine Geschichte dauert einen Tag. Der dritte Handlungsstrang deckt lediglich eine Stunde ab und begleitet den Kampfpiloten Farrier (Tom Hardy), der versucht, die festsitzende britische Armee aus der Luft zu beschützen.
Zeit und Raum sind die großen Themen der Filme von Christopher Nolan. Memento (2000) erzählt eine Geschichte rückwärts, während Inception (2010) und Interstellar (2014) Zeit und Raum auf den Kopf stellen. Auch in Dunkirk spielt Nolan am Uhrzeiger. Statt einer chronologischen Erzählung überrascht der Autorenfilmer mit einer disruptiven Dramaturgie: Die drei Handlungsstränge decken unterschiedlich lange Zeitphasen ab: eine Woche, einen Tag und eine Stunde. Geschnitten ist der Film jedoch, als fänden die drei Handlungsstränge parallel zueinander statt. Zwar verwirrt das zunächst, doch liegt gerade darin der Clou: Denn wie die überforderten britischen Streitkräfte verlieren auch wir den Überblick.
Trotz der anachronistischen Erzählweise verwebt Nolan die drei Handlungsstränge zu einer engmaschigen Geschichte, der man sich einfach nicht entziehen kann. Zusammengehalten wird diese auch von einem Score, der einer Zeitbombe gleich tickt, und tickt – und tickt. Die eindringliche Filmmusik von Wunderkind Hans Zimmer ist dieses Mal weniger aufdringlich als gewohnt, kriecht dafür aber umso mehr unter die Haut. Verbunden wird diese mit hervorragenden Sound-Effects, sodass ein einheitlicher Klangteppich entsteht, der den Realismus des Historienfilms unterstreicht.
Ehrlich gesagt war ich skeptisch: Nolans letzten Werke entführten uns stets in phantastische Welten. Und jetzt ein Zweiter-Weltkrieg-Film? Kann das gut gehen? Die Antwort: Und wie! Denn Dunkirk erkennt die Verantwortung an, die ein historischer Film mit sich bringt. Auf über-dramatisierende Elemente wie stolzierende Soldaten in Zeitlupe, wehende Fahnen im Gegenlicht und platte Marschmusik wird verzichtet (anders: Hacksaw Ridge). Stattdessen atmen die Bilder, die Kameramann Hoyte Van Hoytema in matten Sepia-Farben einfängt, mit jeder Einstellung Realismus. In ihrem Look erinnern sie gar an historisches Filmmaterial, stehen modernen Aufnahmetechniken jedoch in nichts nach. Wer kann, sollte das Kino-Highlight auf jeden Fall in IMAX-Kinos sehen!
Pathetisch wird es lediglich zum Schluss. Aber selbst hier bleibt das Kriegsdrama den Tatsachen treu: Denn das Schlusswort überlasst der Film dem damaligen Premierminister Winston Churchill, der mit seiner Rede „We Shall Fight on the Beaches“ seiner Nation neuen Mut machte:
„Wir werden auf den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns nie ergeben.“
Winston Churchill am 4. Juli 1940 vor dem britischen Unterhaus
Kriegsfilme funktionieren meist so: Die Antagonisten sind die „Bösen“, denn sie machen schlimme Sachen. Damit klar wird, dass auch die Protagonisten nicht ganz unschuldig sind, machen auch die „Guten“ ein paar Fehler. Doch letztendlich pendelt sich die Story so ein, dass der Zuschauer gerade noch so zu den Protagonisten hält.
Dunkirk zeigt jedoch kein einziges Mal deutsche Soldaten – lediglich am Ende gibt es ein paar Schemen, die aber in der Unschärfe verschwimmen. Diese Abwesenheit eines Gegners ist ungewöhnlich für Kriegsfilme, die doch stets den Kampf Mann gegen Mann zelebrieren. Mit der radikal „einseitigen“ Perspektive gelingt Nolan jedoch ein kleiner Kunstgriff. Zum einen steigt damit die Spannung des Films, zum anderen wird die genretypische und peinliche Aufrechnung von Kriegsgräueln umschifft.
Auffällig ist diese Nüchternheit ganz besonders, wenn man den Vergleich zu Der Soldat James Ryan (1998) oder gar Hacksaw Ridge (2017) sucht. Beide Filme sind plakativ in ihrer Darstellung von Gewalt; baden im Blut – wortwörtlich. Auf Schlachthaus-Szenen verzichtet Nolan vollkommen. Stattdessen steht bei Dunkirk die psychologische Gewalt im Vordergrund: Das Gefühl in der Falle zu sitzen, den Atem des Feindes im Nacken, das Ticken der Zeit. Dunkirk ist schonungslos nüchtern. Tatsächlich wirkt der Film wie das nüchterne Protokoll einer Katastrophe.
Artikel vom 1. August 2017
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