Kritik: Archive 81 – Staffel 1
Verschenktes Potential
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Dan (Mamoudou Athie) restauriert alte Videofilme für sein Leben gern. Er ist so gut in seinem Element, dass er eines Tages einen großen Batzen Geld von einem noch größeren Unternehmen bekommt, wenn er eine Reihe alter Filmkassetten restauriert, die einen mysteriösen Dokumentarfilm über ein abgebranntes Hochhaus in New York City in sich tragen.
In welcher Verbindung die junge Regisseurin Melody (Dina Shibabi) zur Brandkatastrophe steht, oder das Unternehmen, geschweige denn, was überhaupt das Geschäftsmodell besagtem Unternehmens ist, bleibt für Dan unbekannt. Er verzichtet auf zu viele Fragen und lässt sich in ein Hideout im Wald kutschieren, der als “Arbeitsplatz” für die Restaurierung der Kassetten dienen soll.
Es passiert das Erwartete: Dan verliert sich in seiner Arbeit und fängt an, Geister zu sehen.
Archive 81 basiert tatsächlich auf einem gleichnamigen Horror-Podcast. Ja, ein Podcast kann mehr sein als Fest & Flauschig oder Flix & Fertig, mehr als Menschen, die besonders gut über Dinge reden, denn über Podcasts können auch Geschichten erzählt werden. Statt Videobänder restauriert der Hauptdarsteller Audiokassetten und die Zuhörer hören gebannt zu.
Die Entscheidung, in der Verfilmung das Found-Footage-Element mit “Film” zu bereichern, erscheint absolut logisch. Die Herleitung, Melody möchte einen “Film” für ihre Recherche drehen, wirkt jedoch in einigen Situationen sehr aufgesetzt, da die Kamera nun überall mitgenommen werden muss und sie auch in unangebrachten Situationen mit der Kamera auf Menschen zielt, wie zum Beispiel auf einem Date. Ein kleiner Audiorekorder in der Hosentasche macht für eine investigative Recherche definitiv mehr Sinn.
Doch ich möchte nicht zu pingelig sein. Alleine die Idee, grießige Videos aus den 90ern an einem verlassenen Ort zu restaurieren, vollkommen abgeschottet von jeder Menschenseele, bereitet mir eine wohlige Gänsehaut.
Zwar ist Found Footage spätestens seit Paranormal Activity 5 nicht mehr im Trend, doch kann man dem Subgenre nicht seinen Grusel abstreiten. Verwackelte Aufnahmen in matschigen Farben, körnige Schwarzkleckse und Flimmerstreifen, die uns auf unangenehme Weise an eigene Homevideos von damals erinnern; das ist Grusel ohne Filter. Wiederholendes Pausieren und Zurückspulen enthüllt schließlich die Geheimnisse, die sich auf dem Zelluloid verstecken. Abrupte Cuts und fehlendes Bildmaterial füttern die Fantasie.
Warum ist das Hochhaus abgebrannt? Warum mussten dutzende von Menschen sterben? Warum verhalten sich die Bewohner kurz vor der Katastrophe so seltsam? Warum muss ich dieses Video an einem verlassenen, dunklen Ort restaurieren und wer beschützt mich vor meiner eigenen Fantasie?
Das hört sich nach starkem Grusel an. Doch leider bleibt all das komplett auf der Strecke.
Aus stilistischen Gründen haben sich die Serienmacher:Innen nämlich dazu entschieden, das Found-Footage-Video mit normal inszenierten Szenen anzureichern. Das kann man sich so vorstellen: Hauptdarsteller Dan sitzt im Dunkeln vor seinem Bildschirm und decodiert das unheimliche VHS-Video, doch statt uns Zuschauern einfach genau das zu zeigen, was Dan auf diesen Videos sieht, wechselt die Serie immer wieder zu konventionell gedrehten Szenen, die das Geschehen abseits des Camcorders in vollem HD einfangen.
Puff. Horror weg. Atmosphäre weg.
Leider muss ich also spätestens nach Folge Zwei feststellen, dass Archive 81 nicht das ist, was es hätte sein können. Doch die Serie bietet zumindest genug Mystery, um bei Laune zu halten.
Die Story ist ein seltsames Geflecht aus okkultem Horror und Science-Fiction in Form eines Aluhuts. Melodys Recherche im sogenannten “Visser”-Gebäude entpuppt sich als fiebriger Horrortrip, der immer seltsamer, leider aber auch immer weniger unheimlich wird.
Je mehr Fragen beantwortet werden, desto mehr wirkt Archive 81 wie das Propagandavideo eines Flat Earthers auf YouTube: unterhaltsam und faszinierend, doch leider zu überkonstruiert und an den Haaren herbeigezogen, als tatsächlich zu überzeugen.
Man muss den Serienmacher:innen jedoch Respekt zollen, eine relativ unverbrauchte Inszenierung des Horrors gewählt zu haben. Statt gotischer Alkoven dienen brutale Betonwände Raum für den Spuk. Auch wenn jeder echte Horror durch die “Verfilmung” des Found Footage Materials vernichtet wird, strahlt Archive 81 eine neonkalte, trostlose Atmosphäre aus, die nie der Effekthascherei verfällt.
Jumpscares gibt es zum Glück wenige. Wenn sie jedoch passieren, reicht es kaum für ein müdes Lidzucken. Man hätte sie sich also auch ganz sparen können.
Ebenfalls interessant ist die Mixtur von Okkultismus und Zeitrelativität. Geister und Dämonen scheinen sich außerhalb der Zeit zu bewegen, es gibt sogar ein bis zwei kleine Zeitparadoxa.
Dan und Melody scheinen durch Zeit und Zelluloid kommunizieren zu können. Doch wer von den beiden sucht wen heim? Wer ist hier der Geist? Interessante Fragen, interessanter als die recht belanglose Chemie der beiden Hauptdarsteller.
Leider ist auch das Ende von Staffel 1 nicht der ganz große Mindblow. Zurück bleibt eine Serie, die ihr Potential aufgrund einer verschlimmbesserten Inszenierung liegen lässt. Daher warte ich auf einen alternativen Cut, der Melodys Handlungsstrang ausschließlich aus Sicht des Found Footage erzählt und empfehle Archive 81 bedingt an alle Genre-Fans, die sich für subtilen Horror begeistern können.
Artikel vom 4. März 2022
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