Kritik: A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani
Fabel-haft
Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
Fabel-haft
Jetzt direkt streamen auf:
[jw_add_widget-sc]
Rahim (Amir Jadidi) ist ein wirklich ungewöhnlicher Held. Eigentlich sitzt er wegen Verschuldung im Gefängnis, auf einem Freigangs-Wochenende fällt ihm dann jedoch ein Geschenk des Himmels in den Schoß: Eine verlorene Handtasche voller Goldmünzen. Damit ließe sich bereits die Hälfte der Schulden tilgen und die Freiheit rückte ein ganzes Stück näher. Doch das Gewissen siegt und Rahim und seine heimliche Verlobte Farkhondeh (Sahar Goldoost) machen die Besitzerin ausfindig und geben den Geldsegen zurück. Der ehrliche Sträfling wird vom Wachpersonal und den lokalen Medien gefeiert. Ende gut, alles gut? Leider nein. Rahims Gläubiger (Mohsen Tanabandeh) setzt Zweifel an der märchenhaften Geschichte in die Welt, ein übereifriger Behördenmitarbeiter will jedes Detail der Heldenstory prüfen und die geheime Liebschaft zwischen Rahim und Farkhondeh droht alles zu verkomplizieren. Der einstige Held verstrickt sich in den Folgen seiner eigentlich edlen Tat.
Durch die Produktionsstudios dieser Welt flattern Drehbücher wie durch einen Taubenschlag. Durch die Tür herein und meistens durch den Aktenvernichter hinaus. „Hatten wir schon!“, „Zu kitschig!“, „Zu kompliziert!“, wie auch immer das Urteil ausfällt, viele tolle Geschichten scheitern an den Vorlieben strenger Prüfer:innen. Jedes mal ist es dann ein erfrischendes Wunder, wenn innovative, spritzige oder auch einfach mal angenehm klassische Scripts umgesetzt werden. So wie dieses:
Es war einmal ein Mann, der fand eine Tasche voll Gold…
Selten beginnen Filme derart Märchenhaft. Schade eigentlich, denn das Märchen bietet als eine uralte Erzählform eine große dichterische Kraft. Bekannte Muster, vertraute Settings und nachvollziehbare Figuren lassen uns schnell abtauchen, aber auch hinter die Fassade blicken und eröffnen die Story für zeitlose Gedankenspiele. Auch Fabeln oder religiöse Gleichnisse funktionieren nach diesem Muster, in dem sich Zuhörer:innen schnell zurechtfinden können – um sich dann darauf konzentrieren zu können, warum die Figuren so handeln wie sie es tun und was wir daraus lernen können. Diese Geschichte erzählt von einem Helden und sie fragt, was ein Held eigentlich ist, wann aus einem Menschen ein Held wird, wann er diesen Status wieder verliert, ob eine gute Tat heldenhaft oder selbstverständlich sein sollte. Eine interessante Leinwand-Philosophie in den 20er Jahren – das Superhelden-Kino beherrscht nach wie vor die Kinosäle. Doch während bei Spider-Man gilt „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“ beweist Rahim Soltani: Auch Menschen mit kleiner Kraft tragen eine große Verantwortung.
Nun bringt diese märchenhafte Erzählweise ihre Vor- aber auch Nachteile mit sich. Die Figuren sind Nebensache. Zwar sind sie nicht leblos, doch dienen sie mehr als Projektionsflächen für die Dilemmata und Wendungen des Spiels. Auf emotionaler Ebene bleibt der Film etwas flach.
Die Geschichte und die Moral sind Regisseur Asghar Farhadi wichtiger als die Charaktere – gut so! Nach dem „Gerade gesehen, schon wieder vergessen“-Thriller Offenes Geheimnis, für welchen sich Farhadi große Hollywood-Namen einlud, kehrt der Filmemacher nun zurück in ein Szenenbild, welches ihm vertrauter zu sein scheint und verfilmt eine lebendige Geschichte. Der geradlinige Fluss hält die Neugier konstant aufrecht. Die Entspannung hält nicht lange an, denn mit jeder Szene, die den Knoten zu lösen scheint, zieht er sich tatsächlich enger zusammen.
Die Abwärtsspirale des Herrn Soltani kreiselt nicht chaotisch dem Abgrund entgegen, sondern wird kontrolliert geführt. Die vielen Beweismittel, Zeugenaussagen und Twists, die Rahims Heldentat ins Wanken bringen sind viel mehr als nur der Treibstoff auf einer billigen dramatischen Achterbahnfahrt. Sie führen tiefer hinein in die Fragen der Ethik und des Heldentums. Es sind nicht Charaktere, die hier im Drehbuch entwickelt werden und auf der Bühne auf- und abtreten: Es sind Gedanken.
Die zwei Ideale von Story und Spannung kommen hier mühelos zusammen. Der Film diskutiert weitreichende Fragestellungen ohne zu langweilen. Wir verfolgen die Geschehnisse und haben Gelegenheit, den Helden von allen Seiten zu betrachten. Gegen Ende, als sich Rahim hilflos in seinen Taten verstrickt und das Helden-Narrativ kompliziert wird, resümiert der Gefängnisaufseher über ihn:
„Entweder bist du unglaublich schlau oder unglaublich dumm.“
Salehi in A Hero
Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Geschichte kunstvoll verfranst. Schlauheit ist nicht mehr von Dummheit zu trennen. Und die Realität ist so weit gedehnt, dass wir über unseren Held feststellen: Er hat nicht gelogen, er hat nur nicht die Wahrheit gesagt. Das tut er weder charmant wie die Gauner in Heist-Klassikern noch dreist wie moderne Eulenspiegels. Rahim ist ein tragischer Spielball, der mal Held, mal Betrüger ist und nur wenig Kontrolle über seine eigene Moral hat.
Was ist ein Held? Obwohl Hollywood diese Frage fast gar nicht mehr beantworten muss oder will, ist die Frage nach der „Guten Tat“ eigentlich nie abschließend beantwortet, wie dieser Film beweist. Kein vorschnelles Urteil hat Bestand, kein abschließendes Urteil ist möglich. Dieses Drama ist weder zu tragisch, noch langweilig. Wie ein Märchen erzählt es von einem simplen Ausgangspunkt eine verzwickte Geschichte, die aber fest in einem starken Zentrum steht.
Artikel vom 6. April 2022
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!