Kritik: Auslöschung
SO ANDERS KANN EIN ALIEN-FILM SEIN
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Lena (Natalie Portman, Star Wars) ist Biologin. Daneben ist sie eine trauernde Ehefrau, die ihren bei einem Militäreinsatz verschollenen Mann Kane (Oscar Isaac, auch Star Wars) einfach nicht aufgeben kann. Wie sich herausstellt, war die Hoffnung nicht umsonst: Urplötzlich steht der verlorene Soldat vor Lenas Haustür. Doch etwas stimmt nicht. Kane ist schwer krank und kaum bei Sinnen. Das Ehepaar wird von einer Spezialeinheit entführt und in ein geheimes Forschungslager gebracht. Hier offenbart sich das Grauen.
Psychologin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh) klärt Lena auf, dass vor drei Jahren eine außerirdische Spezies auf der Erde gelandet ist. Seitdem breitet sich ein mysteriöser „Schimmer“ immer weiter um die Einsturzstelle aus, der alles zu verschlingen scheint. Niemand, der den Schimmer betritt, kam jemals wieder hinaus – mit Ausnahme von Kane. Doch Dr. Ventress, Lena und eine Reihe anderer Wissenschaftlerinnen melden sich für ein freiwilliges Himmelfahrtskommando an, um das Rätsel des Schimmers endgültig zu lösen.
Auslöschung (auf Englisch: Annihilation) ist kein Action-Film. Wer wildes Monster-Geballer erwartet, wird sich vermutlich schnell langweilen. Dabei baut Garlands ruhiger Science-Fiction-Thriller eine ähnliche, subtile Spannung auf, wie Denis Villeneuves Arrvial aus dem Jahr 2016. Die Furcht vor dem Unbekannten wird allmählich heraufbeschworen, ohne auf besonders viele Schocker zu setzen. Was verbirgt sich hinter dem Schimmer? Warum kehrt niemand zurück? Auslöschung spart sich die Antworten lange auf, andere Antworten bekommen wir überhaupt nicht. Das kann frustrieren. Andererseits ist der Film gerade durch die Vorenthaltung von Informationen so spannend. Man ächzt geradezu nach Erklärungen, die der ganzen Story einen Rahmen geben.
Doch ganz so subtil ist Auslöschung dann auch nicht. Hin und wieder gibt es Horror-Einlagen, die stark an die Alien-Reihe erinnern. Aufplatzende Bauchdecken und widerliche Monster-Mutationen sorgen für eine dezente Portion Ekel. Wirklich angsteinflößend sind diese Spannungsschübe aber nicht. Hier fehlt der stringente Aufbau von Suspense. Spannende Monster-Attacken sind schneller wieder vorbei, als man seine Popcorn-Tüte aufreißen kann. Eine große Ausnahme ist der Angriff eines mutierten Bärs, der schlichtweg unter die Haut geht. Neben der Schlüsselszene in The Revenant, gehört diese Szene definitiv in die Hall-Of-Fame der großartigsten Bär-Attacken. Brutal!
Dass die Gruppe nur aus Frauen besteht, spielt für den Film absolut keine Rolle. Dennoch sind die meisten Rollen in Auslöschung rein funktional. Das Drehbuch versucht nicht einmal zu verschleiern, dass einige Charaktere nur dabei sind, um wissenschaftliche Dinge zu erklären – ist ja schließlich auch eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen.
Natalie Portman ist zwar routiniert stark und ihre Rolle fein ausgearbeitet, doch der Rest des weiblichen Casts bekommt kaum die Möglichkeit, sich selbst zu spielen. Stattdessen werden die Rollen einfach erklärt: „Hallo, ich heiße X und mache Y“. Bedeutet: Tessa Thompson (Thor: Tag der Entscheidung) ist eine destruktive Physikerin, Gina Rodriguez eine paranoide Medizinstudentin, Tuva Novotny eine gutmütige Geologin und Jennifer Jason Leigh eine krebskranke Psychologin. Sobald sich die ganze Gruppe wie im Stuhlkreis vorgestellt hat, gibt’s dann auch noch für jedes Mitglied eine wortwörtlich erzählte Charaktermotivation.
Dieser plumpe Umgang mit Charakteren ist ernüchternd, da gerade die Charakterentwicklungen interessant gewesen wären. Wie beeinträchtigt der Wahnsinn des „Schimmers“ die Gruppendynamik? Die Frage wird zwar angerissen, aber nie wirklich vertieft.
Das war jetzt erstmal viel gemeckert. Doch zum Glück muss sich Auslöschung nicht nur auf seine Charaktere stützen. Die Stärken liegen woanders…
In Auslöschung dreht sich alles um Selbstzerstörung. Wir zerstören unsere Ehen, unseren Job und unsere Gesundheit. Warum gehen wir fremd, und warum rauchen und trinken wir? Wenn wir nicht selbstzerstörerisch genug handeln, hilft der Krebs vielleicht nach. Ebenso erstreckt sich die Metapher des Films sowohl auf soziale als auch auf biologische Selbstzerstörungsprozesse. Während wir in Rückblenden erfahren, wie Protagonistin Lena ihr gesundes Leben zerlegt, sehen wir im „Schimmer“ die biologische Zerstörung des gesunden genetischen Codes der Erde. Dabei wächst die Entartung wie ein Tumor. Mit Auslöschung hat Alex Garland die vermutlich größte Krebsmetapher aller Zeiten geschaffen.
Das Drehbuch spielt mit vielen pseudo-wissenschaftlichen Phänomenen, die unglaublich unterhaltsam, aber nicht unbedingt logisch sind. Viel wichtiger als die Frage der Glaubhaftigkeit ist allerdings die Frage nach der Moral. Was will uns der Film mitteilen? Okay, wir sind selbstzerstörerisch. Aber vielleicht haben wir hier auch einen zweiten Mother! und man stützt sich ganz und gar auf eine große Metapher, ohne ein eigenes Statement zu machen. Das gelingt Garland durchaus gut.
Hypnotisierendes Finale mit Kult-Potential
Die ersten zwei Drittel sind spannend genug, doch die Begeisterung bleibt aus. Man wartet auf eine Auszahlung oder einen großen Twist, der das langsame Build-Up rechtfertigt. Was wir in der letzten halben Stunde bekommen, ist jedoch weder ein kolossaler Showdown, noch eine große Wendung – stattdessen schickt uns Alex Garland auf einen surrealen Trip, der in seiner Inszenierung völlig einzigartig ist. Der grandiose, hypnotisierende Soundtrack von „Moderat“, der mit seinen futuristischen Synth-Elementen stark an Blade Runner erinnert, macht das Finale zu einem audio-visuellen Kunstwerk.
Dennoch wirft das Ende mehr Fragen auf, als Antworten zu geben. Lange Diskussionen nach dem Filmende sind also vorprogrammiert. Garland lässt uns mit einer ambivalenten Auflösung zurück, die zuerst etwas enttäuscht, aber nach einigen Stunden der geistigen Auseinandersetzung immer mehr Sinn macht. Das Internet ist bereits überschwemmt von Erklärvideos und wilden Interpretation. Ganz frei von Logiklücken ist Auslöschung aber dennoch nicht. Das kann der Film auch nicht mit seinem „Freiraum zur Interpretation“ entschuldigen.
Obwohl der Film, zusammen mit Beasts of No Nation, definitiv zu den besten Sofort-Veröffentlichungen auf Netflix gehört, ist es verständlich, weshalb sich die Filmproduzenten Sorgen um die Box-Office machten. Auslöschung ist ein vorprogrammierter Kassenflop. Die Trailer sind so nichtsaussagend (gut so!), dass man damit kaum Zuschauer locken kann und der Cast besteht ebenfalls nicht gerade aus aktuellen Publikumslieblingen. Dennoch ist Alex Garlands zweiter Film ein ambitionierter Sci-Fi-Trip geworden, der dem Zuschauer Köpfchen und einen starken Magen abverlangt. Die schwach ausgearbeiteten Charaktere können den Film nur mit Mühe tragen, doch im letzten Drittel liefert Auslöschung ein transzendentes Finale, das man so schnell nicht vergisst. Wer Filme mag, die nach dem Ende zu ausufernden Debatten einladen, der sollte Auslöschung eine hohe Priorität auf der Netflix-Watchlist geben!
Artikel vom 16. März 2018
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