Interaktive Kritik: Black Mirror: Bandersnatch
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1984, England. Für Stefan Butler (Fionn Whitehead: Dunkirk) wird ein Traum war, als er die Chance bekommt für das renommierte Spielestudio Tuckersoft das Adventure-Game Bandersnatch zu entwickeln. Das Besondere: Die Spieler sollen Entscheidungen treffen können, was wiederum die Story beeinflusst und somit zu einer Fülle an alternativen Enden führt. Doch die Umsetzung der innovativen Idee fordert ihren Tribut. Denn die Entwicklung von Bandersnatchdroht den 19-jährigen Gaming-Nerd in den Wahnsinn zu treiben. Je nachdem zumindest, wie DU für Stefan entscheidest. Denn das interaktive Netflix-Werk ist ein ungemein komplexer Choose-Your-Own-Adventure-Film, in dem deine Entscheidungen bestimmen, was die Filmfiguren erleben
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In dieser interaktiven Filmkritik entscheidest du, was du liest. Die grauen Schaltflächen in diesem Artikel lassen dir die Wahl, über welchen Aspekt des Films du mehr lesen möchtest. Klicke auf das vorgeschlagene Thema, das dich am meisten interessiert und lies nahtlos weiter. Los geht’s mit einer einfachen Entscheidung:
Hast du den Film bereits gesehen?
Dank Heimcomputer, Internet und Smartphones haben viele Medienformen (Games, Fernsehen, Social Media, Livestreams etc.) die Interaktivität bereits vor geraumer Zeit für sich entdeckt. Filmen und Serien scheinen den Trend jedoch verschlafen zu haben.
Zwar wird immer wieder mal damit experimentiert, Entscheidungen von Zuschauern in den Verlauf einer Handlung einfließen zu lassen (z.B.: [amazon link=”B000GG47Z2″ title=”interaktive DVD-Version von Final Destination 3” link_icon=”amazon” /]), wirklich im Mainstream etabliert haben sich interaktive Filme bis dato jedoch nicht.
Ein Grund dafür ist das chronische Problem interaktiver Filme, die bei uns die Erwartung wecken, dass wir den gesamten Verlauf der Handlung frei bestimmen können. Ein Versprechen, das sich aber nicht erfüllen lässt. Denn um Spannung, Emotionalität und Immersion in einer Geschichte bestmöglich zu erreichen, müssen eine Fülle an Parametern (wie Storytelling, Charaktere, Kamera, etc., etc.) gekonnt ausbalanciert werden.
Diese Ausgewogenheit auch in einer Geschichte hinzubekommt, die sich durch getroffene Entscheidungen des Zuschauers zunehmend verästelt und somit in diverse Enden münden kann, ist ausgesprochen schwierig. Bandersnatchfindet darauf sowohl gute als auch schlechte Antworten:
Über was willst du mehr wissen?
Das Geniale an Black Mirror: Bandersnatch ist, dass sich der Film der Herausforderung, die mit der Interaktivität einhergeht, durchaus bewusst ist. Ja, sogar so bewusst, dass sich die Kernidee der Handlung um genau dieses Dilemma dreht: Wanna-Be-Spieleentwickler Stefan will jedem seiner Handlungsstränge gerecht werden und wird über der unlösbaren Aufgabe schließlich verrückt.
Auch wenn das Black Mirror-Team ebenfalls unter der einen oder anderen schlaflosen Nacht gelitten haben mag, handelt es sich alles andere als um ein Werk in der Schaffenskrise. Viel mehr ist Bandersnatch wahrhaftig innovativ und setzt neue Maßstäbe.
Das gilt zum einen für die “Entscheidungs-Schaltflächen”, die sich elegant und beindruckend unaufdringlich in den Fluss des Filmes einbetten. Gerade dadurch, dass das Video nicht pausiert, wenn wir einen Entschluss treffen müssen, bleibt das starke Gefühl erhalten, Teil der Story zu sein.
Zudem gelingt es Black Mirror: Bandersnatch auf sagenhafte Weise uns unaufhaltsam in seinen Bann zu ziehen. Dass wir den Verlauf des Films mitbestimmen, markiert dabei aber nur die Spitze des Eisbergs. Wahrhaftig immersiv (und ein wenig gruselig) wird es, wenn Stefan schließlich realisiert, was mit ihm wirklich los ist. Plötzlich müssen wir etwas feststellen: Unser Protagonist hat seinen eigenen Willen – und nicht nur unseren. Bisher haben wir ihm mitunter schwere Entscheidungen aufgezwungen. Vielleicht sogar aus Schadenfreude und Sensationsgeilheit, was ein bisschen an die Kernaussage des Sci-Fi-Dramas erinnert. Als ich das schamvoll realisieren musste, stellte sich zumindest bei mir eine umso größere emotionale Bindung zu den Charakteren der Handlung ein. Faszinierend!
Also alles perfekt? Leider nein:
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Interaktion und Dramaturgie so zu verbinden, dass ein ganzheitlicher Flow entsteht, ist herausfordernd – auch für das abgeklärte Black Mirror-Team. Wer nicht zufällig einen “idealen” Pfad durch die Story findet, der stößt zwangsläufig auf ein paar Sackgassen (ich habe sieben erwischt). Erkennbar werden diese durch ein oder zwei Retro-Fernseher, die uns auffordern, eine “falsche” Entscheidung zu wiederholen. Zwar sind besagte Dead Ends stilsicher und elegant gelöst, sorgen aber dennoch für ein paar Wiederholungen, da wir bereits Gesehenes teils erneut durchleben müssen. Das mag bei dem hier angewandten Multistrang-Storytelling zwar unvermeidlich sein, kratzt aber im Vergleich zu herkömmlichen Filmen dann doch ein wenig am Fluss des Films. Denn trotz aller spielerischen Elemente hat Bandersnatch doch eben genau diesen Anspruch: ein unterhaltender Film zu sein.
Über was willst du als Nächstes lesen?
Trotz aller technischen und erzählerischen Raffinessen schwächelt Bandersnatch auf den letzten Metern. Denn je nach getroffenen Entscheidungen verklingen die aufgebauten Erwartungen auch mal in einem antiklimatischen Ende. Zwar sind diese oft besonders einfallsreich und teils unterhaltend selbstreferenziell (z.B.: Bandersnatch 2018) angelegt, aber dennoch passiert genau das, was interaktiven Geschichten oft droht: Die vielen Verästelungen münden in einem entweder abrupten, forcierten oder gar unverständlichen Finale.
Bei Bandersnatch kann so je nach Entscheidung ein Ende bereits nach ca. 40 Minuten herbeigeführt werden, wie einige Zuschauer berichten. Auch nicht vollkommen unmöglich ist, dass die alles entscheidende Backstory von Stefan schlichtweg umschifft wird, was das Drama zwangsläufig zu einem unvollkommenen Erlebnis machen muss.
Ironischerweise ist sich Bandersnatch seiner Unvollkommenheit bewusst. So wird eine unserer Entscheidungen von einem Charakter schon auch mal als “ein wenig antiklimatisch” beurteilt. Das sorgt für Schmunzeln, löst das Kernproblem jedoch nicht. Denn die jeweiligen Enden präsentieren mitunter sich widersprechende Auflösungen der Story, wie dieses Beispiel (Achtung Spoiler!) zeigt:
Spielt man die Handlung also mehr als einmal durch (was für die Meisten von euch wahrscheinlich zutrifft), passiert es schon mal, dass Auflösung und Aussage des Films zusammenhangslos statt schlüssig wirken.
Welches Thema willst du vertieft betrachten?
Drehbuchautor und Black Mirror-Schöpfer Charlie Brooker verbindet mit atemberaubender Raffinesse Elemente des Horrors, Mindfucks und Thrillers zu einem intellektuellen Erlebnis der Extraklasse. Sogar seine ebenfalls anspruchsvollen Geschwister der Black Mirror-Familie lässt Bandersnatch alt aussehen. Verantwortlich dafür sind die atemberaubend vielschichtigen Metaebenen, bei denen selbst einem Christopher Nolan (Dunkirk, Inception, Interstellar) das Gehirn ins Kochen geraten dürfte.
Besonders faszinierend ist dabei, wie Brooker die Grenzen zwischen dem Protagonisten und uns verwischt (“Private Chat”-Szene!). So werden wir Teil der Story, was absolut packend, mindblowing und auch ein wenig creepy ist. Dass es dadurch gelingt, die Storywelt des Films in unsere Wohnzimmer zu erweitern, und uns zu Filmfiguren zu machen, markiert einen fetten Meilenstein in der jüngeren Filmgeschichte.
Welches Thema willst du vertieft betrachten?
Bei einem Werk der Reihe Black Mirror darf Gesellschaftskritik natürlich nicht fehlen. Zwar lebt ein großer Teil der Netflix-Kundschaft in mehr oder minder freiheitlichen Demokratien, die grundrechtlich verbriefte Freedom of Choiceist jedoch nicht selten eine Illusion, so die Botschaft von Bandersnatch: Konsum, Geld, Werbung und Co. lenken unsere Bedürfnisse, Wünsche und Träumen in Bahnen, die Wirtschaft und Politik gefällig sind. Eine Metapher, die am Gaming-Klassiker Pac-Man aufgehängt wird, bringt diese Kernmessage des Films eindrucksvoll und sympathisch geeky auf den Punkt.
„We are all living in Pac-Man’s World. You know what Pac stands for? P.A.C. Program and Control. He’s Program and Control Man. The whole thing’s a metaphor. All he can do is consume. He’s pursued by demons that are probably just in his own mind.“
Colin in einem Nebenstrang (paraphrasiert)
Ironisch ist jedoch, dass diese konsumkritische Message gerade via Netflix kommuniziert wird. Denn das Erfolgsrezept des Streaming-Giganten besteht darin, auf Basis unseres Streaming-Verhaltens Content zu produzieren und passende Produkte zu platzieren (Product-Placement).
Fraglich ist nun, was es dem Streaming-Service über dein Konsumverhalten verrät, wenn du Stefan Frosties statt Sugar Puffs auftischst.
Das mag jetzt nach Verschwörungstheorie klingen, und tatsächlich gibt es keine Belege, dass Netflix so vorgeht. Möglich ist es dennoch. Und zu hinterfragen hat durchaus seine Berechtigung: Denn ist die Mission der Black Mirror-Reihe nicht, uns dazu anzuhalten, die Welt um uns herum kritisch zu betrachten?
Wo soll’s weitergehen?
Fazit
Visuell setzt Bandersnatch den Retro-Trend fort, der seit Stranger Things fasst schon ein Markenzeichen für ausgefallene Sci-Fi-Serien aus dem Hause Netflix ist (Maniac, Dark und Folge San Junipero von Black Mirror). Und wieder einmal geht die Rechnung auf: Bandersnatch zeugt von einer starken visuellen Vision, die die quitschbunten 80er-Jahre ausgelassen feiert, aber auch für düstere Nuancen sorgt. Besonders gelungen sind Flashbacks, deren körnig-kontrastreicher Look düstere Erinnerungen unserer Hauptfigur heraufbeschwört und Bandersnatch um eine zusätzliche Deutungsebene erweitert.
Wo soll’s weitergehen?
Fazit
Black Mirror: Bandersnatch ist ein meisterhaft gelungenes Experiment, dessen Einfallsreichtum, Innovationskraft und Tiefgründigkeit wortwörtlich atemberaubend sind. Mit Fionn Whitehead und Will Poulter (Detroit, Narnia) in den Hauptrollen, trumpft das Netflix Original auch schauspielerisch mächtig auf. Kleine Abzüge muss sich der Black Mirror-Einzelmeister jedoch bei der Handlung gefallen lassen: Aufgrund des interaktiven Formats können manche Entscheidungen in Enden münden, die weniger rund ausgearbeitet sind. Und dennoch gilt: Was wir hier präsentiert bekommen, markiert einen Meilenstein der jüngeren Filmgeschichte: Denn auf faszinierende Weise verbinden sich technologische und dramaturgische Innovationen zu einem Mindfuck-Meisterwerk der Extraklasse. Ob Bandersnatchnun den Auftakt für weitere interaktive Mainstream-Streifen gibt, bleibt abzuwarten. Eins ist aber klar: Wir wollen mehr!
Okay, diese interaktive Kritik war auch von unserer Seite ein augenzwinkerndes Experiment. Geht es dir jetzt so, als hättest du etwas von unserer Kritik verpasst? Wenn ja, dann hast du verstanden, was eine unserer Kernaussage zum Film ist. Schreib uns deine Meinung zum Film und unserem Kritik-Experiment hier auf Facebook.
Artikel vom 1. Januar 2019
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