Kritik: Glass Onion: A Knives Out Mystery
Der Butler mit dem Seil in der Bibliothek
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Es ist Mai 2020, mitten in der Pandemie. Die Politikerin Claire (Kathryn Hahn), der Wissenschaftler Lionel (Leslie Odom Jr.), die Designerin Birdie (Kate Hudson) und der Streamer Duke (Dave Bautista) sitzen gelangweilt Zuhause fest. Da sorgt eine mysteriöse Einladung für Abwechslung. Der schwerreiche Unternehmer Miles (Edward Norton) bittet seine Freunde auf seine Privatinsel, um einen Mordfall aufzuklären. Ebenfalls angereist ist Cassandra (Janelle Monáe), die eine große Rechnung mit der Gruppe offen hat. Und auch Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) verschlägt es auf die Insel. In der Luxusvilla mit gläsernem Zwiebelturm gibt es bald nicht nur einen Mord, sondern eine ganze Kette an Verschwörungen und Geheimnissen zu lösen.
Bis vor einigen Jahren hätte wohl niemand mehr an den Erfolg klassischer Krimis geglaubt. Doch zunächst gab Mord im Orient-Express den Startschuss für eine Reihe von Neuinterpretationen der Agatha Christie-Klassiker und kurz danach erschien mit Knives Out ein frischer Neuzugang im Genre, der sich nicht anders beschreiben lässt als: Klassisches Krimi-Material. Im allerbesten Sinne. So kompliziert, dass man ihn gerne zweimal gucken kann, aber sehr gründlich erzählt. Stückchenweise Indizien, die sich schließlich zu einem Mosaik zusammenfügen. Figuren die viel, aber wenig unnötiges sagen und dadurch nach und nach an Schärfe gewinnen.
Der besondere Twist, den der erste Teil von Knives Out ganz locker aus dem Hut zauberte, widerspricht eigentlich der Norm des Genres: Bereits früh im Film wird offenbart, wie sich der Mord abgespielt hat. Spoiler? Fahrlässiger Fehler? Frechheit? Mitnichten: Der Film eröffnet mit einem Tod, nur um kurz darauf das Steuer herumzureißen und sich anderen Abgründen zuzuwenden. Damit entledigte sich der Film geschickt einer störenden Last, nämlich dem Anspruch, die Zuschauer:innen mitgrübeln zu lassen. Während Krimis typischerweise diese vermeintliche Interaktion anbieten (und am Ende dann doch immer eine Auflösung bereithalten, die man sich gar nicht hätte zusammenreimen können) legt Knives Out die Karten auf den Tisch: Die Story ist dermaßen komplex, versucht erst gar nicht, die Lösung zu enträtseln, lehnt euch zurück und genießt, wie sie sich entfaltet.
Auch im freudig erwarteten zweiten Auftritt von Benoit Blanc geht es scheinbar um einen Mord, der dann aber doch nicht eintritt, plötzlich folgt ein zweiter Mord, oder etwas doch nicht, oder sogar ein dritter oder was läuft hier eigentlich? Klingt verwirrend, ist es auch – und macht dennoch unglaublich viel Spaß!
Der Spaß im zweiten Teil ist jedoch weder den Figuren noch dem Schauspiel oder der eigentlichen Story zu verdanken. Die Verdächtigen in Blancs Blickfeld sind gesichtslose Stereotypen, die auf ihre gesellschaftliche Positionen und Tatmotive reduziert werden. Das Ex-Model, welches in seiner blonden, verwöhnten Naivität kaum abgedroschener sein könnte ist da das schlimmste, jedoch nicht einzige Beispiel. Immerhin, „der Wissenschaftler“ trägt keine Brille. Auch die Story ist trotz vieler Komplikationen nicht besonders mitreißend. Die Würze liegt jedoch in der Art, wie sie erzählt wird. Glass Onion ist eine fingerfertige Ausreizung des filmischen Erzählens, eine lebendige Lektion in den Möglichkeiten des Kinos. Regisseur Rian Johnson zerlegt das Drehbuch in seine Bestandteile und führt eine beachtliche Jonglage vor.
Im Verlauf der Ermittlungen werden Szenen wiederholt, fremde Perspektiven eingenommen und neue Erkenntnisse eingewoben, die Kamera schaut durchs Schlüsselloch in Blancs Kopf, in welchem sich der Tathergang zusammensetzt. So verbinden sich das Ausgangsmaterial immer wieder neu, wird auf den Kopf gestellt und mit neuen Augen gesehen. Neben den erzählerischen Zeitsprüngen gleicht auch die Bildgestaltung einer Detektivarbeit. Schnelle Schnitte und Perspektivsprünge gleichen dem hektischen Umschauen eines aufmerksamen Beobachters: Wer ist im Raum? Wer sieht was? Wer reagiert wie? Nicht selten fängt die Kamera Blanc im Hintergrund einer Einstellung ein und gibt uns zu verstehen: Der Detektiv ist immer im Bilde. Zielsicher streift er durch die Sets, die im Mai 2020 angelegt sind – ein charmanter Throwback in die Zeit von Stoffmasken, Ellenbogen-Checks zur Begrüßung und Among Us.
Benoit Blanc ist die einzig wirkliche tragfähige Figur und etabliert sich als noch nicht vollends gezeichneter und doch faszinierender Held. Mit ihm an der Spitze dürfte Knives Out das Agatha Christie-Reboot leicht hinter sich lassen. Wenn sich die verschachtelte Story nach und nach öffnet wie eine Blüte, wünscht man sich, der Film möge nicht enden – bis es dann schließlich doch zum Ende kommt…
Über mehr als zwei kurzweilige Stunden windet sich der Plot, springt immer wieder von der Zielgeraden ab, lässt die naheliegende Auflösung nicht stehen…wie bringt man so etwas zuende? Mit einem Knall, dachte sich das Produktionsteam – und hinterlässt mit dem Finale einen enttäuschenden grauen Aschehaufen. Der letzte Akt des Film ist laut und übertrieben, es wummst, splittert und schreit, das Gleichgewicht geht zugunsten eines bombastischen Fallen des Vorhangs verloren.
In der endgültigen Auflösung entlarvt sich der Subtext des Films als öde Satire, wie sie zuletzt auch in Triangle of Sadness zu sehen war. Der mit Edward Norton perfekt besetzte stinkreiche Miles ist eine langweilig-überdeutliche Elon Musk-Persiflage, einen verlässlicheren Antagonisten kann man dieser Tage wohl kaum auf die Leinwand bringen. Das sehr simpel angeordnete System schreibt deutlich „gut“ und „böse“ zu, obwohl Figuren moralisch fragwürdig handeln und Fragezeichen hinterlassen.
Wie bereits der erste Film ist auch dieser Fall sicher nicht zufällig im Milieu der Superreichen angesiedelt. Doch während der vorherige Auftritt Blancs mit Erbschaft, Medienmacht und Familienbeziehungen diese soziale Schicht interessant erkundete, skizziert Glass Onion die Figuren als Stereotypen mit Platin-Kreditkarten. Als ob es davon nicht bereits genug gäbe.
Im Rennen um die bessere moderne Krimi-Reihe zieht Knives Out an den Agatha Christie-Reboots vorbei. Die neuste Detektivgeschichte reizt die filmischen Möglichkeiten aus und betrachtet den Fall aus unterschiedlichen Perspektiven, die Bilder brechen sich wie in der namensgebenden gläsernen Zwiebel. Die Figuren jedoch sind flach wie Charakterkarten im Cluedo-Spiel, das Finale schmälert den Gesamteindruck deutlich. Trotz kleiner Mängel dennoch ein durch und durch unterhaltsamer Auftritt des charismatischen Privatdetektivs.
Artikel vom 2. Dezember 2022
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