6.9/10

Kritik: Mord im Orient-Express (2017)

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Genres: Krimi, Mystery, Startdatum: 09.11.2017

Interessante Fakten für…

  • Eine Vielzahl an Menschen vor und hinter der Kamera sind langjährige Vertraute von Kenneth Branagh.
  • Kenneth Branagh rechtfertigte seinen präsenten Schnauzer mit 15 direkten Verweisen aus der Romanvorlage.

Es ist soweit: die Luft wird eisig, die ersten Weihnachtslieder erklingen aus den Lautsprechern der Einkaufsläden und Hollywood liefert die passenden Spielfilme für die verschneite Jahreszeit. Den Start macht Kenneth Brannaghs Remake ‘Mord im Orient-Express’. Doch kann er dem alten Stoff neue Frische verleihen? Mehr dazu in der Kritik.

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Was ist geschehen?

Eigentlich wollte der exzentrische Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh, Dunkirk) nach seinem letzten Fall in Jerusalem einfach nur ein paar Tage entspannen und ungestört mit dem Orient-Express in Richtung London fahren. Im Zug trifft er auf eine ganze Reihe spannender Passagiere: den dubiosen Kunsthändler Edward Ratchett (Johnny Depp, Fluch der Karibik) mit seinem Assistenten Hector MacQueen (Josh Gad), die pikierte Prinzessin Dragomiroff (Judi Dench), den rassistisch anmutenden österreichischen Professor Gerhard Hartmann (Willem Dafoe), die Gouvernante Mary Debenham (Daisy Ridley, Star Wars 7), die spanische Missionarin Pilar Estravados (Penélope Cruz) und noch einige andere mehr oder weniger undurchsichtige Charaktere.

Irgendwo im Balkan löst sich jedoch eine Lawine, der Zug entgleist, an Weiterkommen ist nicht zu denken. In dieser Nacht geschieht im Zugabteil ein Mord – vom Täter fehlt jede Spur. Natürlich ist es für den weltbesten Detektiv undenkbar, diesen abscheulichen Mordfall ungelöst zu lassen, denn der Täter befindet sich noch mitten unter den Fahrgästen. Es gilt, alle Puzzleteile zusammen zu fügen, bevor der Mörder noch einmal zuschlägt…

Starker Start…

Die ersten 20 Minuten des Films machen richtig Laune! Mit inszenatorischer Finesse und viel Augenzwinkern führt Kenneth Branagh (stemmt Hauptrolle und Regie gleichzeitig) seinen Helden ein: ein verschrobener, zwangsartiger und schlichtweg brillanter Kopf, der jeden noch so kniffligen Fall in Windeseile durchschauen kann. Dazu ein stattlicher Schnauzbart, eine kleine Slapstick-Einlage und der unverkennbar französische Akzent, und schon klebt der Zuschauer an den Lippen des überaus selbstbewussten Protagonisten.

Auch als kurz darauf die restlichen Charaktere eingeführt werden, macht das noch eine Menge Spaß, denn nicht nur die Dialoge, auch das Timing der Akteure ist zunächst präzise und äußerst unterhaltsam. Es bedarf nur einige wenige Szenen und die Vielzahl an Figuren ist zumindest skizzenartig etabliert. Ein gelungener Start im Stile der klassischen Kriminalfilme, dessen Energie ruhig hätte beibehalten werden können.

Kenneth Branagh als der legendäre Detektiv Hercule Poirot ist gleichzeitig Hauptdarsteller und Regisseur.

Kenneth Branagh als Hercule Poirot steht vor einer Lokomotive in einem Bild für die Kritik Mord im Orient Express

…mit starkem Abfall

Doch dies will im Laufe des knapp zweistündigen Krimis nicht mehr so recht klappen. Zwar ist der Mordfall stimmig inszeniert, doch das anschließende Whodunit überzeugt nur mäßig. Das ist für Agatha-Christie-Liebhaber jedoch das Herz der Geschichte: man möchte doch mit Poirot miträtseln, selbst seine Schlüsse aus den Verhören ziehen und sich in den Fährten und Wendungen verlieren. Doch dafür lässt Branagh nicht genügend Zeit. Stattdessen werden montageartig alle Figuren abgehandelt und bevor man auch nur annähernd kapiert, wer welche Motivation für den Mord hätte, befinden wir uns auch schon mitten in der Auflösung des Falls.

Diese Konfusion ist hier auch der Inszenierung geschuldet: anstatt die Theorien und Szenarien rückblendenartig auszuspielen, werden diese oft nur in Dialogen geschildert. Hier verliert der Zuschauer vor lauter Namen schnell den Überblick und hat in der nächsten Szene schon wieder vergessen, wer welche Funktion inne hatte. Hätten die Macher hier ein wenig öfter mit einer visuelleren Lösung gearbeitet, würde das Miträtseln wesentlich besser funktionieren. Sherlock hat längst gezeigt, wie so etwas richtig geht…

In diesem Film wird viel geredet. ‘Show, don’t tell’ gilt hier leider nicht.

Josh Gad und Johnny Depp unterhalten sich in einem Zugabteil in einem Szenenbild für Kritik Mord im Orient Express

Schauspielgrößen en masse

Die durch einfallsreiche Kameraeinstellungen gemächliche, durch die vielen Montagen aber auch sprunghafte Inszenierung führt leider auch die Schauspieler aufs Glatteis. Schade, denn wenn man auf die Namen des Ensembles schielt, könnte man fast meinen, dass Wes Anderson auf dem Regiestuhl Platz genommen hätte.

Kenneth Branagh bekommt als legendärer Hercule Poirot natürlich am meisten Screentime, was auch fabelhaft funktioniert. Sein anfänglicher Wortwitz weicht im Laufe des Films zwar einer gewissen Melancholie und einem inneren moralischen Konflikt, doch gerade diese Ambivalenz und Tiefe macht seinen Auftritt denkwürdig. Energie und Timing sind ein Volltreffer!

Alle weiteren Schauspielkaräter wie Judi Dench, Penélope Cruz, Willem Dafoe und Daisy Ridley geben zwar ihr Bestes, ihre Rollen glaubhaft zu gestalten, doch dafür ist die Zeit schlichtweg zu kurz. Frustrierend, wenn man schon mal so einen Cast beisammen hat. Immerhin bekommen Josh Gad, Tom Bateman und ein herrlich fieser Johnny Depp genügend Szenen, ihr Können unter Beweis zu stellen. Ganz aus der Reihe fällt Michelle Pfeiffer, die vor allem im Schlussdrittel ihre Emotionen nicht zu transportieren vermag.

Eine Judi Dench tut jedem Film gut. Gebt ihr also mehr Screentime, um Gottes Willen.

Judi Dench schaut grimmig in einem Szenenbild für die Kritik Mord im Orientexpress

Tolle Kostüme treffen auf nervige CGI

Die Optik in Mord im Orient-Express bietet auch Raum zur Diskussion. Einerseits wird das Innenleben des titelgebenden Zuges auf wunderbare Weise zum Leben erweckt. Nicht nur sehen die Wagons selbst glaubhaft und detailliert aus, auch die Passagiere sind einwandfrei in Schale geworfen. Das schafft Atmosphäre, die immer dann am besten funktioniert, wenn wir uns in den engen Räumen der Abteile befinden.

Sobald die Kamera jedoch den Zug verlässt, fällt die im Vergleich nur mittelmäßig eingesetzte CGI negativ auf. Wenn der Orient-Express aus dem computergenerierten Istanbul der 30er-Jahre abfährt, ist das gerade so noch zu verschmerzen. Doch je öfter die Kamera das Schneegestöber, die fragile Eisenbahnbrücke oder die funkensprühende Maschinerie der Lokomotive einfängt, desto unstimmiger wird das Gesamtbild. Zudem scheint man in einer Szene komplett vergessen zu haben, den sichtbaren Atem der Schauspieler in der eisigen Kälte zu animieren. Homogen ist das nicht.

What Would Agatha Say?

Mord im Orient-Express hinterlässt den Zuschauer mit gemischten Gefühlen. Nach einem sehr guten Start fällt die Spannung zu schnell ab, um wirklich zu fesseln. Dennoch geben die Figuren, Dialoge und die starke Kameraarbeit genügend her, um den Zuschauer zumindest solide zu unterhalten. Vielleicht hätte es dem Film gut getan, die miträtselnden Hobby-Detektive ein paar Minuten länger im Dunkeln tappen zu lassen.

Die Auflösung am Ende des Films – die mit ihrer Anlehnung an da Vincis “Das Abendmahl” zumindest für einen Schmunzler sorgt – wird für Neulinge überraschend sein. Wer Agatha Christies Erzählweise hingegen kennt, kann sich früh ausmalen, worauf es hinauslaufen wird. Die Schwächen des Films bleiben aber nach wie vor zu präsent, als dass dieses “Grande Finale” über die erzählerischen Schwächen hinwegtäuschen könnte.

Fazit

6.9/10
Ganz okay
Community-Rating: (5 Votes)
Handlung 7/10
Spannung 6/10
Schauspieler 7.5/10
Kostüm & Maske 8.5/10
Visuelle Effekte 5.5/10
Details:
Regisseur: Kenneth Branagh,
FSK: 12 Filmlänge: 114 Min.
Besetzung: Daisy Ridley, Johnny Depp, Josh Gad, Judi Dench, Kenneth Branagh, Michelle Pfeiffer, Penélope Cruz, Willem Dafoe,

Das mit Spannung erwartete Remake fällt ernüchternd aus: zwar ist Kenneth Branagh als Hercule Poirot eine wahre Freude, aber die zu sprunghaft erzählte Handlung verwirrt eher, als dass sie zum Mitraten animiert. Das großartige Ensemble bekommt zu wenig Zeit, um den Figuren ausreichend Tiefe zu verleihen. Zudem überzeugt die Symbiose aus liebevoll gestalteter Kulisse und teils auffälliger CGI nur selten. Da schafft es auch das überraschende Finale nicht, die Neuverfilmung als insgesamt würdige Adaption dastehen zu lassen.

Artikel vom 4. November 2017

1 Kommentar
  1. Rolf
    Rolf sagte:

    Gefällt mir überhaupt nicht, insbesondere der Zug selber. Zustieg in Istanbul über den Letzten Waggon über eine Treppe mit Brücke, solch ein Wagen hat es niemals gegeben und hat mit dem Orient-Express nichts zu tun hatte. Es ist ein Wagen für Abgeordnete und Präsidenten in den USA aber nicht Europa und Istanbul. Auch die Sitzplatzteilung 2 + 2 im Richtigen Orient Express war die Sitzplatzteilung 2 +1. Nein der Film war nicht Gut.

    Antworten

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