9.5/10

Kritik: Marriage Story

ABGRÜNDE MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN

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Genres: Drama, Familie, Startdatum: 29.08.2019

Interessante Fakten für…

  • Der Film basiert zu einem großen Teil auf Noah Baumbachs eigenen Erfahrungen, als er sich 2013 von Jennifer Jason Leigh scheiden ließ. Laut Baumbach hat Leigh das Drehbuch gelesen, den Film gesehen und mag ihn.
  • Adam Drivers Darbietung von Stephen Sondheims “Being Alive” aus dem Broadway-Musical “Company” von 1970 wurde live und in einem Take aufgenommen.
  • Laura Derns Figur basiert lose auf der prominenten Anwältin Laura Wasser aus Los Angeles, die Dern, Scarlett Johansson und Noah Baumbach bei ihren jeweiligen Scheidungen vertrat. Die Mediationsszenen wurden in Wasser’s echtem Bürogebäude gedreht.

Mit 6 Nominierungen bei den Golden Globes und den Oscars und 8 Nominierungen bei den Critics’ Choice Awards gehört ‘Marriage Story’ klar zu den aktuellen Highlights der Kino- und Streaminglandschaft. Dabei widmet Noah Baumbach’s neuester Film sich einem scheinbar alltäglichen Thema: Der Scheidung. Als ein Porträt von zwei Eltern, die sich eigentlich lieben und sich trotzdem gegenseitig in den Abgrund schubsen, trifft das Familiendrama mitten ins Herz. Was den Film auszeichnet und weshalb er seinen Ruhm verdient hat, erfährst du in der Kritik.

Darum geht’s

Ein junges Paar lebt in New York den Traum aller Künstler: Nicole (Scarlett Johansson) ist Schauspielerin und hat einst ihrer angehenden Hollywood-Karriere den Rücken zugekehrt, um mit ihrem Mann Charlie (Adam Driver) in seinem Theater anspruchsvolle Bühnenstücke zu inszenieren. Der junge Regisseur hat es auf das Cover der Time Out New York geschafft und einen “Genius Grant” für seine kreative Arbeit erhalten.

Die beiden haben einen Sohn, Henry, und eine schöne Wohnung in Brooklyn. Die Familie ist ein eingespieltes Team: Es wird gelacht, gespielt, gewütet, gestritten und trotzdem finden am Schluss alle wieder zueinander – bis die Blase platzt und das Beratungsbüro der beiden Partner enthüllt, dass sie es eben nichtmehr tun.

Nicole fühlt sich in der Beziehung übergangen, ihre persönlichen Wünsche sind in der Ehe untergegangen und sie strebt nach Erfüllung und einem Neuanfang. Hinzu kommt, dass Charlie sie betrogen hat, er jedoch weist die Vorwürfe von sich und würde die Partnerschaft eigentlich gerne am Leben erhalten.

Die emotional belastende Situation scheint mit einer einvernehmlichen Trennung zu Enden, Charlie und Nicole wollen das gemeinsame Sorgerecht behalten und alle Details untereinander klären. Als Nicole in ihrer Heimat L.A. jedoch an eine überschwängliche Anwältin gerät, stürzt diese die beiden mit ihrer kämpferischen Mission in Richtung Ruin.

Als Spielball verloren im juristischen System

Eigentlich geht Marriage Story weit über die Geschichte einer gescheiterten Ehe hinaus. Vielmehr beobachtet es wie das Ehepaar zunehmend in eine Scheidungs-Spirale gerät, die nur bergab führt, bis sie sie schließlich in unerwarteten Abgründen verschlingt. Während die involvierten Anwälte die beiden Parteien erfolgreich gegeneinander aufstacheln um ihre eigenen finanziellen Gewinne zu steigern und ihre Reputation durch gerichtlichen Erfolg zu boosten, wird wenig Wert auf das tatsächliche Wohl der Familie und ihres Kindes gelegt. Vor Gericht werden natürlich ganz andere Motivationen vorgeschoben.

Nicoles Anwältin überzeugt sie davon Schritte gegen Charlie zu unternehmen, die sie eigentlich nicht vorhatte.

Laura Dern und Scarlett Johansson in Marriage Story

Die Geschichte bekommt fast kafkaeske Züge, als Charlie auch den zigten Anwalt den er besucht nicht engagieren kann, weil Nicole (vermutlich auf Rat ihrer eigenen Anwältin), bereits vor ihm ein Gespräch mit ihnen hatte. Um noch eins oben drauf zu setzen erfährt er, dass die Familie offiziell als eine in L.A. sitzende Familie gilt, obwohl sie ihr ganzes Bestehen in New York verbracht hat; außerdem soll er Nicole’s Anwaltskosten zu einem Großteil tragen. Dahin schwinden sein erfolgsversprechendes Stück in New York und die halbe Millionen Dollar seines Genius Grants, die er nun nutzen muss, um den Rechtsstreit tragen zu können. Auch Nicoles Familie kann sich nur durch die Hypothek der eigenen Villa über Wasser halten.

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Noch schlimmer als die finanziellen Folgen des Rechtsstreits sind jedoch die emotionalen: Die Streitkraft von Nicoles Anwältin Nora Fanshaw ist stärker als der Wille ihrer kompromissbereiten Klientin. Die gegenseitigen Anschuldigen von Nicole und Charlie nehmen so im Verlauf der Erzählung immer weiter zu, bis von zwei einstigen Liebhabern nichtmehr viel übrig geblieben scheint. Laura Dern verkörpert die Rolle der karrierebesessenen Nora voller Authentik, deren gerichtlicher Gegenspieler wird von Ray Liotta nicht weniger überzeugend und aggressiv dargestellt.

In ihrer Rolle als skrupellose Anwältin mischt Laura Dern das Leben von Charlie und Nicole ordentlich auf.

Laura Dern als Nora Fanshaw in Marriage Story

Das Gefühlschaos einer Trennung

Scarlett Johansson und Adam Driver selbst liefern eine der berührendsten Performances ihrer Karriere ab: Ihre Darstellung ist roh, ehrlich und durchgehend überzeugend. Eigentlich irrwitzige Streitereien werden dialogisch nachvollziehbar aufgebaut und authentisch umgesetzt, Wahnsinn und Extreme der Scheidungssituation werden glaubhaft vor Augen geführt und irgendwann fühlt man sich selbst in der Hilflosigkeit und dem Unverständnis der Charaktere gefangen.

Ein Paar, das vor nicht allzu langer Zeit noch genug Liebe in sich hatte um sich in Briefen mitzuteilen, was es aneinander mag, kann sich irgendwann kaum noch in die Augen schauen. Dieser Gegensatz bildet den Rahmen für die Story und das emotionale Konfliktpotenzial. Es steht vor allem eine Frage im Raum: Wie um aller Welt konnte es eigentlich soweit kommen? Das vermittelte Gefühlschaos besteht aus nervenaufreibenden, tief traurigen, hoffnungslosen, merkwürdigen, dramatischen und stellenweise glücklichen Szenen.

Marriage Story stellt emotionale Facetten einer Trennung dar.

Scarlett Johansson und Adam Driver in Marriage Story

Man hofft und bangt, ob die Hauptcharaktere es wohl irgendwann schaffen, sich wieder weniger feindselig gegenüberzutreten und aus ihrer Misere zu entkommen, doch das bleibt bis zum Ende des Films abzuwarten.

Die Kamera als subjektiver Beobachter

Die Kameraführung in Marriage Story übernimmt in der Erzählung eine ganz eigene Rolle, sie beeinflusst die empfundene Enge der Geschichte maßgeblich. Dass die visuelle Umsetzung eines Films das Storytelling unterstreicht ist nicht ungewöhnlich, in Marriage Story ist ihr Eigenleben besonders auffällig.

Die Takes sind extrem lang, wodurch unangenehme Situationen mit unerbittlicher Konzentration fokussiert werden. Jede Perspektive und Bildgröße scheint genau berechnet zu sein, alles rückt die Gefühle von Charlie und Nicole in den Vordergrund. Der Kampf um das eigene Kind, die emotionale Distanz, der Wunsch nach Nähe und die Trennung der Charaktere wird durch den Bildaufbau und dargestellte Szenerien visualisiert.

Charlies und Nicoles Sohn Henry steht zwischen seinen Eltern.

Scarlett Johansson, Adam Driver und Azhy Robertson in Marriage Story

Eigentlich Schade, dass der Film bei den Academy Awards nicht für die beste Cinematographie nominiert wurde. Zum Glück hat es trotzdem für eine Nominierung in den Bereichen Best Picture, Best Actor, Best Actress, Best Supporting Actress, Best Original Screenplay und Best Original Score gereicht.

Fazit

9.5/10
Meisterwerk
Community-Rating:
Handlung 9/10
Schauspiel 10/10
Emotionen 9/10
Tiefgang 9.5/10
Visuelle Umsetzung 10/10
Details:
Regisseur: Noah Baumbach,
FSK: 6 Filmlänge: 136 Min.
Besetzung: Adam Driver, Alan Alda, Julie Hagerty, Laura Dern, Merritt Wever, Ray Liotta, Scarlett Johansson,

Marriage Story ist kein Film für einen witzigen Filmabend, dafür aber für einen tiefsinnigen. Die Geschichte packt mit einer hohen emotionalen Dichte, einem bewegenden Thema und überzeugenden Inszenierungen. Die Schauspieler zeigen sich in ihrer Höchstform, Handlung und visuelle Umsetzung stärken sich gegenseitig in ihrem Effekt und schaffen so ein beklemmendes Gesamtkunstwerk. Man merkt, dass von allen Seiten viel Leidenschaft in das Projekt gesteckt wurde und kann nicht anders, als mit den Charakteren mitzuleiden. Das macht die Geschichte zu einem besonders intensiven Erlebnis und zu einem durchaus würdigen Anwärter für deine Watchlist und den Oscar als Best Picture und Best Original Screenplay.

Artikel vom 6. Februar 2020

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