Trügerischer Anfang
Es fängt an wie ein Märchen. Die Dächer sind überzogen mit perfekten Schneedecken. Es liegt eine Stille in der Luft, aus der man unsanft durch ein klingelndes Telefon geweckt wird. Düster, wie die Ruhe vor dem Sturm. Doch die Düsternis trügt. Zwar bleibt das Märchenthema, mit weiten Kameraeinstellungen, hellen Farben und schönen Kleidern, doch ist nichts mehr von der bedrückenden Finsternis des Anfangs übrig.
Regisseur Ari Aster ist filmtechnisch mehr als begabt. Er beherrscht die Setzung von Musik und Stille. Vor allem aber fallen die Übergänge auf. Er traut sich die Kamera auf dem Kopf laufen zu lassen und er setzt die Schnitte so klug, dass man als Zuschauer erstaunt ist, wie geschmeidig man vom Wohnzimmer in ein Flugzeugklo gelangt. Das wird sich auch den ganzen Film lang durchziehen. Jede Kameraeinstellung und Setting wirkt durchdacht und passt an jeder Stelle.
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Unpassend dagegen ist es, dem Zuschauer am Anfang des Filmes etwas zu versprechen, dieses aber nicht zu halten. Das Familiendrama im Detail spielt keine Rolle im Fortlauf des Filmes, sondern dient lediglich als Trigger für die Protagonistin. Das Winterthema verfliegt binnen dreier Szenen und es liegt bis zum Ende des Filmes ein Sommerfeeling in der Luft. Im Detail ist Midsommar zwar wunderschön durchdacht und angenehm anzuschauen, doch im Gesamtbild wird der Bogen zum Anfang nicht gespannt, was einen als Zuschauer unbefriedigt lässt.
Dani, Christian, Joshua ehm… wer noch?
Der Cast ist allemal gut gewählt. Wie auch schon 2018 bei Hereditary wirkt keiner der Charaktere überzogen und sehr menschlich. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass Menschlichkeit auch das Dasein von Fehlern beinhaltet. Man mag eine Person wegen eines bestimmten Merkmals, hasst sie jedoch aufgrund eines anderen. Diese Faktoren machen jemanden im realen Leben aus, schaffen aber in der filmischen Umsetzung nicht genügend Stoff sich emotional an die Personen zu binden. Auch kann man sich nicht mit der Hauptperson identifizieren, weil den meisten Menschen ihre Situation nicht bekannt ist. Der Tragödie wurde zu wenig Raum zum Atmen gelassen.
Betrachtet man nun die anderen Charaktere, fehlt diese eine Person, die man liebt. Es gibt keinen Everybody‘s Darling, weshalb einen das Ableben der Charaktere unberührt lässt. Zu viele „wichtige“ Charaktere werden eingeführt, weshalb zu wenig auf die einzelnen eingegangen werden kann. Das Fehlen der Emotionalität trägt auch im Allgemeinen zum Abbau des Spannungsbogens bei, weil man nicht direkt darauf hofft, dass bestimmte Personen am Leben bleiben. Am Ende ist es daher schwer sich die einzelnen Namen zu merken, denn schlussendlich waren diese nur noch Namen, ohne Charakter.
Dazu kommt, dass nie Morde oder Verfolgungsjagden an sich gezeigt werden. Das führt dazu, dass die Sekte fast freundlich rüberkommt, da nie direkt Grausamkeiten zu sehen sind. Lediglich das Endprodukt, beispielsweise die Leiche, wird gezeigt. Und auch diese wird meist in keinem Schockmoment enthüllt, sondern in einer Art und Weise, wie man morgens zum Frühstückstisch geht und Rühreier anstelle von Pfannkuchen entdeckt. Dagegen nehmen die Freunde durch ihre offensichtlichen Makel die Rolle der Banausen ein, die schon durch ihre Kleidung wie Fremdkörper wirken. Ob Aster genau diesen Kontrast will, ob er will, dass die Gemeinde nicht als die Bösen gesehen werden sollen, sei mal dahingestellt.
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