Kritik: Moonlight
WENN EIN AUSSENSEITER DEN GROSSEN DIE SHOW STIEHLT
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In drei Kapiteln erzählt Moonlight die Lebensgeschichte von Chiron, der auf der Suche nach seinem Platz in der Welt ist. In seiner Kindheit leidet der schwarze Schuljunge, den alle nur Little (Alex Hibbert) nennen, unter Mobbing und der Drogensucht seiner Mutter. Als Teenager (Ashton Sanders) entdeckt der schweigsame Außenseiter sein erotisches Interesse an Männern – sein Glück währt jedoch nur kurz. Als erwachsener Mann verbirgt sich Chiron – a.k.a. Black (Trevante Rhodes) – hinter einem Panzer aus Bauchmuskeln – und kommt vom rechten Weg ab.
Moonlight lässt sich in keine Schublade stecken. Gekonnt verbindet Regisseur Barry Jenkins Arthaus- und Blockbuster-Elemente zu einem einzigartigen Coming-of-Age-Drama. Ganz anders als die brutale Realität des Ghettos hat Moonlight etwas Magisches, ist verträumt, nachdenklich, subtil und sachte.
Dabei verzichtet Jenkins auf die klischeehafte Inszenierung des Milieus, in dem Chiron aufwachsen muss. Moonlightist keine Ghetto-Safari. Der Horror des kinderfeindlichen Armenviertels spielt sich viel mehr im Kopf des Zuschauers ab, als dass es explizit auf Zelluloid gebannt wird. Vielmehr konzentriert sich das Drama auf seine Hauptfigur, die es für keinen Moment aus den Augen verliert.
Tatsächlich sind wir – die Zuschauer – die Einzigen, die Zugang zu Chiron bekommen, der sich quasi Niemandem Öffnen will. Wir sehen ihn heranwachsen, teilen sein Leid und fühlen uns verantwortlich. Moonlight erschafft eine außergewöhnlich intensive Intimität zwischen Zuschauer und Protagonist.
Diese besondere Intimität entsteht vor allem durch die Oscar-nominierte Kameraarbeit von James Laxton, der magische Momente auf die Leinwand zaubert. Seine Kamera schwebt vorsichtig durch den Raum und kreist suchend um seine Charaktere. Dabei tastet sie sich immer näher an Chiron heran und schaut ihm in sanften Nahaufnahmen förmlich auf die Seele. In Moonlight wird der Begriff „Bildsprache“ wahrhaftig, denn Chiron, der kaum spricht, ist vor allem durch den einfühlsamen Blick der Kamera zu verstehen.
Ebenso besonders, wie auch genial, ist die Oscar-nominierte Filmmusik von Nicholas Britell. Statt mit dem martialisch-dröhnenden Takt von Ghetto-Rap zu arbeiten, stimmt Moonlight leichte, tänzelnde Klassik-Melodien an, die, wie vorsichtig in den Wind gepfiffene Melodien, alsbald wieder entschweben. Die Musik von Nicholas Britell ist ein Spiegelbild des schweigsamen Chiron und wird dementsprechend nur selten eingesetzt. Ist dafür aber umso intensiver.
Dennoch dient gerade diese Monotonie der Absicht des Films, der die prekäre Situation eines schwarzen vereinsamte Jungen porträtiert. Denn Chirons Leben ist geprägt von Tristesse und Eintönigkeit. Höhepunkt gibt es kaum, Tiefschläge verdrängt er so gut es geht. Genauso macht es der Film: Eingeschalten wird immer dann, wenn Chirons Leben still zu stehen scheint. Die drei Kapitel des Films sind Standbilder seiner Lebensabschnitte.
Auf die eigentlich dramatischen (und damit filmisch-interessanten) Momente, wie das Schicksal von Chirons Kindheitsheld Juan (Mahershala Ali), verweisen lediglich kurze Dialogzeilen. Das Konzept, das Barry Jenkins verfolgt ist wagemutig, funktioniert jedoch weitestgehend. Lediglich der erwachsene Chiron (Trevante Rhodes) ist auf den ersten Blick so weit von seinem jüngeren Ich entfernt, dass es eine Weile dauert, bis man warm mit ihm wird.
Jeden einzelnen Darsteller angemessen zu besprechen, würde den Rahmen dieser Filmkritik sprengen, denn der Cast von Moonlight ist außergewöhnlich stark. Dazu kommt, das Barry Jenkins’ Schauspielerführung äußerst feinfühlig an den richtigen Reglern dreht und jedes Mal den richtigen Ton trifft.
Besonders stark spielt Ashton Sanders, der im zweiten Kapitel in Chirons Rolle schlüpft. Mit hängendem Kopf, gesenktem Blick und schlaksigen Gliedern verkörpert er auf atemberaubende Weise die Rolle des geprügelten Außenseiters. Jede Bewegung, jeder Blick sitzt. Trotz seiner andauernden Schweigsamkeit erzählen sein Blicke Bände. Wirklich beeindruckend.
Auch wenn Juan nur im ersten Kapitel in Erscheinung tritt, so ist Mahershala Alis Schauspiel andauernd präsent. Mit Feingefühl und großem Charisma bildet er das Fundament der Handlung. Im dritten Kapitel schwingt sein Geist wieder besonders mit: Chiron a.k.a. Black ist seinem Vorbild Juan zum Verwechseln ähnlich. Ohne Mahershala Ali würde dem Film die Richtung und Tiefe fehlen. Im Kampf um den besten Nebendarsteller stehen seine Chancen jedoch schlecht. Jeff Bridges in Hell or High Water und Dev Patel in Lion sind starke Konkurrenten.
Für Naomie Harris (Tia Dalma in Fluch der Karibik), die Chirons drogenabhängige Mutter spielt, sieht es besser aus. Ihre Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin ist vielversprechend. Ihre Rolle schwankt zwischen „liebender Mutter“ und „egoistischer Drogenabhängigen“. Diese konträren Pole belebt Naomie Harris mit vielseitigem Schauspiel. Man möchte Sie wirklich hassen – doch so einfach macht sie es uns auch wieder nicht. Schwarz und Weiß gibt es in diesem Film nicht.
Moonlight ist ein außergewöhnlicher Film, dem der Spagat zwischen nachdenklichem Arthaus und massentauglichem Hollywood überraschend gut gelingt. Die drei Akte des Dramas folgen konsequent dem aussichtslosen Leben von Chiron, der in der harten Welt eines Vororts von Miami sein Platz sucht. Der Cast ist besonders stark und überzeugt durch die Vielschichtigkeit der porträtierten Charaktere. Durch subtile Kameraführung und einen dezenten aber hervorragenden Musikeinsatz erschafft Regisseur Barry Jackson ein Film, der seines Gleichen sucht. Moonlight ist intensiv, intim und subtil und mit Sicherheit der Geheimtipp unter den Oscar-Kandidaten – auch, wenn der Begriff „Geheimtipp“ bei einem achtfach Oscar-nominierten Film wohl eher unangebracht wirkt.
Update vom 26. Februar 2017
Bei der 89. Verleihung der Academy Awards in Los Angeles konnte Moonlight insgesamt 3 der 8 Oscar-Nominierungen in Gewinne verwandeln. Den Oscar für den Besten Nebendarsteller konnte Mahershala Ali für sich beanspruchen. Außerdem gab es einen Goldjungen in der Kategorie “Bestes Adaptiertes Drehbuch“. Für besondere Überraschung sorgte die Auszeichnung als “Bester Film”. Aufgrund vertauschter Moderationskarten wurde fälschlicher Weise zuerst La La Land zum besten Film gekürt. Der Fehler wurde zur Enttäuschung der bereits jubelnden La La Land-Crew jedoch kurz darauf aufgeklärt und Moonlight als Bester Film geehrt.
Artikel vom 27. Februar 2017
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