Kritik: Scream VI
Diagnose: Franchiseritis
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Nach den schockierenden Vorfällen im Woodsboro versuchen die Schwestern Sam (Melissa Barrera) und Tara (Jenna Ortega) einen Neustart in New York City. Sam ist stark traumatisiert, während Tara versucht, sich der ängstlichen Kontrolle ihrer älteren Schwester zu entziehen und ein normales Leben zu beginnen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Erneut werden Menschen in ihrem Umfeld von einem Killer mit Ghostface-Maske ermordet. Das erneute Auftauchen eines maskierten Mörders wirft Fragen auf und so geraten die Schwestern selbst in den Fokus der Ermittlungen. Sam, Tara und ihre Freund:innen versuchen zu überleben und ihre Unschuld zu beweisen, indem sie den Killer demaskieren.
Gefährlich lebt, wer ins Kino geht. Wer sich nach dem Lockdown endlich wieder in den Saal traute, lief Gefahr, von Jugendlichen im schlecht sitzenden Abiball-Anzug mit Bananen beworfen zu werden, doch in diesem Spätwinter wirkt das bereits wie Kinderkram. Von TikTok und Testosteron in Stimmung gebracht, versprühen Pubertierende statt guter Laune Pfefferspray im Kinosaal, während sie drauf warten, dass der Hustensaft knallt und der Freitagabend losgehen kann.
Was kann es da besseres geben als einen neuen Scream-Teil? Die Horror-Reihe lebt vom Terror im Kino und Klischees über Jugendliche. In Woodsboro gehen Film und Fan eine enge Bindung ein. Auf der Leinwand, der VHS-Kassette oder im Social Media-Feed, künstliche Gewalt und reale Gewalt waren in Scream nie getrennt, sondern verschmelzen. Kinosäle und Fernsehcouches wurden zu Tatorten, Filmfans zu Tätern und Opfern. Film produziert Gewalt, Gewalt produziert Filme. Das war mal mehr, mal weniger unterhaltsam, auf jeden Fall jedoch eines der innovativsten Franchises. Damit scheint es nun vorbei. Nach dem begeisternden Comeback im letzten Jahr befindet sich die Reihe nun im steilen Sinkflug.
Nachfolgend also drei weitere Dinge, welche die Reihe so stark machten – und nun schmerzlich vermisst werden.
Zusätzlich drei Symptome, die vermuten lassen, dass Scream von akuter Franchiseritis befallen ist.
Scream, das waren immer Horror-Filme, die über Horror-Filme sprechen. Im Verlauf wurden Klischees aufgelistet und gebrochen, gängige Tropes verdreht und aktuelle Entwicklungen im Genre thematisiert. Im sechsten Teil ist davon nichts zu spüren. Während der letzte Teil eine kurzweilige Denkaufgabe zu Reboots und Sequels war, fragen wir uns nun: was hat Scream im Jahr 2023 zu sagen? Nicht viel. Das den Film umspannende Thema fehlt, er hat zur aktuellen Filmwelt nichts beizutragen.
Stimmungsvolle Sets machten die Hetzjagden bisher zum Ereignis. Die Vorstadthäuser von Woodsboro, ein Uni Campus, ein Kino, zuletzt dann die geniale Rückkehr zu den Ursprungsmotiven, die Filme funktionierten über gute, schlichte, nachvollziehbare Sets. Nun befinden wir uns in New York, die Schauplätze sind jedoch beliebig. Obwohl einige Sets lobend zu erwähnen sind, wirkt die Verlegung in den Big Apple etwas ratlos.
Das Setdesign der Horrorfilme war stets schnörkellos, jedoch funktional. Der Look changierte zwischen farbsatter Beverly Hills 90210-Ästhetik und Halloween-artigen Hetzjagden durch gedimmte Wohnzimmer und Laternen-beleuchtete Parks. Nun lautet die Devise jedoch: dunkel ist das neue stimmungsvoll. Die zusätzlich verdunkelte 3D-Version ist ein dreister Aufschlag ohne Mehrwert. Kein Blutspritzer verirrt sich in den Zuschauerraum, nicht mal ein mickriger Jumpscare ist drin. Kaum interessante Einstellungen – weniges, das hängenbleibt.
Scream VI kam schnell, zu schnell. Etwas mehr als ein Jahr nach dem fünften Teil legt Paramount direkt nach. Profitgier des Studioriesen, der gerade mit eigenem Streaming-Service finanziell viel riskiert? Wer weiß, doch schadet der schnelle Output dem Film deutlich. Ein Jahr ist keine Zeit, um die aktuelle Horror-Landschaft zu rezipieren. Scream V hatte alles zum Status Quo des Genres gesagt, nun gibt es nichts mehr zu erzählen – außer einer ermüdenden Sequel-Story. Teil 7 ist übrigens bereits in der Produktion.
Erneut wurde die Schraube angezogen – der neueste Teil ist brutaler geworden. „FSK 18“ als Marketingstrategie, kann man machen. Doch Brutalität war nie das definierende Merkmal der Reihe (anders als etwa in Saw). Stimmige Suspense gerät zugunsten blank gewetzter Messer in den Hintergrund.
Zwar folgten die Scream-Filme immer der Horror-Logik und legten nicht zu viel Wert auf die Figuren, einige wuchsen über die Jahre jedoch ans Herz. Von diesen ist nichts mehr übrig. Mit Dewey verlor das Franchise im letzten Jahr einen Fixpunkt, ein weiterer kehrt dieses mal nicht zurück: der ehemaligen Hauptdarstellerin Neve Campbell wurde scheinbar ein respektlos-niedriges Angebot gemacht. Ihre Absage ist ein starkes Zeichen für Frauen in der Filmwelt, die auch hier für angemessene Entlohnung kämpfen.
Damit sind fast alle Brückenpfeiler, die Beginn und Ende der Filmreihe verbinden, zusammengebrochen.
In der modernen Franchise-Logik werden Figuren austauschbar, wenn es der Story dient, kann jede:r sterben. Im neuesten Teil kehrt die Kerngruppe des letzten Films zurück, wirklich euphorisch macht das jedoch nicht. Das Script traut sich keine unsympathischen Protagonisten zu. Keine Arschlöcher, die verdächtig wären und auf falsche Fährten locken. Keine High School-Bullies oder fremdgehende Chicks. Alle sind nett, alle halten zusammen, alle sprechen darüber, dass sie unbedingt eine Therapie machen sollten, um das Erlebte aufzuarbeiten. Millenials ohne Jobs, Probleme oder Charaktereigenschaften. Wie soll ein spannendes „Whodunnit“ entstehen, wenn alle so lieb sind?
Mit dem sechsen Teil erlaubt sich Scream einen Ausfall und bestätigt alle Vorurteile, die ein Reboot mit sich bringt. Der neue Cast ist lahm, die Spannung erreicht selten wirklich Höhen und ironische Seitenhiebe auf Horror-Klischees fehlen fast gänzlich. Paramount versucht scheinbar bei Gehältern zu geizen, gleichzeitig mit aber hohem Output die Cash Cow zu melken. Die Filmreihe Scream stand mal für clevere Horror-Hommage, jetzt ist es nur noch der Name eines Franchises.
Artikel vom 15. März 2023
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