Kritik: The Last Duel
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Die Jahre haben es nicht sonderlich gut gemeint mit Jean de Carrouges (Matt Damon, Jason Bourne). Der einst einflussreiche Ritter hat beim neuen Grafen Pierre d’Alençon (Ben Affleck, Justice League) keinen guten Stand, stattdessen wird sein langjähriger Freund Jacques LeGris (Adam Driver, Star Wars: Episode VII) nach allen Regeln der Kunst bevorzugt. Einzig seine frisch vermählte Frau Marguerite (Jodie Comer, Free Guy) ist ein Lichtblick am trüben Himmel.
Als Carrouges nach einer mehrwöchigen Reise zurückkehrt, findet er Marguerite aufgelöst vor. Sie berichtet, LeGris habe sich Zugang zu ihrem Haus verschafft und sie vergewaltigt. Da jedoch Aussage gegen Aussage steht, muss Carrouges bis ans Äußerste gehen: er fordert ein Duell gegen LeGris.
Matt Damon, Ben Affleck und Nicole Holofcener haben das adaptierte Drehbuch dreigeteilt. Der Reihe nach wird die „Wahrheit“ nach Carrouges, LeGris und schließlich Marguerite erzählt – wobei im letzten Segment der Schriftzug „The Truth“ bewusst länger stehenbleibt und damit schon eine klare Aussage getroffen wird: Glaubt den Opfern!
Klingt dieses Konzept auf Papier noch recht redundant, erweist es sich trotz der satten 153 Minuten Laufzeit als äußerst effektiv. Mehr als einmal verändert man seine Haltung zu den Figuren, die sich durch den neuen Kontext immer wieder wandeln: Ist Carrouges nach seiner Wahrheit ein heldenhafter Krieger und fürsorglicher Ehemann, so wirkt er nach LeGris eher wie ein tumber Streithahn ohne Haltung. Diese wechselnden Blickwinkel lehren vor allem eins: man sollte nicht zu schnell Partei ergreifen.
Besagte Situationen unterscheiden sich teilweise nur in feinen Nuancen, manchmal gehen sie jedoch meilenweit auseinander: Wer hat jetzt wem in der Schlacht das Leben gerettet? Und wer hat zuerst versucht, das Kriegsbeil zu begraben? Diese teils fundamentalen Unterschiede zu entdecken ist gleichermaßen unterhaltsam wie überführend. Und wird im letzten Teil nochmal auf den Kopf gestellt.
Dort erfahren wir Marguerites Wahrheit, die zwar viele Elemente der Vorgängergeschichten vereint, aber verständlicherweise eine teils ganz andere Bewertung an den Tag legt. Als Frau war sie bislang entweder nur ein Lustobjekt oder „beschädigte Ware“. Auf ihrem Rücken wird ein Duell ausgetragen, das jedoch hauptsächlich um die Ehre der Männer und nur augenscheinlich um die ihr zustehende Gerechtigkeit geht. Dahinter steht eine Frau, die von patriarchalen Strukturen nach allen Regeln der Kunst gebrochen wird. Und hier wird The Last Duel politisch und hochaktuell.
Das Drehbuch-Trio verpasst gerade im Schlussdrittel der Geschichte einen Spin, der unsubtiler nicht hätte sein können. Slutshaming, „Hab dich nicht so“, der Vorwurf, die Vergewaltigung erfunden oder provoziert zu haben – die Aussagen der Männer (und Frauen!) könnten teilweise auch heute genauso getroffen werden. Eine Tatsache, die nicht nur betroffen macht, sondern The Last Duel trotz Ritterkostüme bedrohlich nah kommen lässt.
Dabei haben fast alle Figuren eine klare Funktion: das schweigende Alibi Adam Louvel (Adam Nagaitis, The Terror), die mundtot machende Schwiegermutter Nicole de Bouchard (Harriet Walter) und zuletzt LeGris selbst, der die Vergewaltigung fast schon als spielerischen Akt verklärt. Dem entgegen stellt sich die starke Stimme von Marguerite. Und ja, all das wirkt in seiner Deutlichkeit in manchen Fällen etwas zu forciert. Doch ohne diese Elemente wäre The Last Duel eben doch „nur“ ein Zeitdokument des Patriarchats. So wird es zum Spiegel unserer Gesellschaft.
Ein Wort noch zur Inszenierung. Immerhin haben wir es mit Regie-Altmeister Ridley Scott zu tun, der sich im Mittelalter-Genre bestens auskennt. The Last Duel erinnert glücklicherweise mehr an Königreich der Himmel (in der fantastischen Extended-Version, versteht sich) als an seine Bibel-Gurke Exodus: Götter und Könige. In den kurz eingestreuten Schlachten fegt das Sound Design mit einer derartigen Wucht über die Kinoreihen, dass einem der Atem wegbleibt. Diese Sequenzen sind auch deshalb so brachial, weil sie sehr sparsam in die sonst dialoglastige Story eingebunden sind.
Ansonsten herrscht Routine am Set: bewährte Inszenierung, unterkühlte Farbgebung, große Schlösser, authentische Kostüme und ein wirklich heftiger Schlusskampf, bei dem man nicht mehr so genau weiß, wem man jetzt die Daumen drücken soll. The Last Duel sieht so aus, wie ein Epos aus dem Hause Scott eben auszusehen hat. Beim Ensemble sieht das hingegen etwas gemischter aus…
Es gibt kein Recht. Es gibt allein die Macht der Männer.
Nicole de Buchard in The Last Duel
Adam Driver und Matt Damon machen einen richtig guten Job. Aufgrund der Perspektivwechsel dürfen beide teils fundamental andere Rollen einnehmen und füllen diese auch gekonnt aus. Damon mit Vokuhila „entwickelt“ sich so vom Ehrenmann zum trotzigen Kleinkind zum harten Patriarchen, während Driver vom kaltherzigen Feind zum belesenen Frauenschwarm zum brutalen Vergewaltiger wird.
Die Show gehört aber Jodie Comer. Ihr fein nuanciertes Spiel ist überhaupt dafür verantwortlich, dass die „drei Wahrheiten“ so gut ineinandergreifen und sich dennoch so stark unterscheiden. Als Dreh- und Angelpunkt trägt sie die zweite Filmhälfte selbstbewusst und absolut überzeugend. Kopfschmerzen hingegen bereitet Ben Affleck, der als strohblonder, Orgien feiernder Graf so eine Art comic relief sein soll, dabei aber ähnlich wie Alex Lawther (The End of the F***ing World) als kindlicher Charles VI fehlplatziert und zu karikiert wirkt. Ein kleiner Wehrmutstropfen.
Ridley Scott is back! The Last Duel profitiert nicht nur von der routiniert-guten Inszenierung und teils wuchtigen Schlachtenszenen, sondern vor allem von der vielschichtigen Erzählung, die eine starke Aussage über die Macht der Perspektiven trifft. Die dreigeteilte Handlung derselben Geschehnisse ist dabei keineswegs ermüdend, sondern verdeutlicht das Dilemma der Wahrheitsfindung. Der Film bleibt in seiner Aussage dabei sehr deutlich und gliedert das Mittelalter-Epos damit nahtlos in die aktuelle #MeToo-Debatte ein. Das mag historisch nicht ganz korrekt sein, macht The Last Duel jedoch brandaktuell. Und dank Matt Damon, Adam Driver und der großartigen Jodie Comer auch noch richtig sehenswert!
Artikel vom 15. Oktober 2021
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