Kritik: Disenchantment – Staffel 1
‘DIE SIMPSONS’ IM ‘GAME OF THRONES’ GEWAND
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‘DIE SIMPSONS’ IM ‘GAME OF THRONES’ GEWAND
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Die junge Bean (Stimme: Abbi Jacobson) ist keine Märchenprinzessin, wie man sie sich vorstellt. Anstatt wie eine gesittete Dame des Hofes zu agieren, kippt sie sich lieber in verruchten Kneipen einen hinter die Binde, schleppt Typen ab und rebelliert generell gegen jede Norm ihrer Heimatstadt Dreamland. Ihr Vater König Zog (Stimme: John DiMaggio) versucht seine Tochter endlich unter die Haube zu bringen, doch eine arrangierte Hochzeit kommt für Bean nicht in die Tüte.
Das Blatt wendet sich, als Bean vom zwielichtigen Dämonen Luci (Stimme: Eric André) heimgesucht wird und sie kurze Zeit später dem ausgebüchsten Elf Elfo (Stimme: Nat Faxon) über den Weg läuft. Das ungleiche Gespann wächst zu innigen Freunden zusammen und erlebt ein haarsträubendes Abenteuer nach dem nächsten.
Ob in einer amerikanischen Kleinstadt, einem futuristischen Setting oder im Mittelalter-Gewand: Groening-Humor funktioniert nach wie vor ziemlich gut. Dass Disenchantment – Staffel 1 ordentlich Querverweise auf Game of Thrones liefert – inklusive Intrigen, Inzest und zerstückelten Rittern – ist nur folgerichtig. Das märchenhafte Dreamland wird mit allerlei Fabelwesen, Magie und herrlich schrägen Charakteren gefüllt und macht deshalb auch von der ersten bis zur letzten Sekunde Spaß.
So ganz verträgt sich die teilweise 3D-animierte Welt jedoch nicht mit dem bekannten Zeichenstil Groenings – aber darüber kann man dann hinwegsehen. Auffälliger ist, dass bei all den potenziellen Steilvorlagen des Mittelalter-Genres Disenchantment – Staffel 1 insgesamt doch sehr zahm geraten ist. Zwar werden hier und da gelegentlich Körperteile abgehackt und Leute über den Haufen geschossen, doch die letzte derbe Konsequenz ziehen die Autoren oftmals nicht. Schade, für Kinder ist die Serie ohnehin nicht gedacht und so hätten ein paar mehr brutale Seitenhiebe die Würze gebracht, die beispielsweise Rick and Morty so herrlich kompromisslos machen.
Wenn ein Gag in dieser Richtung aber einmal durchgezogen wird, dann ist das zum Schreien komisch. Zum Beispiel ein junger Prinz, der zu Beginn stolpert und sich den Schädel mit einem Schwert durchbohrt. Der Dickkopf will jedoch partout nicht sterben, was vom Hofstab aber eisern ignoriert wird. So landet der arme Kerl im Laufe der Serie irgendwann auf einem Leichenberg und quengelt immer wieder im Hintergrund, dass ihm doch endlich jemand das Schwert aus dem Kopf ziehen möge. Diese wiederkehrenden Running Gags sind brillant, doch viele andere Szenen lassen diesen anarchistischen Humor vermissen.
Schon in der ersten Folge machen die Serienschöpfer ein großes Versprechen und deuten eine epische Geschichte mit zahlreichen Nebenhandlungen und einem großen Spannungsbogen an. Doch die folgenden 6 Episoden dümpeln diesbezüglich eher vor sich hin. Die einzelnen Folgen behandeln weniger die große Geschichte als viel mehr sketchartige Ausflüge in die verschiedenen Settings des Genres. Immer dann, wenn es irgendwie nötig ist, wird die Haupthandlung wieder hervorgeholt – doch das wirkt bisweilen eher willkürlich und kommt für den Zuschauer überraschend. Zu lange wirkt Disenchantment – Staffel 1 wie eine Zusammenstellung loser Episoden – und erinnert damit eher an das Sehverhalten eines Simpsons-Nachmittags auf ProSieben als an eine zusammenhängende Netflix-Serie.
Das große und allgegenwärtige Überthema Selbstfindung und Identität wird immer wieder angerissen, aber selten konsequent zu Ende geführt. Zu oft verlaufen sich genau diese Gedanken im Nichts. Und das, obwohl Bean als rebellische Prinzessin auf Selbstsuche oder der sich hinterfragende Elfo durchaus den Background mitbringen, zumindest ein paar schlaue Antworten darauf zu liefern.
„You’re never gonna be whole until you figure out who you really are. And there’s only one way to find out the answer.“
Bean in Disenchantment
Dennoch funktionieren die einzelnen Storylines ordentlich. Das liegt an den vielen kreativen Einfällen und liebenswerten Figuren, mit der die Schöpfer Dreamland zu einem unterhaltsamen Ort machen. Sei es Beans Praktikum als Henkerin, eine riesige Haus-… äh… Schlossparty inklusive meuchelnder Wikinger oder die wahnwitzige Begegnung mit den erwachsenen Hänsel und Gretel. Obwohl der große Spannungsbogen schwach bleibt, gehen die einzelnen Episoden runter wie Öl.
Es ist grundsätzlich löblich, dass in popkulturell geprägten Serien mit den bislang vorherrschenden Stereotypen und Geschlechterrollen aufgeräumt wird. Das gelingt in Disenchantment – Staffel 1 nur bedingt. Protagonistin Bean ist eine erfrischende Hau-drauf-Powerfrau mit Hang zum Alkoholmissbrauch und Gesetzübertretung. Und auch Luci bricht mit dem dämonischen Bad-Guy Image, weil er gerade durch seine wahren (und damit konfrontativen) Aussagen einige Charaktere ordentlich aufmischt.
Unrunder wird es da schon bei Elfo. Er ist zwar unfassbar liebenswert, doch wird zunehmend zum dümmlichen Sidekick in der Friendzone degradiert. Das ist deshalb frustrierend, weil er anfangs noch als rebellischer, unkonformer und von Testosteron bestimmter Querdenker eingeführt wird (Haben Elfen Testosteron?). Später wirkt er aber eher wie das genaue Gegenteil und spätestens hier muss der Zuschauer stutzen. Hat man sich auf halber Strecke für andere Charaktereigenschaften entschieden? Das ist höchst unstimmig!
Auch bei vielen weiteren Charakteren würde man sich wünschen, dass ein wenig mehr Facetten ans Tageslicht gebracht würden. So erfrischend Bean auch geschrieben ist, so klassisch fällt beispielsweise ihr Vater Zog aus: ein grummelnder König, der keine Liebe zeigen kann, mit sich und seinen Gefühlen nicht im Einklang ist und oftmals in seinen verantwortungslosen Handlungen eher feige als souverän wirkt. Warum erlaubt die Serie keine starken Männerrollen? Da wirkt es fast schon heuchlerisch, wenn die Autoren ihre obligatorischen Gender-Gags abfeuern.
“I’m a griffin. Half-man, half-bird, half-lion. The last female of my kind.”
Greif in Disenchantment
Disenchantment – Staffel 1 schaut sich in einer klassischen Binge-Session an einem verregneten (oder viel zu heißen) Sonntag runter. Die ersten Folgen zeigen ein spannendes Universum mit vielen witzigen Ideen und ein paar echten Krachern, sodass der Zuschauer am Ball bleibt. In den letzten Folgen nimmt auch der große Handlungsbogen wieder Fahrt auf und die Serie fühlt sich endlich wie ein homogenes Werk an und nicht wie eine beliebige Sketch-Show.
Dieses Gemisch ist holprig und erzählerisch nicht so stilsicher, wie man das von Matt Groening gewohnt ist (auch, wenn Die-Hard-Fans diesen Zustand bereits den Simpsons unterstellen). Unterhaltsam bleibt es dennoch – zumindest für den, der mit dieser Art Humor etwas anfangen kann.
Richtig spannend könnte es erst in der Fortsetzung werden: das Ende deutet an, dass für die nächste Staffel die große Geschichte tatsächlich ein ernsthafter Unterbau und nicht nur alibimäßig genutzt wird. Die Charaktere sind eingeführt, die Konflikte offengelegt, die Welt etabliert – lassen wir uns überraschen, wie die Geschichte um Prinzessin Bean ihren weiteren Verlauf nehmen wird.
Freunde der Simpsons werden sich auf den neuesten Streich von Mastermind Matt Groening stürzen. Das mittelalterliche Setting, der typische Humor, die durchgeknallten Figuren und die genretypischen Elemente sind die perfekte Basis für eine unterhaltsame Serie. Leider verheben sich die Autoren in der großen Rahmenhandlung und verlassen sich nach einem grandiosen Start zu sehr auf ihre Figuren und ziellosen Nebengeschichten. Dadurch wird die Welt zwar stark etabliert, jedoch leidet der große Spannungsbogen erheblich unter der unausgeglichenen Dramaturgie. Auch einige der Hauptfiguren sind nicht mit der letzten Konsequenz ausgearbeitet worden, sodass einige Twists und Charakterentwicklungen sehr willkürlich und nicht nachvollziehbar wirken. Für eine schöne Binge-Session taugt die Mittelalter-Serie aber allemal – und könnte mit Staffel 2 sogar viele der Schwächen beheben
Artikel vom 25. August 2018
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