Kritik: Spuk in Bly Manor
Ein würdiger Hill-House-Nachfolger?
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Die junge Amerikanerin Dani Clayton (Victoria Pedretti) bekommt einen Job als Au-Pair bei der Familie Wingrave. Im alten englischen Anwesen Bly Manor soll sie auf die beiden verwaisten Kinder Flora (Amelie Bea Smith) und Miles (Benjamin Evan Ainsworth) aufpassen. Zunächst wirkt alles normal und die Kinder scheinen charmant und reizend zu sein, doch bald tun sich für Dani einige Rätsel auf.
Was genau passierte mit ihrer Vorgängerin? Warum treibt sich der ehemalige Butler immer auf dem Anwesen rum? Und woher kommen die geheimnisvollen Fußabdrücke im Haus? Als Dani mit der Zeit zu begreifen beginnt, dass in Bly Manor übernatürliche, seltsame Dinge vor sich gehen, ist es schon zu spät und sie steckt bereits tief im Strudel der Mysterien.
Trotz der tragischen Ereignisse, die sich vor Danis Erscheinen abgespielt haben, ist Bly Manor alles andere als verlassen. Die Gärtnerin Jamie (Amelia Eve) kümmert sich hingebungsvoll um den riesigen Garten des Anwesens, Koch Owen (Rahul Kohli) sorgt mit seiner Kochkunst für gute Stimmung und die warmherzige Haushälterin Hannah (T’Nia Miller) hält nicht nur das Haus in Schuss, sondern hat stets ein offenes Ohr für Bewohner und Angestellte.
Dass jeder Part dieses eingespielten Teams sein eigenes schweres Päckchen zu tragen hat, ahnt Dani am Anfang nicht. Doch mit der Zeit öffnen sich die einzelnen Charaktere nicht nur ihr, sondern auch uns als Zuschauern und so entfalten sich viele verschiedene Schicksale vor unseren Augen. Dani gelingt es so, sich mit ihrer eigenen schwierigen Vergangenheit zu befassen, vor der sie aus Amerika geflohen ist.
Auch die mehr oder weniger toten Bewohner von Bly Manor erzählen nach und nach ihre Geschichten und hier begegnen uns bekannte Hill House – Gesichter, wie Oliver Jackson-Cohen als Peter oder Kate Siegel als Viola. Jede Figur trägt ihren Teil zur Geschichte bei, welche sich durch eine Vielfalt an Emotionen auszeichnet.
Anders als im Hill House sucht man in Bly Manor oft vergeblich nach den subtilen, jedoch sichtbar platzierten Geistern. Bei voller Bildschirmhelligkeit kann man sie beim zweiten oder dritten Versuch trotzdem finden, meist in dunklen Ecken oder im Spiegel. Der Gruselfaktor und der damit verbundene Terror stehen also nicht unbedingt im Vordergrund. Wichtiger sind die Konflikte, mit denen alle Charaktere, allen voran Dani, zu kämpfen haben. Somit wirkt Bly Manor menschlicher und verletzlicher als das unbesiegbare, grauenerregende Hill House.
Auch die Geister sind hier nicht nur die unbegreiflichen matschigen Fußabdrücke, die morgens oft in den Fluren zu finden sind, sondern auch die Vergangenheit, die jede der einzelnen Figuren verfolgt.
Das Anwesen Bly Manor eignet sich perfekt für Geisterspaß. Herrlich vernebelte Landschaften, grüne Wiesen und verwunschene Gärten prägen das wundervolle Setting der Serie. Wenn sich hier keine Geister rumtreiben würden, könnte man sich beim Anblick von Bly Manor leicht in ländlichen Tagträumen verlieren.
Was Bly Manor auszeichnet sind Korridore, denen jegliches Leben zu fehlen scheint, Dielen, die mit jedem Schritt die Aufmerksamkeit des Anwesens erregen oder Gemächer, welche im Zwielicht niemals ihr ganzes Inneres offenbaren. Die eigene Sichtbarkeit für das Verborgene löst unweigerlich ein stetes Unbehagen beim Zuschauer aus, der den Eindruck erhält, selbst durch Bly Manor zu wandern.
Erneut glänzt Victoria Pedretti in der Rolle einer Figur, die von Ängsten, Verzweiflung und Trauer gequält wird. Die junge amerikanische Schauspielerin ist bekannt für ihre Rolle als Nell in Spuk in Hill House, aber brillierte auch neben Penn Badgley in “You – Du wirst mich lieben”. Die Palette an Gefühlen, die Dani in Bly Manor erlebt, kann Pedretti allein durch Blicke perfekt verkörpern. Gefühle der Angst und Trauer beherrschen Dani, begründet durch ihre Vergangenheit oder Bly Manor selbst.
Ganz alleine steht sie jedoch nicht im Rampenlicht, denn auch andere Schauspieler fallen durch ihre bemerkenswerte Performance auf. T’Nia Miller findet als Hannah stets die passende Balance zwischen unterstützender Freundin und mutiger Beschützerin. Amelia Eve überzeugt als toughe Gärtnerin, die sich vor allem durch ihre Liebe zu Flora und Fauna auszeichnet, aber auch knallhart für sich und andere einstehen kann.
Wer in Bly Manor durchgehende Horror-Action oder nervenzerreißende Spannung erwartet, ist fehl am Platz. Zwar bleiben wir als Zuschauer durch die bewegende und mitreißende Handlung am Ball, trotzdem erlaubt es einem auch mal tief Luft zu holen.
Durch die fast schon philosophischen Unterhaltungen über den Sinn des Lebens oder den Tod wird das Tempo an manchen Stellen gebremst, was jedoch der Story keinen Abbruch tut, sondern gut zum emotionalen Charakter passt. Es gibt genügend aufregende Augenblicke, sodass Nervenkitzel und Gefühl optimal alternieren.
Spuk in Bly Manor veranschaulicht auf außergewöhnliche Art und Weise, wie eigene Erinnerungen, Gewissensbisse und Ängste zu den Schreckgespenstern werden können, die uns tagtäglich verfolgen. Hinzu kommen natürlich auch die waschechten umherwandelnden Geister, die Dani und den anderen Angestellten das Leben schwer machen. Der Fokus liegt allerdings eher auf den zwischenmenschlichen Konflikten, wie der Bewältigung von Verlust, Einsamkeit und Trauer, sodass die neuste Staffel der “Spuk-Collection” weniger für einen gruseligen Halloween-Marathon geeignet ist. Bly Manor ist dafür aufgrund des eher unterschwelligen Gänsehaut-Faktors und der vielen Emotionen perfekt für verregnete Herbstabende, an denen man sich nach einer Folge die Zeit nehmen kann, über das Gesehene zu grübeln. Jede Rolle ist durchdacht und mit den passenden Schauspielern erstklassig besetzt. Die kleinen Details, die Bly Manor mit dem von uns gefürchteten Hill House verknüpfen sind clever platziert und runden die Serie ab. Über eine dritte Staffel würden wir uns deshalb sehr freuen!
Artikel vom 30. Oktober 2020
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