9.3/10

Kritik: Spuk in Hill House – Staffel 1

EIN WUNDERBARER ALBTRAUM

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Genres: Drama, Horror, Startdatum: 12.11.2018

Interessante Fakten für…

  • In mehreren Weitwinkelszenen in Hill House kann man Geister im Hintergrund sehen. Manchmal nur Hände, Schatten und Gesichter.
  • Die Crain-Kinder stellen die fünf Phasen der Trauer dar: Verleugnung (Steven), Wut (Shirley), Verhandeln (Theo), Depression (Luke) und Akzeptanz (Nell).

Der Name ‘Spuk in Hill House’ hört sich an wie your average „Haunted House“-Schocker, der außer Jump-Scares nichts zu bieten hat. Doch tatsächlich ist dieses Netflix-Original nicht nur erbarmungsloser Nerventerror, sondern auch ergreifendes Familiendrama. Warum die Serie so mitreißend ist, erfahrt ihr in der Bewertung und Kritik.

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#PotterUltra #SchwerMetaller #Storyteller

Darum geht’s

Die siebenköpfige Familie Crain zieht in das verlassene „Hill House“ ein, denn Vater Hugh (Henry Thomas) und Mutter Olivia (Carla Gugino) renovieren alte Häuser, um sie dann später wieder zu verkaufen. Doch seitdem die Crains in der alten und verwinkelten Residenz hausieren, werden sie von unheimlichen Erscheinungen geplagt – allen voran Mutter Olivia, die ihren Verstand komplett an das Hill House verliert.

Einige Jahre später haben die nun erwachsenen Crain-Kinder vollkommen unterschiedliche Wege eingeschlagen. Jeder trägt die Narben der Zeit im Hill House und jeder geht anders mit seinem Trauma um. Doch alte Wunden werden wieder aufgerissen, als eines der Geschwister plötzlich stirbt – im Hill House.

Story wie ein Labyrinth

Spuk in Hill House basiert nur lose auf dem gleichnamigen Klassiker-Roman von Shirley Jackson, denn die Serie platziert die Geschichte in einem komplett neuen Kontext. Mehrere Jahrzehnte nach den schrecklichen Ereignissen im Hill House, der eigentlichen Gruselgeschichte, reflektieren die Hauptcharaktere ihre Kindheit und werden (wortwörtlich) von den Dämonen ihrer Vergangenheit verfolgt.

Das hört sich erstmal so an, als ob Spuk in Hill House verzweifelt mehr sein will als eine „normale“ Geistergeschichte und die zusätzliche Erzählebene den Grusel nur unnötig ausbremst. Doch tatsächlich sind die Szenen in der Gegenwart genauso spannend, atmosphärisch und unbehaglich wie jene im Hill House. Beide Handlungsstränge werden durch visuelle Tricks und clevere Déjà-vu-Momente miteinander verwoben. Sie bilden eine Einheit, ohne sich gegenseitig auf den Füßen zu stehen.

Die Zeit verläuft nicht linear, sondern gleichzeitig. Dadurch gibt es in Spuk in Hill House sogar das ein oder andere Zeit-Paradox. Doch die Drehbuchautoren sind intelligent genug, diese nicht wissenschaftlich zu erklären, sondern auf die subjektive Wahrnehmung der Charaktere zu begrenzen. Was in dieser Serie wirklich passiert und was nur in den Köpfen der Protagonisten erlebt wird, bleibt unserem persönlichen Urteil überlassen.

5 x 2 Protagonisten

Ähnlich wie in der deutschen Netflix-Serie Dark, besteht der Cast aus jungen und erwachsenen Schauspielern, die den selben Charakter in unterschiedlichen Lebensabschnitten darstellen. Das Casting der fünf Crain-Kinder ist beeindruckend – Jung und Alt sind perfekt aufeinander abgestimmt. Zu keiner Zeit hat man Probleme, sich Kind und Erwachsener als ein und denselben Charakter vorzustellen.

Familie Crain in jung: Nach einer schrecklichen Nacht im Hill House bleibt Vater Hugh (Henry Thomas, übrigens der kleine Junge aus E.T.) nichts anderes übrig als zu flüchten – und seine Frau Olivia zurückzulassen.

Familie Crain im Auto mit Henry Thomas, Mckenna Grace, Lulu Wilson, Paxton SingletonJulian Hilliard und Violet McGraw

Besonders die junge Theo (Mckenna Grace) passt unverkennbar zu ihrem erwachsenen Selbst – die zynische Fassade soll von ihrer übermäßigen Empathie ablenken, aufgrund der sie den engen Kontakt zu Mitmenschen scheut. Sowohl Mckenna Grace, als auch ihre ältere Darstellerin Kate Siegel formen den Charakter Theo bis zur Perfektion.

Faible für Monologe

Spuk in Hill House liebt seine Charaktere. Im Gegensatz zu den meisten Horror-Flicks, sind die Darsteller keine entbehrliche Beute, sondern Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Dementsprechend füttert das Drehbuch die Darsteller mit dutzenden Monologen. Einige dieser Textpassagen sind beeindruckend, herzzerreißend und hauchen den Charakteren Innenleben ein. Besonders Vater Hugh Crain (jung: Henry Thomas / alt: Timothy Hutton) und Tochter Theo feuern Wortsalven ab, die unter die Haut gehen.

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Doch das Writing trifft nicht immer ins Schwarze. Sobald die Monologe abdriften und anfangen, die Handlung zu erklären, statt sie zu ummanteln, schießen sich die Drehbuchautoren ins eigene Bein. Als z.B. Nelle (Victoria Pedretti) ihre Interpretation des Spuks im Hill House über mehrere Minuten vorträgt, nimmt es uns Zuschauern den Freiraum, die Geschichte selbst zu deuten. Man darf den Netflixern ruhig etwas mehr Eigeninitiative anvertrauen. Doch ob vorgekaut oder nicht, was in Spuk in Hill House alles zwischen den Zeilen steht, ist pures Gold.

Was Geister wirklich sind

Gruselfilme stellen eine simple Frage: Wer ist der Geist? Vielleicht der verstorbene Hausbesitzer, ein teuflischer Dämon, oder ein verschütteter Indianerfriedhof. Auch Spuk im Hill House hat sein eigenes Geister-Arsenal, stellt sich dabei jedoch eine entscheidende Frage mehr: Was ist ein Geist? Diese Frage wird nicht mit metaphysischer Fiktion erklärt, sondern mit psychologischen und philosophischen Argumenten, die überhaupt nicht fiktiv sind, sondern tief verankert in das Leben der meisten von uns.

Protagonist Steven Crain (Michiel Huisman, Dario Naharis aus Game of Thrones) ist ein erfolgreicher Horror-Schriftsteller geworden. Als Grundlage für seine Romane bedient er sich an den geisterhaften Erfahrungen anderer Menschen, wobei er als hartgesottener Realist meist zum selben Schluss kommt:

„A ghost can be a lot of things. A memory, a daydream, a secret, grief, anger, guilt. Most times a ghost is a wish.“

Steven Crain (Michiel Huisman)

In Spuk in Hill House sind Geister keine fiktiven Schreckgespenster, sondern Metaphern. Produzent Mike Flanagan erdet den Spuk mit realen Themen, die den Horror umso verstörender machen. Ein treffendes Beispiel sind die Gespräche zwischen der nun als Kinderpsychologin arbeitenden Theo und ihren jungen Patienten – traumatisierte Kinder, die ihren erlebten Horror als personifizierte Geister verarbeiten. So ist die wahre Ursache des Erscheinens von „Mr. Smiley“, welcher eine junge Patientin jede Nacht besucht, noch schrecklicher als die eigentliche Vorstellung des Übernatürlichen.

Angriff auf unsere Urängste

Wer soliden Horror-Haus-Grusel haben möchte, wird ihn mit Spuk in Hill House bekommen. Dennoch sind es die „realen“ Momente, die sich in das Gedächtnis des Zuschauers einbrennen und einen nachhaltig erschaudern lassen.

Die schaurige Inszenierung einer Schlafparalyse – viel Spaß beim Schlafengehen später!

Violet McGraw als junge Nell und die Frau mit dem gebogenen Hals in einem Szenenbild für Kritik Spuk in Hill House Staffel 1

Besonders Episode 6 Zwei Stürme ist ein Triumph: Die einstündige Folge, ein Kammerspiel in einem Bestattungsraum, besteht nur aus vier Tracking-Shots in bester Birdman-Manier. Als Familie Crain am Vorabend einer Beerdigung die Trauerfeier für ein verstorbenes Familienmitglied herrichten will und auf der Leiche plötzlich zwei Knöpfe auf den Augen liegen, ist das wahrer Psychoterror. Egal, ob sich ein Geist oder doch ein Familienmitglied diesen makabren Scherz erlaubt hat – jede Erklärung ist verstörend und wir wollen die Wahrheit am besten gar nicht wissen.

In bester Stephen King Manier werden Themen wie Wahnsinn, Trauer und Depression mit klassischem Grusel verbunden. Erst dieses Jahr hat Hereditary bewiesen, dass es nicht die Geister selbst sind, vor denen wir wirklich Angst haben. In diesem Film brillierte vor allem Tony Collette als überforderte Mutter, die Stück für Stück den Verstand verliert. In Spuk in Hill House ist es Carla Gugino als Matriarchin Olivia Crain, die selbst ihre eigenen Kinder nicht mehr vor ihrem Wahnsinn beschützen kann. Ihre Performance ist zwar nicht so brutal und ungezügelt wie jene von Collette, doch der Handlungsstrang um die Mutter von fünf Kindern erschafft doch den ein oder anderen Gänsehaut-Moment.

Zwar gibt es in Spuk in Hill House auch ein paar „billige“ Jumpscares mit derart lauten Geräuschen, dass der Zuschauer zu reflexartigen Abwehrmechanismen geradezu gezwungen ist – doch viele Geister verstecken sich auch im Hintergrund und fliegen meist unter dem Radar der Wahrnehmung. Wenn einem dann doch mal eine blasse Fratze hinter einem Fenster auffällt, ist das verdammt effektiv. Die versteckten Geister mögen ein Gimmick sein, doch macht es das Grusel-Erlebnis umso stärker.

When you see it…

Mckenna Grace als Theo in einem Szenenbild für Kritik Spuk in Hill House Staffel 1 mit einem Hidden Ghost

Ein „Love it or hate it“-Finale

Die Handlung ist derart schwerverdaulich, dass ein schlechtes Ende prädestiniert wirkt. Womöglich hat die Serienproduktion Mike Flanagan und seinen Drehbuchautoren derart angesetzt, dass man sich nach einer erlösenden Katharsis sehnte – ein Ende, das den Schrecken zumindest teilweise beendet und den Charakteren etwas lebenswertes zurückgibt.

Tatsächlich scheint die letzte halbe Stunde von fremder Hand geschrieben zu sein. Der Stimmungsumbruch der Story ist schon beinahe manisch. Aus der hoffnungslosen Horror-Geschichte wird urplötzlich ein bittersüßes Märchen mit sentimentalem Einschlag und einem Silberstreif am Horizont. Und hier scheiden sich die Geister: Wer die drückende Stimmung der Serie gegen Ende lieber ablegen möchte, der bekommt im Finale eine Erlösung geboten, die nicht nur die zuvor durchlebten Traumata tröstet, sondern die gesamte Geschichte aus dem Schatten zerrt. Wer den Grusel und das Unbehagen aber lieber aus der Serie mit hinaus nehmen will, der wird mit diesem Ende vor den Kopf gestoßen – und zwar hart.

Kein Cliffhanger, kein Schocker – stattdessen ein emotionales Pay-Off mit einem definitiven Ende, das keinen Platz für eine zweite Staffel erlaubt. Nach all dem Hype, werden wir diese aber vermutlich dennoch bekommen.

Fazit

9.3/10
Meisterwerk
Community-Rating:
Handlung 9/10
Horror 10/10
Charaktere 9/10
Emotionen 9.5/10
Visuelle Umsetzung 9/10
Details:

Die beste Stephen-King-Verfilmung, die eigentlich gar keine ist: Spuk in Hill House versetzt Klassiker wie Es und Friedhof der Kuscheltiere in Leichenblässe. Die zehn Folgen kombinieren klassischen Geisterhaus-Horror und psychologischen Terror, angereichert mit meist exzellent ausgeführten Jumpscares und unheimlichen Details im Hintergrund. Wenn die Serie nicht gerade mit unseren Nerven spielt, ist sie aufgrund der scharf gezeichneten Charaktere ein überraschend emotionales Familiendrama, das Themen wie Trauer und Depression mit kongenialen Metaphern verarbeitet. Das Ende nimmt eine vollkommen unerwartete stilistische Wendung, die fragwürdig ist, aber nicht weniger effektiv. So oder so ist Spuk in Hill House ein abgeschlossenes und rundes Grusel-Märchen, an dem sich Serien und Filme des selben Schlags fortan messen müssen.

Artikel vom 3. November 2018

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