Kritik: Taboo – Staffel 1
GRUMMELN IM ALTEN LONDON
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Zehn Jahre, nachdem James Keziah Delaney (Tom Hardy, Dunkirk) Schiffbruch erlitten hatte und längst für tot erklärt wurde, steht der Seefahrer und Kolonialist wieder auf der Matte Londons. Nicht nur scheint er ein veränderter Mann zu sein, er hat auch kühne Pläne: da sein Vater in der Zwischenzeit verstorben ist, tritt Delaney sein Erbe an. Nicht nur die Überbleibsel des väterlichen Schiffunternehmens, auch die Rechte an dem Fjord Nootka Sound gehen in den Besitz des finsteren Heimkehrers über.
Während dieser also seine Pläne schmiedet, gerät er ins Kreuzfeuer gleich mehrerer Parteien. Die East India Company ist von der neuen Konkurrenz herzlich wenig begeistert. Auch die britische Krone sowie die amerikanische Obrigkeit mischen sich in das Geschehen ein, denn Nootka Sound ist ein für den derzeit tobenden Krieg strategisch wichtiger Standpunkt. Ein Spiel mit Verrat, Korruption und zwielichtigen Machenschaften beginnt.
Taboo – Staffel 1 ist von der ersten Minute an ein sehr mysteriöses Unterfangen. Über den Protagonisten ist fast gar nichts bekannt, mit quälend langer Frequenz werden Folge um Folge neue Anhaltspunkte und Hinweise zur Geschichte des Totgeglaubten gestreut. Hinzu kommen okkult anmutende Ausflüge, in denen Delaney scheinbar Kontakt mit der Totenwelt aufnimmt. Doch die Macher geben keine Erklärung dafür ab – das sorgt zwar zunächst für schweißnasse Hände, enttäuscht am Ende dann aber doch zu sehr.
Storytechnisch dauert es auch seine Zeit, bis die Motive der Hauptfigur ganz durchdrungen sind. Sinnt er auf Rache? Warum schart er so viele Komplizen um sich herum? Und warum zum Henker braucht er tonnenweise Schwarzpulver? Sobald der Zuschauer aber den großen Plan erahnt, macht es – vor allem im Schlussdrittel – richtig viel Spaß mitzufiebern, ob alle Kontrahenten tatsächlich hinters Licht geführt werden können.
Insgesamt sind die acht Folgen der ersten Staffel durchdacht erzählt und zudem intelligent und historisch korrekt in den Britisch-Amerikanischen Krieg integriert. Hier und da hätte es dem Skript jedoch gut getan, ein paar mehr Handlungsstränge schneller voran zu treiben. Gerade die Pilotfolge fällt verhältnismäßig dünn aus.
Ein historischer Stoff verlangt nach einem historischen Setting. Das Kostüm- und Make-Up-Department leisten hier ganze Arbeit: die Kostüme sind stimmig, hinter jedem Grinsen verstecken sich vergilbte Zähne, das Elend der städtischen Gosse ist ebenso akkurat dargestellt wie der Bombast und der Prunk der englischen Aristokratie. Die Detailverliebtheit der einzelnen Szenen trägt massiv dazu bei, dass die Serienwelt glaubhaft und greifbar wirkt.
Das große Aber: trotz des knapp 11 Millionen Pound Budgets und der erstklassigen Ausstattung, schaffen es die Showrunner nicht, London insgesamt als glaubhafte Metropole darzustellen. Nur selten verirrt sich mal ein Kameraschwenk über die gesamte Stadt und lässt so zumindest ansatzweiße die Weite des Schauplatzes erahnen. Diese filmische Klaustrophobie passt zwar immer zu den Szenen, die im Londoner Untergrund spielen, doch sobald es um internationale Konflikte geht, wirkt das einengende Setting fehl am Platz. Ein bitterer Wehrmutstropfen, denn die einzelnen Szenen sehen sehr glaubhaft aus.
An Prominenz hat man in Taboo – Staffel 1 wahrlich nicht gespart. Dabei fällt jedoch kein Schauspieler so richtig aus seinem bekannten Raster – auch, wenn sie allesamt überzeugend agieren. Jonathan Pryce (Game of Thrones) spielt einmal mehr mit Bravour die süffisante Obrigkeit, Michael Kelly (House of Cards) darf erneut den gewieften Gehilfen mimen, Franka Potente (Conjuring 2) bekommt einen recht knapp bemessenen, nicht wirklich einprägsamen Auftritt. Es ist allerdings der fabelhafte David Hayman, der gleich eine ganze Bandbreite an Emotionen, Tiefgang und Ambivalenz mit in seine Rolle bringt.
Letztlich dreht sich jedoch die gesamte Serie um einen Mann: Tom Hardy. Die schiere Präsenz des eigenwilligen Schauspielers ist schlichtweg nicht wegzudiskutieren. Jede Szene reißt er innerhalb eines halben Wimpernschlags an sich. Obwohl Hardy seine Sache wie immer gut macht, schleicht sich die Erkenntnis ein, dass wir ihn in genau dieser Rolle schon zig mal gesehen haben: ein undurchschaubarer Kerl, der als Antwort meistens ein paar Halbsätze in seinen Bart grummelt. Nach The Revenant und Mad Max wirkt das langsam ein wenig ermüdend.
Was nach dem ersten Durchlauf vor allem hängen bleibt, ist die düstere Stimmung, die sich durch nahezu alle Szenen zieht. An jeder Ecke tummeln sich finstere Gestalten mit noch finsteren Motiven. Die schmutzige, derbe Seite der Straßen Londons wird förmlich zelebriert. Hinzu gesellt sich noch ein minimalistischer, für Komponist Max Richter gänzlich untypischer Soundtrack.
Obwohl Taboo – Staffel 1 anfangs ein wenig zu gemächlich erzählt wird und nur durch ein paar wenige unerwartete Twists Würze und Tempo in die Geschichte bringt, ist es vor allem das Finale, das hoffen lässt. Die Macher lösen sich von ihrem Setting und schicken ihre Protagonisten nach einer wahnsinnigen Hetzjagd im wahrsten Sinne des Wortes zu neuen Ufern. Was uns in Staffel 2 erwartet? Wir dürfen gespannt sein. Immerhin ist die Geschichte noch nicht aus erzählt – und das Potenzial auch längst noch nicht ausgeschöpft.
Einen historischen Stoff mit durchdachter Fiktion und spannenden Charakteren zu kombinieren, klingt oft erst einmal besser, als es unter Umständen ist. Taboo – Staffel 1 überzeugt zwar mit einem intelligenten Skript, einer bedrohlichen Atmosphäre und einem guten Staraufgebot rund um Tom Hardy, jedoch wird die Handlung zu lange viel zu gemächlich vorangetrieben. Die Brotkrumen, die dem Zuschauer hingeworfen werden, reichen nicht aus, um von der ersten Sekunde an zu packen. Dafür nimmt die Serie gegen Ende deutlich an Fahrt auf und setzt den Grundstein für eine fulminante Staffel 2.
Artikel vom 30. Oktober 2017
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